Kaum ein politischer Kampfbegriff ist während des „Kalten Krieges“ so oft verwendet worden wie „Eiserner Vorhang“. Das besonders in Zeiten, in denen Krisen und Konflikte zwischen West und Ost zu eskalieren drohten. Das war bei der Berlin-Blockade 1948/49, dem Korea-Krieg 1950/53, dem Bau der Berliner Mauer 1961, während sich Panzer am Checkpoint Charly gegenüberstanden, der Kuba-Krise 1962, dem Einmarsch sowjetischer Truppen in die Tschechoslowakei 1968 und Afghanistan 1979 der Fall. Immer wieder wurde auf das Sinnbild „Eiserner Vorhang“ zurückgegriffen.
Als „Erfinder“ dieser Metapher wurde und wird der englische Premierminister Winston Churchill genannt. Das entspricht nicht ganz den Tatsachen. Man muss etwas in die Geschichte zurückgehen, um den Ursprung festzustellen.
„Unter Rasseln, Knarren und Kreischen senkt sich ein eiserner Vorhang auf die russische Geschichte herab. Die Vorstellung geht zu Ende“, schrieb 1918 der russische Schriftsteller Wassilij Rosanow in seinem Buch „Die Apokalyse unserer Zeit“. Ob der Dichter bei diesem Vergleich an den in Theatern nach Ende der Vorstellung herabgelassenen metallenen Feuervorhang (fire curtain), der die Bühne zum Zuschauerraum trennte gedacht hat ist unbekannt.
1920 erschien in New York/London das Buch mit dem Titel: „Through Bolshevik Russian.“ Es handelt sich dabei um einen Reisebericht der britischen Labour-Politikerin Ethel Snowden. Hier schreibt sie: „We were behind the ìron curtain`at least!“ 1921 erschien die deutsche Übersetzung „Durchs bolschewistische Rußland”. Hier lesen wir: „Wir wurden von Gewerkschaftsbeamten begrüßt, die während unseres Aufenthalts unsere Wirte waren. So waren wir endlich hinter dem eisernen Vorhangangelangt.
Bei beiden Autoren handelt es sich noch um eine sinnbildliche Erklärung eines Zustandes. Zum politischen Begriff wurde „Eiserner Vorhang“ erst zum und nach Ende des Zweiten Weltkrieges.
In Jalta, auf der Halbinsel Krim, beim Gipfeltreffen der „Großen Drei“, US-Präsident Franklin D. Roosevelt, Premierminister Winston Churchill und Generalissimus Josef W. Stalin vom 4. bis 11. Februar 1945, wurden die vorläufigen Grenzen in Europa zwischen den Alliierten festgelegt und damit nähern wir uns dem „Eisernen Vorhang“.
Die Konferenzergebnisse wurden in einem Artikel in der NS-Zeitung „Das Reich“ am 18. Februar 1945 unter der Überschrift „Hinter dem Eisernen Vorhang“ propagandistisch ausgewertet. Lange war unbekannt, wer der Autor „cl“ vor der Ortsangabe Lissabon war. Das herausgefunden zu haben ist Verdienst von Georg Meyer. Er ist Historiker und war u.a. beim Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Freiburg tätig. Der Autor Max Walter Clauss war Korrespondent in Lissabon.
Reichspropagandaminister Joseph Goebbels nahm dieses Schlagwort auf und schrieb am 25. Februar einen Leitartikel im „Das Reich“ mit der Überschrift: „Das Jahr 2000“. Hier führte er u.a. aus „Vor dem riesigen Territorium des sowjetischen Einflussbereiches würde sich sofort ein Eiserner Vorhang heruntersenken“.
