Sektion Bonn

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Donnerstag, 19.11.2020 - 19:00

UN-Peacekeeping - Die Zukunft des Multilateralismus unter veränderten Rahmenbedingungen

Zum 75-jährigen Jubiläum der Gründung der Vereinten Nationen (UN) wollen wir uns mit der Frage beschäftigen, welche Relevanz die Weltorganisation neben vielen anderen Aufgaben im Rahmen des Engagements für die Sicherheit (Pacekeeping) heute noch besitzt. Was waren die 1945 die Ziele, wie steht es um die Reformfähigkeit der UN und vor welchen Herausforderungen steht sie insgesamt?
Webinar
Referent: Dr. Manuela Scheuermann , Vizepräsidentin GSP, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Professur für Europaforschung und Internationale Beziehungen, Jean-Monnet-Lehrstuhl, Institut für Politikwissenschaft und Soziologie, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Organisator: Stabshauptmann a.D. Roland Heckenlauer , Stellvertreter des Sektionsleiters roland.heckenlauer@gsp-sipo.de
0171 337 1657

Dr. Manuela Scheuermann, Christiane Heidbrink, Benedikt Roelen, Richard Rohde Foto: Copyright von Christiane Heidbrink

Frau Dr. Manuela Scheuermann, Vizepräsidentin der GSP und tätig am Institut für Politikwissenschaft und Soziologie der Universität Würzburg, trug zu „UN Peacekeeping – die Zukunft des Multilateralismus unter veränderten Rahmenbedingungen“ vor.

Frau Dr. Scheuermann spannte den Bogen ihrer Ausführungen von dem Anspruch, den Zielen und den Prinzipien der UN über die derzeitige Realität des UN-Peacekeeping hin zu den „Hausaufgaben“, die die UN im 75. Jubiläumsjahr in diesem Bereich zu erledigen hat.

Als nahezu seit der Gründung unveränderter normativer Kernauftrag der Weltorganisation („we the people“) gilt es den Frieden und die Sicherheit zu erhalten, die Menschenrechte zu schützen, dabei auch eine nachhaltige Entwicklung voranzutreiben und letztlich das Völkerrecht hochzuhalten.

Zur Erreichung dieser Ziele haben die UN die siebzehn sogenannten „Sustainable Development Goals“ erstellt, die dabei im Rahmen von „Peace, Justice and Strong Institutions“ weg von einem reaktiven hin zu einem aktiven, präventiven Ansatz einen positiven Frieden gestalten sollen, damit nicht nur staatliche Strukturen aufbauen, sondern auch strukturelle Gewalt in den Gesellschaften verhindern sollen.

Peacekeeping oder „Blauhelmeinsätze“ nationaler Truppen unter politischer Leitung der UN haben als dynamisches und facettenreiches Instrument von UN Peace Operations hier an Bedeutung gewonnen. Sie reichen von rein passiver Pufferbildung bis hin zu Kampfeinsätzen und umfassen militärische, zivile und polizeiliche Maßnahmen. Zurzeit sind ca. 95.000 Frauen und Männer in dreizehn sehr unterschiedlichen Missionen primär in Afrika und Asien im Einsatz. Frau Dr. Scheuermann wies dabei insbesondere auf die Komplexität dieser Operationen hin. Sie werden durchgeführt im Spannungsfeld der „Goldenen Regeln“ der UN zu Unparteilichkeit, Zustimmung der Konfliktparteien und Einsatz von Waffengewalt nur zur Selbstverteidigung auf der einen und der unabsehbaren Konfliktdynamik auf der anderen Seite, die ggf. den Waffeneinsatz zur Verteidigung des UN-Mandates bzw. zum Schutz der Zivilbevölkerung notwendig machen kann. Peacekeeping-Einsätze, die nicht immer einem solchen Anspruch gerecht werden können und daher auch heftig kritisiert werden, wurden von der Referentin plakativ als „die Suche nach der eierlegenden Wollmilchsau“ bezeichnet. Die Charakteristika von Peacekeeping-Operationen drücken sich in der Multidimensionalität der Missionen z.B. vom Schutz der Zivilbevölkerung bis hin zu Institutionenaufbau in einem zivil-militärischen Umfeld mit robusten Mitteln und interessierten Akteuren aus. Ein besonderes Augenmerk richtete die Vortragende auf das partnerschaftliche Engagement der UN mit anderen regionalen oder nationalen Handelnden am Beispiel Westafrikas, wo sich neben den UN auch die Europäische und die Afrikanische Union, die G5-Sahel-Staaten und Frankreich engagieren.

