Verminte Gräben in der NATO – Brückenbauer sind gefragt

Verminte Gräben in der NATO – Brückenbauer sind gefragt

Wenn es nach der Aussage des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron geht, ist das Nordatlantische Bündnis nicht mehr am Leben. Über seine „Hirntod“ Feststellung wird es sicher kontroversen Gesprächsstoff beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschef am 3./4. Dezember in London geben. Befürchtungen, dass Frankreich die militärische Integration in der beenden wird, gibt es aber nicht. Mitte der sechziger Jahre war das der Fall. Das führte 1966 zur Verlegung des politischen und militärischen Hauptquartiers nach Belgien. Auch der Militärausschuss zog von Washington nach Brüssel.

Von Peter E. Uhde

Vermintes Gelände ist zu säubern

Nachdem auch der amerikanische Präsident mit seiner Air Force One in London einfliegen wird, kommt vermutlich auch wieder die „Zwei-Prozent-Forderung“ auf den adventlichen Gabentisch. Bundeskanzlerin Angela Merkel wird sich mit Donald Trump am Rande des NATO-Gipfels zum Vieraugengespräch treffen. Vielleicht kann sie ihn mit den aktuellen Zahlen des Verteidigungshaushaltes beruhigen. Gespannt kann die NATO-Familie auch auf das Aufeinandertreffen von Staatspräsident Macron und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan sein, der Macrons Bemerkungen über die NATO als „Beispiel einer kranken Ideologie“ bezeichnet hat. Inwieweit die Anschaffung russischer Raketenabwehrsysteme durch die Türkei in diese Ideologie passen, wird sicher auch in London diskutiert werden. Aber unabhängig von diesen atmosphärischen Störungen im 70. Jahr des Bestehens der Allianz, lohnt sich ein deutscher Blick in Geschichte und Entwicklung des politischen und militärischen Bündnisses.

Vom Brüsseler-Pakt zur NATO

Nach 1945 sind die weltpolitischen Schwergewichte neu verteilt.  Die Vereinigten Staaten von Amerika (USA) und die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) haben die führenden Stellungen in der nun zweigeteilten Welt übernommen. In Europa schließen Großbritannien und Frankreich am 4. März 1947 den Vertrag von Dünkirchen. Es ist ein Sicherheitspakt gegen Deutschland. Ein gutes Jahr später, am 17. März 1948, beschließen Großbritannien, Frankreich, die Niederlande, Belgien und Luxemburg im Brüsseler Pakt eine gemeinsame Verteidigung. Angesichts der zunehmenden Bedrohung durch die Sowjetunion wird der Brüsseler Pakt dann am 4. April 1949 zum Nordatlantikpakt (NATO-North Atlantic Treaty Organisation) erweitert. Die Unterzeichnung fand in Washington statt. Der Pakt umfasst zunächst die Vertragspartner des Brüsseler Paktes, dazu kamen Dänemark, Island, Italien, Norwegen, Portugal und die beiden außereuropäischen Staaten USA und Kanada. Diese zwölf Gründungsmitglieder gehören dem Bündnis bis heute an. Die vertragschließenden Staaten bekundeten ihr gemeinsames Interesse an der Erhaltung des Friedens und der Verteidigung der Freiheit durch politische Solidarität und militärische Verteidigung bei feindlichen Aggressionen. Nachdem in den nächsten Jahren die Südostflanke des Bündnisses stärker in den kommunistischen Einfluss geriet, wurden Griechenland und die Türkei als 13. und 14. Mitgliedstaat in die NATO aufgenommen.

Die Bundesrepublik wird in die Allianz aufgenommen

Blicken wir nach Deutschland. Nach Gründung der Bundesrepublik am 8. Mai 1949 wird diese 1954 in die Westeuropäische Union (WEU) aufgenommen. Die WEU entstand nach dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG). Am 30. August 1954 lehnte Frankreich die EVG ab. Die Forderung eines deutschen Verteidigungsbeitrages, besonders von den USA, musste anders gelöst werden. Am 23. Oktober 1954 wurde die Bundesrepublik Deutschland Mitglied der NATO und mit dem Erlangen der Souveränität am 5. Mai 1955 in vollem Umfang wirksam. Die Bundesrepublik hatte noch keine Soldaten, es existierte das Amt Blank, Vorläufer des Bundesministeriums für Verteidigung. Der Aufbau der Bundeswehr begann mit der Ernennung der ersten 101 Freiwilligen am 12. November 1955 in der Ermekeil-Kaserne in Bonn.  Es folgte die Einberufung von rund 1.000 Freiwilligen am 2. Januar 1956 in Andernach, Nörvenich und Wilhelmshaven. Mit der Übernahme von rund 10.000 Angehörigen des Bundesgrenzschutzes am 1. Juli 1956, weiteren Freiwilligen und der Einberufung von Wehrpflichtigen zum 1. April 1957 war der Grundstock für drei Heeresdivisionen gelegt. Die Aufstellung der Bundeswehr stand unter erheblichem Druck der Allianz. Die Niederschlagung des Ungarnaufstandes im Oktober 1956 durch sowjetische Truppen, die militärischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und Ägypten, in die Frankreich und Großbritannien eingriffen, führten zu massiven russischen Drohungen. Hinzu kam die fortschreitende Militarisierung in der DDR.