Kurz vor Kriegsende wurde der Begriff von Reichsaußenminister Graf Schwerin von Krosigk, den Großadmiral Karl Dönitz am 2. Mai 1945 die Amtsgeschäfte übertragen hatte, in einer Rundfunkansprache an die deutsche Bevölkerung benutzt. Er sagte: „Im Osten wird der eiserne Vorhang immer weiter vorgerückt, hinter dem, den Augen der Welt entzogen, das Werk der Vernichtung der in der Gewalt der Bolschewisten gefallenen Menschen vor sich geht“.
Bekannt ist nicht, die Vermutung liegt aber nahe, dass Premierminister Winston Churchill die Formulierung „Eiserner Vorhang“ aus der Zeitung „Das Reich“, kannte. Der Goebbels Text war auch in der Londoner Times veröffentlich worden. Die Übersetzung lautet hier aber „iron screen“ nicht „iron curtain“. Jedenfalls verwendete der Premierminister ihn in einem Telegramm am 12. Mai 1945 an den neuen amerikanischen Präsidenten Harry S. Trumann. „Wie wird die Lage sein, wenn die britischen und amerikanischen Streitkräfte hinweggeschmolzen sind? Vor Russland ist ein eiserner Vorhang niedergegangen. Wir wissen nicht, was dahinter vorgeht“. Roosevelt war im April gestorben und Trumann sein Nachfolger. Auch war der konservative Churchill nicht mehr Premierminister, er war im Juli 1945 abgewählt worden und nun Oppositionsführer. Die Labour-Partei stellte mit Clement Attlee den neuen Mann an der Spitze des Vereinigten Königreichs.
Churchill hatte von Trumann eine Einladung in die USA erhalten. Am 5. März 1946 hielt er eine Rede am Westminster College in Fulton, Missouri. Dabei sagte er: „Von Stettin im Baltikum an der Ostsee bis nach Triest an der Adria hat sich ein eiserner Vorhang über den Kontinent gesenkt. Dahinter liegen all die Hauptstädte der alten Staaten Mittel- und Osteuropas. Warschau, Berlin, Prag, Wien, Budapest, Belgrad, Bukarest und Sofia. Diese berühmten Städte und die Bevölkerung ringsum liegen alle im sowjetischen Wirkungskreis, so muss ich es nennen, und unterliegen, auf die eine oder andere Weise, nicht bloß sowjetischem Einfluss, sondern zu einem sehr hohen und in einigen Fällen zunehmendem Maße der Lenkung durch Moskau“. Des Weiteren führte er aus: “Die von den Russen beherrschte polnische Regierung wurde aufgemuntert, ungeheure und unberechtigte Übergriffe auf deutsches Gebiet zu unternehmen, eine Massenvertreibung von Millionen Deutschen findet statt…“
Durch diese viel beachtete Rede erhielt der Terminus „Eiserner Vorhang“ in den Massenmedien seinen Platz und damit Verbreitung in der Öffentlichkeit. Dass auch Konrad Adenauer, der spätere Bundeskanzler, die Metapher „Rußland läßt einen eisernen Vorhang herunter“ schon am 5. Juli 1945 in einem Brief benutzte, zeigte seine politische Voraussicht und soll nicht verschwiegen werden.
Am 19. August 1989 wurde der „Eiserne Vorhang“, der Grenzzaun aus Stacheldraht zwischen dem österreichischen Klingenbach und dem ungarischen Sopron, zerschnitten. Gut drei Monate später, am 9. November 1989 öffneten sich die Schlagbäume in Berlin. Die Mauer zwischen Deutschland West und - Ost fiel. Das bedeutete das politische Ende eines Kampf-begriffs, der in die Geschichte eingegangen war.
Bekannt aber wenig verwendet ist die Metapher „Bambus-Vorhang“, die die Abschottung der Volksrepublik China von seinen Nachbarn oder auch die Trennung von Nord- und Südkorea symbolisieren soll oder auch „Teak-Vorhang“ in Birma, heute Myanmar, für seine Isolationspolitik. Sie haben aber nie den Bekanntheitsgrad wie „Eiserner Vorhang“ erlangt.
Peter E. Uhde