Trump hat es also schon wieder getan: Nach dem einseitigen Ausscheiden der USA aus dem Atomabkommen mit dem Iran hat er ein weiteres, für die europäische Sicherheit wichtiges Vertragswerk beendet. Doch anders als im Fall Iran, der sich an die vereinbarten Regeln gehalten hatte, hatte der INF-Vertragspartner Russland sich schon seit einer Weile von einer regelgerechten Anwendung des INF-Abkommens verabschiedet. Bereits während der Obama-Administration waren Zweifel aufgekommen, da Moskau einen neuen Marschflugkörper - von der NATO als SSC-8 bezeichnet – entwickelte, der mit seiner vermuteten Reichweite von mehr als 500 km gegen INF verstiess. Inzwischen hat Moskau den neuen, nuklearfähigen Marschflugkörper an mehreren Standorten in Russland stationiert. Nicht nur Trump missfiel dies: Im Dezember 2018 erklärten die NATO-Aussenminister unisono, dass Russland gegen den INF-Vertrag verstossen habe und forderten Russland zur Rückkehr zur Vertragstreue auf. Das ist nicht geschehen – daher das Ende von INF.
Bislang verfehlte Russland ein ihm wichtiges Ziel: Der Spaltung der Atlantischen Allianz. Bei der nun anstehenden Debatte über mögliche Gegenmassnahmen gilt es, diese Einigkeit zu bewahren. Russland hat sich schon seit Jahren eine Überlegenheit bei nuklearen Kurzstreckensystemen zu Lande, zu Wasser und in der Luft erarbeitet. Mit der SSC-8 kann es nun Ziele bis weit hinein nach Westeuropa ins Visier nehmen. Ziel Russlands ist offenbar die Herstellung einer Eskalationsdominanz in regionalen Konflikten mit der NATO. Um dem entgegenzuwirken, sollte die Allianz ihre konventionellen Abschreckungsfähigkeiten stärken. Dazu kann auch die Stationierung konventionell bewaffneter, bodengestützter Marschflugkörper gehören. Auch eine verbesserte erweiterte Luftverteidigung bis hin zu Raketenabwehr wird an Bedeutung gewinnen. Auf neue Kernwaffen in Europa sollte indes verzichtet werden. Moskau wartet nur auf einen solchen Beschluss, der kontroverse Debatten auslösen und den russischen «Fake-News» Produzenten reihenweise Möglichkeiten der Beeinflussung der westlichen Öffentlichkeit auf dem Silbertablett servieren würde.
Auf einem anderen Blatt steht die dringend notwendige Aufrechterhaltung der bewährten nuklearen Teilhabe innerhalb der NATO. Hier gilt es, die entsprechenden Kampfflugzeuge zu modernisieren. Deutschland spielt dabei eine Schlüsselrolle. Der Tornado muss bald ersetzt werden: Durch die Anschaffung von F-18 oder eine Zertifizierung des Eurofighters für nukleare Aufgaben.
Begrüssenswert wären darüber hinaus neue Rüstungskontrollinitiativen. Sie stossen jedoch auf ein derzeit kaum überwindbares Problem: China müsste eingebunden werden. Peking hat inzwischen an weltpolitischer Statur gewonnen. Es hat stark bei konventionell wie nuklear einsetzbaren Mittelstreckenraketen aufgerüstet. Sowohl Moskau als auch Washington sehen dies als gegen ihre Sicherheitsinteressen gerichtet. Doch Peking ist nicht zur Rüstungskontrolle bereit. Es fürchtet die damit einhergehende Transparenz und argumentiert, zunächst sollten die USA und Russland, die nach wie vor über etwa 90% aller Atomwaffen verfügen, bei der nuklearen Abrüstung und Rüstungskontrolle Fortschritte erzielen.
Sicherheit in und für Europa wird in den kommenden Jahren nicht einfach zu buchstabieren sein. Ziel muss es auf jeden Fall für die westlichen Staaten sein, gemeinsame Antworten auf komplexe Fragen zu finden.
Dr. Oliver Thränert leitet den Think Tank am Center for Security Studies der ETH Zürich und ist Non Resident Senior Fellow der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
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