Von Peter E. Uhde
Vor 75 Jahren, am 26. April 1945, reichten sich drei amerikanische und drei sowjetische Soldaten auf der gesprengten Elbebrücke die Hände. Das Foto vom historischen Handschlag hat sich ins kollektive Gedächtnis der Nachkriegsgeneration eingeprägt. Das Foto erschien am 27./28. April auf den Titelseiten vieler Londoner Zeitungen und der New York Times. Damit ging die Stadt an der Elbe, etwa 50 Kilometer nordostwärts von Leipzig, in die Geschichte ein.
Das Foto ist keine Originalaufnahme, wie kam es dazu?
Fotograf Allan Jackson, Bildreporter des „American New Service“, hatte von der Begegnung erfahren und diese am nächsten Tag mit anderen Soldaten nachgestellt. Von der Originalbegegnung am Nachmittag des 25. April auf den eingebrochen Brückenteilen existieren keine Fotos. Bildreporter hatten die Patrouille nicht begleitet. Auch die Flaggenhissung der Sowjetsoldaten auf dem Reichstagsgebäude und die von US-Soldaten auf Iwojima sind keine Originalszenen. Sie wurden für Public Relations und Propagandazwecke nachgestellt.
„Treat them nicely“ - „Behandelt sie freundlich“
Am 16. April hatten die US-Truppen der 69. Infanteriedivision den Fluss Mulde erreicht und auch Leipzig eingenommen. Vom Osten setzte die Rote Armee ihre Offensive von der Oder und Neiße fort. Bis zum 23./24. April waren ihre Verbände bis zur Elbe vorgestoßen. Zwischen den Oberkommandierenden beider Armeen war vereinbart worden, dass in einem „Korridor“ zwischen Mulde und Elbe, sich nur Aufklärungstrupps bewegen sollten. Die Anweisung an die amerikanischen Soldaten bei unvermutetem Zusammentreffen mit den Russen soll „Treat them nicely“ gelautet haben. Ab 21./22. April wurden die Befehle an die Fronttruppenteile präziser. Wer Kontakt mit der Roten Armee habe, sollte das an das Hauptquartier des Expeditionskorps melden und Vorbereitungen für ein Treffen höherer Truppenführer organisieren. Eine Nachrichtensperre wurde verhängt. Die Regierungen in Washington, London und Moskau sollten die Begegnung gleichzeitig bekannt geben können.
Patrouillentätigkeit auf beiden Seiten
Kämpfende deutsche Truppenteile waren in diesem Gebiet nicht mehr. Als Erkennungszeichen zwischen Alliierten und Roter Armee waren grüne bzw. rote Leuchtzeichen vereinbart worden. Am 24. April startete aus dem Ort Trebsen eine 35 Mann starke US-Patrouille unter Führung von Oberleutnant Albert Kotzebue. Sie blieb über Nacht in Kühren und setzte dann am 25. April ihre Aufklärungstätigkeit Richtung Elbe fort. Am Ostufer, nördlich Strehla, hatte sie gegen 12.30 Uhr „first physical contact, Russian Army“, so die Eintragung auf einer Handskizze der Patrouille.
Von Wurzen, das in der Nacht des 23./24. April von amerikanischen Truppen eingenommen worden war, setzte sich am 25. April gegen 10.00 Uhr eine andere Aufklärungspatrouille unter Führung von Unterleutnant William (Bill) Robertson Richtung Nordosten in Marsch. Mit einem Jeep, aufmontiert ein Maschinengewehr, und drei Begleitern begegnete die Patrouille versprengten deutschen Soldaten. Sie berichteten, dass sich in Torgau amerikanische Kriegsgefangene befinden sollten. Robertson entschloss sich, entgegen seines Auftrags, die Flüchtlingsströme ostwärts von Leipzig zu erkunden, weiter nach Torgau aufzuklären.
