„Ein Staat – eine Armee“
Der 2. Oktober 1990 war der letzte Tag der Nationalen Volksarmee (NVA). 98.000 Mann, davon 64.000 Berufs-/Soldaten auf Zeit sowie 34.000 Wehrpflichtige wurden über Nacht Soldaten der Bundeswehr. Dieser Weg zur „Armee der Einheit“ begann mit dem Amtsantritt der Regierung von Lothar de Maizière, der den Pazifisten und Initiator des Appels „Frieden schaffen ohne Waffen“ Rainer Eppelmann zum Minister für Abrüstung und Verteidigung berufen hatte. Heute ist er Vorsitzender der „Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“.
Die DDR war Mitglied des Warschauer Pakt (WP) und musste die Gefechtsbereitschaft gegen den „Klassenfeind“ sicherstellen. Auf dem Territorium der DDR, waren rd. 380.000 gut ausgerüstete sowjetische Soldaten stationiert. Hinzu kamen rd. 250.000 Personen als Unterstützungskräfte und Familienangehörige.
Noch am 2. Mai 1990 erklärte Eppelmann auf einer NVA-Kommandeurtagung: „Was die NVA betrifft, so wird sie nach meiner Auffassung so lange weiterbestehen, wie in Europa zwei Militärbündnisse, die NATO und der Warschauer Vertrag, existieren“. Noch im Juni 1990 trafen sich die Verteidigungsminister der WP Staaten (DDR, Polen, Rumänien, Tschechoslowakei, UdSSR, Ungarn) in Strausberg, diskutierten aber schon über eine Auflösung der Vertragsorganisation.
Auf der Kommandeurtagung der Bundeswehr am 13. Juni 1990 in Fellbach bei Stuttgart, forderte Verteidigungsminister Gerhard Stoltenberg: „Ein Staat – eine Armee“ Nach Einführung der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion am 1. Juli 1990 und dem Treffen von Parteichef Michail Gorbatschow und Bundeskanzler Helmut Kohl Mitte Juli im Kaukasus, bei dem Gorbatschow die Zustimmung zur Wiedervereinigung und zur weiteren Bündniszugehörigkeit Deutschlands zur NATO gab, wurde sowohl auf Ost- wie Westseite klar, dass es bei einer Vereinigung beider deutscher Staaten nicht zwei Armeen geben könne.
Anfang August 1990 rückte auch Rainer Eppelmann von seiner Ansicht der Zwei-Armeen ab. Am 10. August stimmte Eppelmann dem Vorschlag zu, eine Verbindungsgruppe, bestehend aus militärischen und zivilen Angehörigen des Verteidigungsministeriums, von Bonn nach Strausberg zu entsenden. Die Verbindungsgruppe sollte durch Bestandsaufnahme, Informationssammlung und Sachstandbewertung Voraussetzungen für die Planung „einer Armee“ schaffen. Die Zeit drängte, bis zum 15. Oktober, dem Tag der ursprünglich vorgesehenen Vereinigung, waren es nur noch zwei Monate. Am 20. August nahm die schnell zusammengestellte Verbindungsgruppe unter Führung von Brigadegeneral Ekkehard Richter ihre Arbeit auf.
Jetzt ging es Schlag auf Schlag. Am 23. August beschloss die Volkskammer den Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland nach Art. 23 Grundgesetz zum 3. Oktober. Die Unterzeichnung des Einigungsvertrages folgte am 31. August. An diesem Tag waren auch alle Politoffiziere der NVA entlassen worden. Das hatte zu großer Unruhe beim Offizierkorps der NVA geführt.
Am 12. September wurde der „Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“ unterzeichnet. Signatarstaaten des sogenannten „Zwei-Plus-Vier-Vertrag“ waren die Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien, Frankreich, die Sowjetunion, die DDR und die Bundesrepublik Deutschland. Am 24. September trat die DDR aus dem Warschauer Pakt aus. Es war der Tag des letzten großen Wachaufzuges der NVA in Berlin mit dem Vorbeimarsch am Ehrenmal „Neue Wache“ Unter den Linden. Seit 1993 „Zentrale Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“. Die letzten Generale und Admirale wurden am 28. und die rund 3.500 Soldatinnen am 30. September entlassen, allerdings die meisten als Zivilpersonal in die Bundeswehr übernommen. Der letzte Appell der NVA mit Einholen der Flagge fand am 2. Oktober im Ministerium in Strausberg statt. Am 3. Oktober übernahm Verteidigungsminister Gerhard Stoltenberg die Befehls- und Kommandogewalt. Befehlshaber des neu gebildeten Bundeswehrkommando Ost wurde Generalleutnant Jörg Schönbohm. Die Bundeswehr hatte nun eine Stärke von 534.000 Soldaten.
Seit dem 3. Oktober 1990 ist Deutschland vereinigt und hat eine Armee. Die Schritte zur „Armee der Einheit“ waren beschwerlich. Nach 30 Jahren verblassen oder verklären sich die Erinnerungen von denjenigen, die diese Tage vor Ort erlebt haben.