Frau Dr. Scheuermann führte zudem aus zu der Initiative des UN-Generalsekretärs „Agenda for Peacekeeping“, die als Konsequenz entstand aus der Erfahrung, dass bei Mängeln in der Durchführung von Peacekeeping-Einsätzen der „Schwarze Peter“ den UN zugeschoben wurde und wird. Zugleich zeigte sie die offensichtlichen Schwächen der gegenwärtigen UN-Strukturen auf, die z.B. durch Blockadeverhalten und Spaltung im UN-Sicherheitsrat notwendige neue große Operationen unmöglich machten. Hier erwartet sie von der Reformagenda – auch getrieben von Deutschland - neue Impulse.

Schließlich widmete sich Frau Dr. Scheuermann den „vielen kleinen und großen Baustellen“ und machte dieses an drei Themenbereichen deutlich:

Sie verwies zunächst darauf, dass es sich bei den zehn stärksten Truppenstellern für Peacekeeping-Einsätze um die „üblichen Verdächtigen“ wie z.B. Bangladesh, Äthiopien oder Nepal handelt. Ihrer Einschätzung nach engagieren sich diese Staaten zum Teil aus finanziellen Gründen, wegen der Visibilität und aus regionalem Interesse. Zu vermerken ist aber, dass die Truppen zum Teil schlecht ausgebildet und ausgerüstet bzw. aufgrund ihrer langen Stehzeiten im Einsatz durch mangelnde Moral gekennzeichnet sind. Hieraus entstehen auch die Imageprobleme der Einsätze. Die europäischen Nationen tauchen erst auf den Plätzen 21 (Italien) oder 36 (Deutschland) auf. Die EU-Nationen ziehen Ausbildungs- und Trainingsmissionen dem konkreten Peacekeeping-Einsatz vor.

Ein weiterer Aspekt ist die Beteiligung uniformierter Frauen in Friedenseinsätzen. Ziel der UN ist es, bis zum Ende des Jahrzehnts die Anteile von Frauen in den Militär-, Polizei- und Strafverfolgungskräften auf bis zu 30%+ zu erhöhen. 

Letztlich nicht unerwähnt blieb in den Ausführungen auch das hohe persönliche Risiko, das Einsätze im Rahmen vom Peacekeeping für die zivilen und militärischen Beteiligten durch Verwundung oder Tod bedeuten. Diese Gefahr hat erst in den letzten Jahren zugenommen, da die Mandatierung (also Umfang der Befugnisse) der Einsätze mit der Konfliktdynamik nicht immer mithalten konnte und die Blauhelme daher Ziel von Angriffen geworden sind.

Den Schlusspunkt ihres Vortrages bildete die eingehende Betrachtung zu einer substantiellen Reform des gegenwärtigen Peacekeeping-Ansatzes: „we need to change the way we are doing business“.

Die folgende Diskussion fokussierte sich auf Gewalt gegen „Blauhelme“, aber auch auf von diesen gezeigtes Fehlverhalten in Peacekeeping-Operationen, den in den UN zu beobachtenden Wertepluralismus und Multilateralismus (werte- versus interessenbasierte Politik), den Rahmen und Umfang von Schutzverantwortung und die Truppengenerierung durch die Nationen sowie letztlich die mögliche Weiterentwicklung von UN-Einsätzen im Hinblick auf Terrorismus.

Frau Dr. Scheuermann hat einen tiefen, aber sehr verständlichen Einblick in die UN-Friedenseinsätze gegeben, dabei die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit dargestellt und nachvollziehbar notwendige Reformansätze aufgezeigt. Ihre sehr offenen Ausführungen ließen bei aller Skepsis der derzeitigen Lage im Bereich „Peacekeeping“ aber auch einen gewissen Optimismus hinsichtlich Reformfähigkeit und -willen der UN erkennen.

Anschließend wurden in einem virtuellen Thekengespräch mit der Referentin Gedanken zu den Themen in lockerer Runde ausgetauscht und intensiv diskutiert.

Text: Joachim Schulz, Pressebeauftragter GSP Bonn

Hier finden Sie den Vortrag UN-Peacekeeping als pdf-Datei.

Mit freundlichen Grüßen

Richard Rohde
Sektionsleiter

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