Der bekannteste deutsche Hauptmann ist der „von Köpenick“. Wer war dieser Mann? Seine Bekanntheit begann am 16. Oktober 1906.
An diesem Tag übernahm der Schuster Friedrich Wilhelm Voigt in der Uniform eines Hauptmanns des Ersten Garde-Regiments zu Fuß, das Kommando über eine Gruppe Soldaten. Sie kamen vom Wachdienst und waren auf dem Weg zurück in ihre Potsdamer Kaserne. Ihr Truppenteil war das Leibregiment der preußischen Könige. Die Tradition dieses Regiments wurde in der Reichswehr vom Infanterie-Regiment 9 übernommen. Hier diente u.a. Henning von Tresckow, Angehöriger des Widerstandes des 20. Juli 1944. Das Wachbataillon der Bundeswehr führt aufgrund einer Ausnahmeregelung zum Traditionserlass die Tradition des Regiments „Semper Talis“, (lat.: „Immer gleich“)
Das Militär spielte unter Kaiser und König Friedrich Wilhelm II. in Preußen im Jahr 1906 eine große Rolle. Das Ansehen der Offiziere war hoch und jeder preußische Bürger war stolz dienen zu dürfen. Wer nicht gediente hatte, musste manche Nachteile auf der beruflichen Karriereleiter hinnehmen. Durch Friedrich Wilhelm Voigt wurde diesem Gesellschaftssystem nun der Spiegel vorgehalten.
Er wurde am 13. Februar 1849 in Tilsit/Ostpreußen geboren. Sein Vater war Schuhmacher, dieses Handwerk erlernte auch der Sohn. Mit 14 Jahren wurde er erstmals straffällig. Weitere Verurteilungen wegen Diebstahl und Urkundenfälschung folgten. Die letzte lautete auf 15 Jahre.
In der Haft reifte sein Plan
Im Februar 1906 wurde Voigt aus der Haft entlassen und fing in Wismar als Schuhmacher an zu arbeiten. Dort wurde ihm die Aufenthaltsgenehmigung aber entzogen und so ging er zu einer seiner Schwestern nach Rixdorf bei Berlin. Auch hier wurde er im August 1906, mit der Begründung „eine für die öffentliche Sicherheit und Moralität gefährliche Person“, ausgewiesen. Während seines Aufenthalts in Berlin kaufte sich Voigt Teile einer Hauptmannsuniform zusammen, u.a. auch bei einem Trödler im holländischen Viertel in Potsdam. Dort in der Mittelstraße 3 weist eine Texttafel auf Voigts Uniformerwerb hin.
Am 16. Oktober zog er die Uniform an und trat als Gardehauptmann auf. Einen Tag später konnten die Berliner in der „Tägliche Rundschau“ lesen: „Ein als Hauptmann verkleideter Mensch führte gestern eine von dem Schießplatz Tegel kommende Abteilung Soldaten nach dem Köpenicker Rathaus, ließ den Bürgermeister verhaften, nahm die Gemeindekasse mit und fuhr in einer Droschke davon“.
Mit Steckbrief gesucht
Die Polizei begann die Suche nach dem dreisten Täter. Auf dem Steckbrief an den Litfaßsäulen und in den Amtsstuben stand u.a.: „Der Täter, der schmale, weiße Hände hat, ist auffallend hässlich“. Aus der weiteren Personenbeschreibung glaubte ein ehemaliger Mithäftling seinen Zellengenossen zu erkennen. Die ausgesetzte Belohnung verlockte ihn zum Gang zur Polizei.
Zehn Tage nach dem spektakulären Gaunerstück, über das inzwischen im ganzen Reich und im Ausland gelacht wurde, kam es zur Festnahme von Wilhelm Voigt. Die Polizei staunte nicht schlecht, als sie den ihr bekannten, immer wieder straffällig gewordenen Schuster verhaftet hatte. So einen Coup hatte man ihm, der mehr als die Hälfte seiner siebenundfünfzig Lebensjahre hinter Gittern verbracht hatte, wohl nicht zugetraut. Zu seiner Rechtfertigung gab Voigt an, dass er sich eigentlich einen Reisepass besorgen wollte. Als er merkte, dass im Köpenicker Rathaus keine Passstelle war, ließ er sich gegen Quittung die Stadtkasse aushändigen. 3557,45 Mark wurden ihm übergeben.
Gnädiges Gerichtsurteil: „Im Namen des Volkes“
Die Verhandlung gegen Voigt fand vor dem Königlichen Landgericht in Berlin statt. Die Strafe fiel relativ mild aus, u.a. mit der Begründung, dass Voigt durch Behördenwillkür „wieder auf den Weg des Verbrechens gedrängt“ worden sei. Hiermit war die Berliner Verwaltung gemeint, die ihm den Pass und damit den Aufenthalt in Berlin verweigert hatte. Um die Verurteilung wegen „Unerlaubtes Tragens einer Uniform, Vergehen gegen die öffentliche Ordnung, Betruges und schwerer Urkundenfälschung“ kam der mehrfach Bestrafte aber nicht herum. Am 1. Dezember 1906 wurde Voigt zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Nur knapp die Hälfte davon musste er absitzen. Nach Kaiserlichem Gnadenerlass konnte er am 16. August 1908 die Haftanstalt Tegel verlassen.
Nach der Entlassung begann ein neues Leben
Er zog zu einer Schwester nach Luxemburg. Das Großherzogtum Luxemburg genehmigte ihm ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht. Seine Popularität nutzte er für Auftritte im Berliner Panoptikum, in Varietés, Amüsierlokalen und auf Rummelplätzen. Seine Lebenserinnerungen „Wie ich Hauptmann von Köpenick wurde. Mein Lebensbild. Von Wilhelm Voigt, genannt Hauptmann von Köpenick“ fanden guten Absatz. Reisen in Europa und nach Amerika brachten ihm einen kleinen Wohlstand. Der Krieg und die folgende Inflation ließen seine Ersparnisse aber schnell dahinschmelzen. Am 3. Januar 1922 starb Wilhelm Voigt verarmt an einer Lungenentzündung. Auf dem Friedhof Notre Dame in Luxemburg wurde er beerdigt. Dort wird auch heute noch sein Grab gepflegt. Seit 1966 steht vor dem Köpenicker Rathaus eine Bronzefigur des „Hauptmann von Köpenick“.
Carl Zuckmayer setzte Voigt ein Denkmal
Der Coup des Schusters Voigt wäre aber längst in Vergessenheit geraten, hätte nicht Carl Zuckmayer (1896-1977) die Tragikomödie „Der Hauptmann von Köpenick – Ein deutsches Märchen in drei Akten“ geschrieben. Die Idee hierzu bekam er durch den 1930 erschienenen Roman von Wilhelm Schäfer „Der Hauptmann von Köpenick“. Das Deutsche Theater in Berlin führte das Stück erstmals am 5. März 1931 auf. Werner Krauß spielte die Hauptrolle. Es wurde zu einem der meistgespielten Stücke auf deutschen Theaterbühnen, eine erste Verfilmung folgte 1931. In der Nachkriegsverfilmung spielte Heinz Rühmann den „preußischen Eulenspiegel“, die Uraufführung war am 16. August 1956. Der Film wurde einer der erfolgreichsten der Nachkriegszeit und in mehr als 50 Länder exportiert. In späteren Filmen waren Rudolf Platte und Harald Juhnke in der Rolle des Hauptmanns zu sehen.