Von Peter E. Uhde (Text u. Fotos)
Geist und Wille formen den Strategen
In der ersten Konferenz 2016 war versucht worden, eine Definition von Strategie zu erarbeiten, da der Begriff seit Jahren inflationär verwendet wird. In der zweiten Konferenz 2017 ging es hauptsächlich um das militär-wissenschaftliche Kernfach „Strategie“, seine inhaltliche Bedeutung, Auslegung und Entwicklung seit Carl von Clausewitz (1780-1831). Für die dritte Konferenz im vergangenen Jahr hatte die Leitung ein konkretes Thema den Vortragenden vorgegeben.: Narrative, Cyber, Hybridizität, Resilienz – neue Phänomene, alter Wein oder nur ein bewegliches Heer von Metaphern? Das Ergebnis ist im Konferenzband publiziert und umfasst 600 Seiten. (Hrsg. Wolfgang Peischel, Carola Hartmann Miles-Verlag, Berlin). 2018 hatte der Autor im Themenbereich Strategie und Medien / Strategische Kommunikation „Die Gesellschaft für Sicherheitspolitik – seit 1952 im Dialog mit der Bevölkerung“ vorgestellt.
Werner Fasslabend, Bundesminister für Landesverteidigung 1990-2000 und jetzt Präsident des Austria Institut für Europa- und Sicherheitspolitik referierte über Strategie und Wille der Groß- und Supermächte. In seinem Vortrag stand Geopolitik im Mittelpunkt und die Zuhörerfolgten dem Redner rund um den Globus.
Aus ganz anderer Perspektive näherte sich Eberhard Birk dem Thema: Strategie und Wille. Analogiebildung im Deutschen Bund und EU am Beispiel des Krieges von 1866 im südwestdeutschen Raum. Mit Blick in die Militärgeschichte ging er auf Entwicklungsstufen des strategischen Denkens ein. Die Operationalisierung erläuterte Birk am Gefecht bei Tauberbischofsheim am 27. Juli 1866, bei dem preußische Truppen gegen Truppen der Bundesarmee kämpften. In seinem Vortrag nahm er auch Bezug auf Generaloberst Hans von Seeckt , Chef der Heeresleitung der Reichswehr (1920-1926, der feststellte: „Geist ohne Willen ist wertlos, Willen ohne Geist ist gefährlich“.
In eine ganz andere Gedankenwelt und in die Gegenwart zurück holte Vasily K. Belozerov die Teilnehmer. „Die Militärdoktrin Russlands als Ausdruck des staatlichen Willens“ Bei ihm durfte der Rückgriff auf Aussagen Carl von Clausewitz, der von 1812-1814 in russischen Diensten stand, nicht fehlen. „Der Krieg ist also ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen.“
Dass Strategie und Wille bei Konflikten ökonomische Überlegungen beinhalteten erläuterte Klaus Beckmann, Präsident der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr u.a. am Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea.
Bei Harald Kujat standen Europa und die Atlantische Allianz im Mittelpunkt seiner Ausführungen. Der Generalinspekteur (2000-2002) und danach Vorsitzende des Militärausschusses der NATO (2002-2005) hatte sein Thema „Strategie und Wille – die außen- und sicherheitspolitische Dimension“ genannt. An verschiedenen Belegen stellte er fest, „unseren Politikern fehlt es an sicherheits- und außenpolitischem Willen.“
Der österreichische Chef des Generalstabes Robert Brieger nahm eine nüchterne Analyse der Sicherheitspolitik Österreichs vor. Er bedauert das geringe Interesse der Gesellschaft an sicherheitspolitischen Fragen. Das Ansehen des Bundesheeres ist immer dann besonders gut, wenn es bei Notfalleinsätzen im zivilen Bereich hilft. Die notwendige finanzielle Ausstattung, um den Auftrag Landesverteidigung zu erfüllen, wird politisch vernachlässigt.