Politische und militärische Anerkennung durch die Verbündeten

Am 3. Juli 1957 stellte Generalinspekteur Adolf Heusinger die ersten drei Heeresdivisionen und zwei Korpsstäbe der NATO zur Verfügung. Der Generalinspekteur wird 1961 zum Vorsitzenden des höchsten militärischen Gremiums der NATO dem Militärausschuss berufen. Weitere Generalinspekteure auf diesem Posten sind die Generale: Johannes Steinhoff (1971 bis 1974), Wolfgang Altenburg (1986-1989), Klaus Naumann (1996-1999) und Harald Kujat /2002-2005). Als bisher einziger deutscher Generalsekretär wurde der seit Oktober 1982 amtierende Verteidigungsminister Manfred Wörner in das höchste politische Amt der Allianz gewählt, das er am 1. Juli antrat. Aufgrund einer Erkrankung verstarb er mit 59 Jahren am 13. August 1994 in Brüssel. Die Bundeswehr verleiht zur Erinnerung an den Verteidigungsminister die „Manfred-Wörner-Medaille“.  Am 6. November wurde der seit 2014 amtierende Generalsekretär des transatlantischen Bündnisses Jens Stoltenberg durch Verteidigungsministerin Annegret-Kram-Karrenbauer mit dieser Auszeichnung geehrt. Die Ministerin bezeichnete den ehemaligen norwegischen Ministerpräsidenten als einen Brückenbauer zwischen den USA und Europa. In London wird Jens Stoltenberg diese Eigenschaft besonders benötigen, denn einige Gräben zwischen der in zwischen auf 29 Mitglieder angewachsenen NATO sind vermint und da ist beim überschreiten „Wachsamkeit der Preis der Freiheit“.

Literaturhinweis:

Varwick, Johannes: NATO in (UN-) Ordnung. Wie transatlantische Sicherheit neu verhandelt wird. Wochenschau Verlag, 2017, ISBN 978-3-7344-0488-7.

  

 

 

 

Letzte News

  • 15Apr
    Alte Bedrohungen mit neuen Mittel - 10. Sicherheitspol. Bodenseekongress

    Dieser fand am 13. April in Friedrichshafen im Graf-Zeppelin-Haus statt. Die renommierte drei Länder Veranstaltung sicherheitspolitischer, militärischer und wehrtechnischer Organisationen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz widmete sich dem aktuellen Thema: Der Ukraine-Krieg und seine Folgen für Europa – militärisch, politisch und ökonomisch. Die militärische Sicht und Lagebeurteilung, des nun schon über zwei Jahre währenden Krieges, nahm Generalleutnant Mag. Bruno Günter Hofbauer vor.…

  • 15Apr
    Schwedens Mehrwert für die NATO - Das 32. Mitglied im Atlantischen Bündnis

    Der schwedische Premierminister Ulf Kristersson hatte mit seinem Außenminister Tobias Billström die Beitrittsurkunde seines Landes zur NATO bereits im März in Washington hinterlegt. Billström ist weiterhin unterwegs, die die Abkehr von der faktischen Neutralität Schwedens nach mehr als 200 Jahren zu begründen und den Gewinn für das atlantische Bündnis zu erläutern.

    Hierzu hatte die schwedische Botschaft in Berlin gemeinsam mit der HERTIE School zu einer Veranstaltung mit ihm Ende März…

  • 25Mar
    4. April 2024 – 75 Jahre NATO. Gemeinsinn und Neuausrichtung ist nötig

    Das 75-jährige Bestehen der North Atlantic Treaty Organisation (NATO) wäre ein guter Grund zum Feiern. Doch die sicherheitspolitische Lage in der Welt, besonders die Kriege in der Ukraine und in Gaza, sind kein Grund dafür. Die NATO ist mit Finnland (4. April 2023) und Schweden (7. März 2024) auf 32 Nationen angewachsen. Aktueller Anlass war die „Spezialoperation“ der russischen Föderation am 24. Februar 2022 in die Ukraine. Seit Wladimir Putin am 18. März 2024 wieder zum Präsidenten gewählt…

