„Der tragische Held“ lautet die Überschrift einer Würdigung des Wegbereiters von Glasnost (Transparenz) und Perestroika (Umbau) der sowjetischen Gesellschaft in einer Tageszeitung. In vielen Staaten des ehemaligen Ostblocks, aber vor allem in westlichen Demokratien ist er als Visionär und Reformer hochgeschätzt. In seiner Heimat Russland gilt er bei vielen, als derjenige, der zum Niedergang der Sowjetunion beigetragen hat. Manche nennen ihn sogar einen Verräter. Für Deutschland war er ein Glücksfall Ohne ihn hätte es die friedliche Revolution in der ehemaligen DDR, den Fall der Mauer am 9. November 1989 und letztlich die Widervereinigung am 3. Oktober 1990 nicht gegeben.
Schauen wir auf den Lebensweg des „tragischen Helden“ und des Staatsmannes dem die Worte „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ zugeschrieben werden. Am 2. März 1931 wird er in dem Dorf Priwolnoje bei Stawropol im Nordkaukasus geboren. Sein russischer Vater und die ukrainische Mutter arbeiten als Bauern in einer Kolchose. Gorbatschow schafft es zum Jurastudium an die Universität nach Moskau, dass er 1955 erfolgreich abschließt. Hier lernt er die Philosophiestudentin Raissa Titarenko kennen, die später seine Frau wird. 1952 tritt er in die Kommunistische Partei der Sowjetunion (KPdSU) ein.
Zunächst ist er auf regionaler Ebene als Parteisekretär und ab 1962 als Abteilungsleiter im Regierungskomitee der KPdSU in Moskau tätig. Im März 1980 gelingt ihm der Sprung in den obersten Führungszirkel der Partei. Er wird Vollmitglied des Politbüros der KPdSU. In der Altherrenriege des Zentralkomitees (ZK)K ist er die jugendliche Ausnahme. Seine Karriere geht steil nach oben. Zuerst als rechte Hand von Generalsekretär Juri Andropow, der wie er aus Stawropol stammt und danach von dessen Nachfolger Konstantin Tschernenko.
Nach dessen Tod am 10. März 1985 wird Gorbatschow einstimmig als sein Nachfolger gewählt. Schon im Oktober erfährt die Öffentlichkeit vom neuen Kurs, der die verkrusteten gesellschaftlichen Strukturen in der Sowjetunion zu reformieren. „Glasnost“ und „Perestroika“ werden die Begriffe, die immer mit dem Namen Gorbatschows verbunden bleiben werden.
In der Außen- und Sicherheitspolitik sind die „Nulllösung“, der Abbau der Mittelstreckenraketen und die Beendigung des Afghanistan-Krieges sichtbare Erfolge seiner Politik. Ein Ziel seines Engagements ist, die Belastungen der sowjetischen Volkswirtschaft durch die enormen Rüstungsausgaben zu reduzieren. Das bedeutet die Armee zu verringern und Abzug der sowjetischen Truppen aus der DDR, der CSSR und Ungarn.
1989 ist Gorbatschow aus Anlass des 40-jährigen Staatsjubiläums der DDR in Ost-Berlin. Unmittelbar danach wird Erich Honecker gestürzt, Egon Krenz wird sein Nachfolger. Der weitere Verlauf der „friedlichen Revolution“ in der DDR führt zur Vereinigung Deutschlands, die ohne „Glasnost“ und „Perestroika“ wohl nicht so schnell zustande gekommen wäre.
Der Geist der Freiheit und Unabhängigkeit ist nicht mehr aufzuhalten. 1991 erfolgt die Auflösung des „Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand“ kurz Warschauer Pakt genannt, der am 14. Mai 1955 geschlossen worden war.
Innenpolitisch werden die Schwierigkeiten für Gorbatschow immer größer. Nationalitätenkonflikte und Selbständigkeitsbestrebungen verschiedener Sowjet-republiken sind mit diplomatischen Mitteln nicht mehr zu lösen. Ihm wird Verrat am sozialistischen System vorgeworfen, seine Macht eingeschränkt.
Am 19. August 1991 kommt es in Moskau zum Putschversuch reaktionärer Kräfte gegen den Präsidenten. Gorbatschow hält sich auf der Krim auf und wird von den Ereignissen überrascht. Der Putsch schlägt zwar fehl, stärkt aber die Macht des russischen Präsidenten Boris Jelzin. Gorbatschow gibt seine Funktion als Generalsekretär der KPdSU auf.
Am 8. Dezember 1991 unterzeichnen die Staatschefs von Russland, der Ukraine und Belarus die Auflösung der Sowjetunion. Damit ist die Sowjetunion Vergangenheit und Gorbatschow tritt als letzter Präsident der Sowjetunion am 25. Dezember 1991 zurück. Die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) tritt die Nachfolge der „ruhmreichen Sowjetunion“ an. Im April 2005 bezeichnet Wladimir Putin den Zerfall der Sowjetunion als „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“.
Die von Gorbatschow auf den Weg gebrachte „Perestroika“ hatte ihn überholt. Seine Leistung, das kommunistische Parteisystem in der Sowjetunion für Neuerungen geöffnet zu haben, wurde nicht anerkannt. Nach seinem Abgang aus der Politik, erhielt er am 15. Oktober 1991 den Friedensnobelpreis Er hat mehrere Bücher geschrieben, u.a. „Wie es war. Die deutsche Wiedervereinigung“. Sein Verhältnis zu Deutschland war immer gut.
Am 7. November 1999 wurde er mit der „Sonderstufe des Großkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland“ geehrt. Seine Frau Raissa, mit der er seit 1953 verheiratet war, ist 1999 nach schwerer Krankheit in einer Klinik in Münster/Westfalen verstorben. Die einzige Tochter Irina Wirganskaja lebt mit ihrem Mann in Berlin.
Anlässlich Gorbatschows Tod schickte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ein Kondolenzschreiben an sie.“ Deutschland bleibt ihm verbunden, in Dankbarkeit für seinen entscheidenden Beitrag zur deutschen Einheit, in Respekt für seinen Mut zur demokratischen Öffnung und zum Brückenschlag zwischen Ost und West, und in Erinnerung an seine große Vision von einem gemeinsamen und friedlichen Haus Europa“, heißt es darin.
Eine Biografie über den letzten „Chef der Sowjetunion“ trägt den Titel: „Gorbatschow, der Mann, der die Welt verändert hat“ und wo anders ist über ihn zu lesen “vieles erreicht und dennoch in vielem gescheitert“. Beide Feststellungen treffen wohl auf den Staatsmann zu, der am 30. August 2022 im Alter von 91 Jahren gestorben ist. Seine letzte Ruhestätte hat er auf dem Moskauer Friedhof am Nowodedewitsch-Kloster neben seiner Frau Raissa gefunden.