Im letzten Jahr war Karin Kneissl noch Bundesministerin für Europa, Integration und Äußeres, jetzt stand a.D. hinter ihrem Namen. Für sie ist Diplomatie – der Wille zum Gespräch, d.h. Verhandeln – Vertreten – Informieren. Sie bedauerte, dass die Kunst der Konversation immer geringer geworden ist und außenpolitische Themen immer weniger von den Außenpolitikern behandelt werden. Dieses Themenfeld wird auf die Staats- und Regierungschefs verlagert.
Einen Streifzug durch die Entwicklung europäisch – westlicher Werte unternahm Matthias Beck. Von der griechischen Philosophie zum Judentum, Christentum und zur Europäischen Aufklärung spannte er den Bogen. Was suchen die Menschen, seine Antwort: Glück. Das bedeutet und erfordert Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Maß. Langfristige Strategien im Denken in Politik und Wirtschaft sind notwendig. Was wollen wir eigentlich verteidigen? Darüber muss mehr nachgedacht werden, um dann die dazu notwendige Strategie zu entwickeln. Wenn es um diese geht, steht der Faktor Mensch im Mittelpunkt.
Roman Schuh leitete das Panel: Strategie und Mensch: Werte, Religion und Interkulturalität. Auf dem Podium Militärbischof Werner Freistetter, Gunnar Heinsohn (Wirtschaftswissenschaftler und Soziologe), Matthias Beck (Pharmazeut, Mediziner, Theologe) und Major Daniel Wurm. Zum Willen gehört auch Opferbereitschaft. Wenn Menschen realisieren, dass es um sie selbst geht, kann Sicherheit einen Wert bekommen. Ethikunterricht gehört in die Schulen, war eine Forderung des Theologen. Worin liegt ist die Stärke Europas, es hat kein Personal für große Armeen. Napoleon Bonaparte soll noch gesagt haben, eine warme Sommernacht in Paris bringt mir eine neue Armee.
Auch in dieser Konferenz befassten sich die Teilnehmer mit Strategie und Medien/Strategische Kommunikation. Ute Axmann aus dem Kabinett des Verteidigungsministers leitete ein Panel mit Jasmin Terfoorth (Redaktion der Bundeswehr) Friedrich K. Jeschonnek (Hardthöhenkurier), Michael Codner (Royal United Service Institute) und dem Verfasser. In diesen Themenblock reihte sich der Vortrag von Jamie Shea ein, der von 1993-2000 Sprecher der NATO war und jetzt eine Professur für Strategie und Sicherheit an der Universität in Exeter hat.
Herfried Münkler, Autor von „Die neuen Kriege“ oder „Der Dreißigjährige Krieg“ hatte seinen Vortrag „Der Wille zur Strategie. Strategisches Denken im Lichte der Erosion von Binarität“ überschrieben. Strategisches Denken ist komplexer geworden. Diejenigen die es tun sind Außenseiter und müssen sich vor der Politik rechtfertigen. Das Ende der binären Ordnung ist eingetreten. Werte sind keine Grundlagen mehr für Bündnisse. Die Bundesrepublik wird als wirtschaftlicher Faktor akzeptiert aber nicht als Militärmacht. Mit „uns fehlt der Wille zum Willen“ schloss der Redner seine Ausführungen.
Mit NAO kam ein künstliches Wesen aus dem Cyberraum in die Sala Terrena. Die Bedeutung des Cyberraum als fünfte Domäne, neben Land-, Luft-, See- und Weltraum, wird in seiner strategischen Bedeutung noch unterschätzt. Kurt Herrmann, Präsident der Clausewitz Gesellschaft und Kuratoriumsmitglied der GSP, eröffnete mit einem Impulsvortrag das Panel: Strategie im Cyberraum. Die Gefahren die sich aus dem Cyberraum ergeben, sind ein Problem der Sicherheitspolitik. Durch NAOs künstliche Stimme mit Hinweisen auf Zeitüberschreitungen beim Redner wurde das nachdenkliche Thema etwas gelockert.
Mit seinem ernüchternden Blick auf die sicherheitspolitische Situation im Nahen Osten setzte Dan Schueftan, Director Nataional Security Studies Center, University of Haifa, den Schlussakkord der 4. Wiener Strategiekonferenz, einer sicherheitspolitischen Tagung von hoher fachlicher Qualität und einzigartig im deutschsprachigen Raum.