  • 12Mar
    Zypern – Ausgangspunkt für Gaza-Hilfe

    „Open Arms“ mit Hilfsgütern unterwegs

    Wieder einmal steht die östliche Mittelmeerinsel Zypern im öffentlichen Interesse.  Von der Hafenstadt Larnaka, im Südosten der Insel, ist das erste Schiff mit Hilfslieferungen Richtung Gaza in See gestochen. Die „Open Arms“, gehört einer spanischen Hilfsorganisation ist mit 200 Tonnen Nahrungsmitteln, Wasser und Medikamenten unterwegs. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der zyprische Präsident Nikos Christodoulides waren die Antreiber für…

  • 23Feb
    Wir wählen die Freiheit – Motto bei „Cafe Kyiv“ / Die Zukunft der Ukraine in Europa

    Wir wählen die Freiheit – Motto bei „Cafe Kyiv“

    Die Zukunft der Ukraine in Europa

    „Cafe Kyiv – Wir wählen die Freiheit“: unter diesem Motto veranstaltete die Konrad-Adenauer-Stiftung am 19. Februar mit 30 Partnerorganisationen, u.a. auch der Gesellschaft für Sicherheitspolitik, im Colosseum in Berlin zum zweiten Male nach 2023 ein vielseitiges Programm mit Workshops, Diskussionen, Salons und kulturellen Aktivitäten.  Themen wie Freiheit, Europa, Sicherheit und Wiederaufbau der Ukraine standen…

  • 17Feb
  • 16Feb
    Furor und Harmonie. Die Kunst der Diplomatie.

    60. Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) - Furor und Harmonie. Die Kunst der Diplomatie.

    Antonio Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen, wird die 60. Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) eröffnen. Sie findet vom 16. bis 18. Februar 2024 statt. Für das Jubiläum hat sie ihrem Kürzel-Logo eine 60 beigefügt. Gründer dieser sicherheitspolitischen Konferenz war Ewald-Heinrich von Kleist.  Unter dem Namen „Wehrkundetagung“ wurde sie 1963 erstmals in München ausgerichtet. Teilnehmer waren u.a.…

  • 03Feb
    BM Christian Lindner bestätigt Zwei-Prozent-Ziel für Vtdg-Haushalt bis 2028

     

    Der „Hüter der Schuldenbremse“ Bundesfinanzminister Christian Lindner bestätigt das Zwei-Prozent-Ziel für den Verteidigungsetat, trotz massiver Budgetzwänge, in der mittelfristigen Haushaltsplanung. Im Interview beim diesjährigen Gipfel der Weltmarktführer in Schwäbisch Hall am 1. Februar bekräftigte Bundesfinanzminister Lindner das Vorhaben der Bundesregierung, bei den Beratungen für den Haushalt 2025 zur mittelfristigen Budgetplanung bis 2028 zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für…

  • 30Jan
    General a.D. Hartmut Bagger, Präsident der Gesellschaft 1999/2000, verstorben

    Hartmut Bagger, Präsident der Gesellschaft 1999/2000, verstorben

     

    30. Januar 2024 Von Peter E. Uhde

     

    Vergangenen Freitag, den 26. Januar 2024 ist General Hartmut Bagger in Meckenheim verstorben. Am 8. Februar 1996 wurde er Nachfolger von General Klaus Naumann, der zum Vorsitzenden des NATO-Militärausschuss in Brüssel gewählt wurde.

    Damit erreichte die Karriere des am 17. Juli 1938 in Braunsberg/Ostpreußen geborenen ihren Höhepunkt. Ende des Krieges aus seiner Heimat vor dem russischen…

  • 24Jan
    Europa-Wahl 2024: die EVP fordert „echten“ EU-Außenminister sowie Verteidigungskommissar

    In ihrem Wahlprogramm für die anstehende Wahl zum Europäischen Parlament, welches auch Neuerungen in Kommission und Rat beinhaltet, fordert die von der konservativen Parteienfamilie gebildete EVP, der auch CDU und CSU angehören, zahlreiche Änderungen in den Kommissar-Portfolios, Gremien und der Marktintegration.

    Mit dem Ziel, die Handhabung der außen- und verteidigungspolitische Agenda der EU entscheidend zu verbessern, spricht sich die EVP für die Schaffung eines "echten"…

GESELLSCHAFT FÜR SICHERHEITSPOLITIK E.V.

Vereinsregister-Nr. 5684
beim Amtsgericht Bonn

KONTAKT

Hauptstadtbüro:              
Reichstagufer 14, 10117 Berlin  
Tel.: +49 (0) 30 20648549
praesident©gsp-sipo.de

Geschäftsstelle Bonn:  
Wenzelgasse 42, 53111 Bonn
Tel.: +49 (0) 228 - 652556
Fax: +49 (0) 228 - 658093
geschaeftsstelle©gsp-sipo.de

GEMEINNÜTZIGKEIT

Die GSP e.V. ist  als gemeinnützig und spendenfähig anerkannt worden.

 

 

 

©  Gesellschaft für Sicherheitpolitik e.V.