Die Landung des Airbus A340-300 der Flugbereitschaft mit Außenministerin Annalena Baerbock an Bord erfolgte erst im zweiten Anflug. Beim ersten Versuch war die Landebahn des Flughafens in Tiflis blockiert. Die georgischen Gastgeber konnten sie erst nach 23 Uhr begrüßen. Die deutsche Außenpolitik schaut besorgt auf den Südkaukasus. Die Europäische Union (EU) verfolgt mit Aufmerksamkeit die innenpolitischen Unruhen im Zusammenhang mit dem geplanten Gesetz gegen „ausländische Agenten“. Handelt es sich bei Georgien doch um ein weiteres Land, das Mitglied der EU und der Atlantischen Allianz werden möchte. Beides geschieht gegen den Willen der Russischen Föderation, die ihren Einfluss in Georgien schwinden sieht.
Georgien, Kernland des Südkaukasus, liegt in Vorderasien zwischen dem Schwarzen Meer, das mit 418 km Küstenlinie die Westgrenze bildet. Der Nachbar im Norden ist Russland, mit dem es eine 894 km lange Grenze hat. Im Osten grenzt es an Aserbaidschan (428 km), im Süden an Armenien (219 km) und die Türkei (273 km). Die Nord-Süd-Ausdehnung beträgt rd. 200 km und die West-Ost etwas über 600 km. Der Große Kaukasus im Norden und der Kleine Kaukasus im Süden mit ihren Gebirgsketten, die Hälfte des Landes liegt über 1000 Meter ü.N.N. charakterisieren das Land. Mit 5200 m ist der Schchara der höchste Berg Er wird allerdings im Großen Kaukasus vom Elbrus mit 5642 m überragt, der nur elf Kilometer von der nördlichen Grenze Georgiens in Russland liegt. Es gibt nur wenige Pässe in Nord-Südrichtung, die in die sogenannte Transkaukasische Senke führen, die Zwischenzone zwischen den beiden Gebirgsmassiven.
Das georgische Territorium mit Abchasien (8.700 km2) und Südossetien (3.900 km2) umfasst 69.000 km2, das ist etwa die Größe von Bayern. Beide Gebiete sind von der georgischen Regierung nicht anerkannt. Im Land leben etwa 3,7 Mio. Menschen, rund ein Viertel in der Hauptstadt Tiflis. Die Stadt liegt am Fluss Kura und ist der gesellschaftliche, kulturelle und wirtschaftliche Mittelpunkt des Landes. Hier ist auch der Sitz des Parlaments. Staatspräsidentin ist seit 20018 Salome Surabischwili, die den Regierungschef nominiert. Ernannt wird er vom Parlament.
In Abchasien leben knapp eine Viertelmillion und in Südossetien etwas über 50.000 Menschen. Die Südosseten sind eine iranische Volksgruppe. Georgien ist ein multiethnisches Land. Bei der Bevölkerung werden 26 Ethnien gezählt, wobei die Georgier mit fast 84 Prozent den Hauptanteil bilden. Die Georgisch-Orthodoxe-Kirche ist die Hauptreligion. Georgisch ist die Hauptsprache. Es folgen Aserbeidschaner und Armenier. Lag der Anteil der russischen Bevölkerung vor der Selbständigkeit 1991 noch bei über sechs Prozent, ist er inzwischen auf unter zwei Prozent gesunken. Zwei bekannte sowjetische Politiker waren Georgier: Josef Stalin (1878-1953) und Eduard Schewardnadse (1928-2014), der von 1992 bis 2003 zweiter georgischer Staatspräsident war.
Georgien gehörte zum Zarenreich. Nach der russischen Oktoberrevolution 1917 erfolgte am 26. Mai 1918 die Unabhängigkeitserklärung zur Demokratischen Republik. Aber schon 1921 besetzten die neuen Machthaber mit der Roten Armee das Land und gliederten Georgien in die Transkaukasische Sowjetrepublik ein. Nach einer inneren Verwaltungsreform wurde es später Teil der Georgischen Sowjetrepublik. Diesen Status behielt es bis zur Auflösung der Sowjetunion Ende 1991. Im Zusammenhang mit den Reformprozessen Ende der achtziger Jahre in der Sowjetunion (Perestroika und Glasnost) unter Michail Gorbatschow kam es in Georgien zu Sezessionsbestrebungen.
Am 9. April 1989 wurde eine antisowjetische aber friedliche Demonstration von russischen Spezialkräften niedergeschlagen. 21 Tote und zahlreiche Verletzte stärkte jedoch die Bestrebungen sich von der kommunistischen Zentralmacht loszusagen. Das dauerte genau zwei Jahre. Am 9. April 1991, noch vor dem erfolgreichen Augustputsch von Boris Jelzin in Moskau gegen Gorbatschow, erfolgte die Unabhängigkeitserklärung. Der 9. April wurde fortan zum Nationalfeiertag erklärt.