Wehrmachtspioniere hatten die Brücke gesprengt
Die Brücke, auf der Allan Jackson einen Tag später seine Fotos machte, war um 3:30 Uhr des 25. April gesprengt worden. Als sich Robertsons Patrouille der Brücke näherte, wurde sie vom Ostufer von Rotarmisten beschossen. Es dauerte eine Weile, bis diese erkannt hatten, dass es tatsächlich die Verbündeten waren. Robertson hatte aus einem Bettlaken eine behelfsmäßige US-Flagge mit Farben aus einer Drogerie eingefärbt. Vom Turm Schloss Hartenstein nahe am Westufer der Elbe, schwenkte er sie. Dieses Erinnerungsstück bekam später der Oberkommandierende der alliierten Truppen General Dwight D. Eisenhower, der Robertsons Patrouille in sein Hauptquartier nach Reims eingeladen hatte und ihn auch beförderte. Der Verbleib der „home-made flag“ ist unbekannt. Auf den zerstörten Brückenträgern krochen Robertson und zwei Mann etwa gegen 16.00 Uhr nach Osten und einige Russen nach Westen. Paul Staub, aus der Patrouille war, am Jeep auf dem Westufer geblieben. Nach begeisterter Begrüßung fuhr Robertson dann mit einem Boot wieder auf das westliche Ufer zurück. Vier Russen begleiteten ihn und seine Männer auf den Bataillonsgefechtsstand nach Wurzen, um zu beweisen, dass die Begegnung wirklich stattgefunden hatte.
Durcheinander auf dem Gefechtsstand des 273. Infanterieregiments
Hier wurde versucht, die Meldungen, wann, wer und wo Patrouillen mit russischen Aufklärungstrupps zusammengetroffen waren, zu entwirren. Schließlich wurde für den 26. April, 10.00 Uhr, ein Treffen der Kommandeure in Torgau festgelegt.
Im Laufe des Tages begegneten sich immer mehr Amerikaner und Russen auf der West- und Ostseite der Elbe. Torgau zog auch die Kriegsreporter an, dabei waren auch Ann Stringer, Korrespondentin der „United Press“ und der Fotograf Allan Jackson vom „American News Service“. Während Stringer auf den Gefechtsständen Informationen sammelte und die Beteiligten interviewte, „arrangierte“ Jackson das Brückenfoto mit amerikanischen und sowjetischen Soldaten, die sich die Hände entgegenstrecken. Als erfahrener Fotoreporter hatte er mehrere Aufnahmen von der Szene gemacht, aber immer wieder steht die Symbolik, der Hände im Bildmittelpunkt.
Von Paris um den Globus - Torgau wird weltbekannt
Ann Stringer schaffte es, mit Jacksons Film und ihrer Reportage „Bravo Amerikanski“, die sie unterwegs im Flugzeug geschrieben hatte, nach Paris ins US-Pressezentrum zu kommen. Von dort fanden ihre Reportage und Jacksons Fotos den Weg auf die Titelseiten der Zeitungen. Im Laufe der nächsten Tage zogen die Amerikaner in Torgau ein. Ihr Aufenthalt in Sachsen und Thüringen dauerte nur bis Anfang Juli 1945, dann zogen sich die US-Truppen nach Westen zurück und die Rote Armee folgte ihnen.
Der Abzug ging auf das Londoner Protokoll vom 12. September 1944 zurück, in dem die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen und die Verwaltung Groß-Berlins beschlossen worden war.
Geplant für den jährlich stattfindenden ELBE DAY 2020 waren verschiedene Veranstaltungen und Feierlichkeiten vom 23.-26. April. Mit dem internationalen Dialog „75 Jahre Begegnung an der Elbe. Aus einem historischen Moment wird eine große Chance“ sollte an das Geschehen im April 1945 in und um Torgau erinnert werden. Aber ausgerechnet zum großen Jubiläum verhindert Covid-19 den ELBE DAY 2020.
Literaturhinweise:
Lange, Karl-Heinz (2005): April1945 in Torgau, Begegnung an der Elbe, Torgauer Geschichtsverein, die Fotos sind in diesem Heft enthalten.
Müller, Horst (1993): Garnisonsstadt Torgau, Kl. Schriften des Torgauer Geschichtsvereins, Heft 2.