Abchasien und Südossetien nutzen später auch die Gelegenheit sich von Georgien loszusagen. Nach nur gut einem Jahr wurde Anfang 1992 Eduard Schewardnadse Staatspräsident, ehemals sowjetischer Außenminister und Verhandlungsführer bei den Zwei-plus-Vier-Gesprächen zur Wiedervereinigung Deutschlands. 1993 trat Georgien der am 8. Dezember 1991 von Russland, Belarus und der Ukraine gegründeten Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) bei. Die sogenannte „Rosenrevolution“ Ende 2003, entmachtete Schewardnadse. Die Opposition war so stark, dass er zurücktrat.
Als Präsident folgte im Januar 2004 Micheil Saakaschwili. Das Verhältnis zu Russland verschlechterte sich, weil Georgien versuchte die abtrünnigen Hoheitsgebiete zurück zu gewinnen. Die Situation eskalierte und im August 2008 kam es zum Krieg mit Russland, das auf diesen militärischen Angriff vorbereitet war. Die georgischen Truppen waren chancenlos und durch internationale Vermittlung kam es zum Waffenstillstand. Bei den fünftägigen Kampfhandlungen um Abchasien und Südossetien gab es etwa 2.000 Tote und etwa 100.00 Vertreibungen. Russland erkannte beide Gebiete völkerrechtlich an und hat dort Truppen stationiert, das bedeutet das die Sicherung seiner geopolitischen Einflusssphäre im „nahen Ausland“.
Seit 1992 ist Georgien Mitglied der vereinten Nationen und gehört seit Juni 2000 der Welthandelsorganisation (WTO) an. Folgende mineralische Rohstoffe hat das Land: Mangan, Eisenerz, Kupfer, geringe Kohle – und Ölvorkommen. An Agrarprodukten gibt es: Mich, Trauben, Mais, Kartoffeln, Weizen, Wassermelonen, Tomaten, Mandarinen, Gerste und Äpfel. Das voraussichtliche Bruttoinlandsprodukt (BIP) für 2023 wird auf 7.270 US-Dollar geschätzt. Dazu tragen hauptsächlich die Sektoren Handel/Gaststätten/Hotels; Bergbau/Industrie; Transport/Logistik/Kommunikation; Bau; Land-/Forst-Fischereiwirtschaft bei.
Die Inflationsrate wird 2023 geschätzt bei 6 Prozent liegen und die Arbeitslosenquote bei 19,5 Prozent. Größte Lieferländer sind die Türkei, Russland, China und Aserbaidschan. Deutschland liefert Maschinen, Kfz- und Teile sowie Arzneimittel. Geostrategisch ist Georgien als Korridor für Öl- und Gaspipeline interessant, da durch diese die Rohstoffe aus den Feldern am Kaspischen Meer in den Westen transportiert werden. Somit kann Russland umgangen werden. Die geografische Lage als „Balkon Europa“ bietet auch Transitmöglichkeiten zwischen China, Zentralasien, der Türkei und Europa. Diese auszubauen ist in deren Interesse.
Die Verteidigungskräfte haben eine Stärke von rd. 30.000 Mann. Hinzukommen rd. 120.000 Reservisten. Es besteht Wehrpflicht, sie dauert zwölf Monate. Der Verteidigungshaushalt beträgt rd. 300 Mio. US-Dollar, das sind etwa 1,7 Prozent am BIP. Die Befürchtungen Georgiens, seit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine Ähnliches zu erleben, sind stärker geworden. Pro-Ukraine- Demonstrationen in Tiflis gibt es. An Sanktionen gegen Russland beteiligt sich da Land aber nicht. „Georgien ist gefangen zwischen einer Westausrichtung mit dem Beitrittswusch zu EU und den wirtschaftlichen Verflechtungen mit Russland bzw. den abtrünnigen Regionen im Land“, erklärt Stéphane Voell vom Zentrum für Konfliktforschung der Universität Marburg.
Realistisch betrachtet ist der Aufnahmeantrag wohl eher eine symbolische Handlung, um Georgiens politische und kulturelle Zugehörigkeit zum „Westen“ zu demonstrieren. Außenministerin Baerbock erklärte „Georgien muss die Reformen fortsetzen, um den Kandidatenstatus zu bekommen“. So wie es aussieht, wird das noch dauern. Die seit dem 26. Januar 2004 neue Staatsflagge mit dem roten Kreuz in der Mitte, den roten Kreuzen in den Ecken und die EU-Flagge werden noch bei mancher Demonstration auf Tiflis Straßen zu sehen sein. Die „überwiegende Mehrheit“ der Georgier vertreten den proeuropäischen Kurs und „unsere Hand ist weit ausgestreckt“ so die deutsche Außenministerin bei ihrem Besuch.