Sektion Bonn
Gespräch mit einem Aussteiger aus der rechts-extremistischen Szene
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Berichterstattung zum „Gespräch mit einem Aussteiger aus der rechts-extremistischen Szene“ am 17.02.2021
Frau Hevi Grahl, Ministerium des Inneren des Landes Nordrhein-Westfalen (Referat Prävention und Aussteigerprogramme), moderierte ein Gespräch mit einem Aussteiger aus der rechtsextremistischen Szene, der aus Personenschutzgründen nur Sascha genannt wurde. Dem Gespräch und der anschließenden Diskussion folgten ca. 70 Teilnehmer.
Nach einer kurzen Einleitung durch Frau Grahl zu Aussteigerprogrammen und der gewaltbereiten rechten Szene stellte sie Sascha vor, der nicht das Klischee eines Rechtsextremen mit Glatze, Springerstiefel und Bomberjacke erfüllte. Sein familiärer Background war eine durchaus „normale“ Arbeiterfamilie. In der Schule war er ein Einzelgänger, der nach Anerkennung und Aufmerksamkeit suchte. Die politische Ausrichtung war ihm egal – Hauptsache er entging durch seine neuen Freunde dem täglichen Mobbing in der Schule. Sein Standing verbesserte sich und er genoss die Gruppenzugehörigkeit. Langsam veränderte sich sein Verhalten und er tauchte ab in ein Paralleluniversum jenseits der normalen Welt. Gewaltandrohung gegenüber Anderen und offene Bekundung seiner rechtsextremen Gedanken wurden sein Alltag. Bald kamen auch Kontakte zu anderen europäischen Rechtsextremen („gemeinsame Kampfesbrüder“) durch Erlebnisreisen hinzu, obwohl man z.B. die Polen im Stillen eigentlich verachtete. Hier herrschte Doppelmoral – genau wie er Türken verabscheute, aber heimlich Döner aß.
Sascha führte aus, wie die Gruppe durch deutlichen Druck, Selbstüberwachung, Angst vor Repressalien und den fehlenden Mut, Dinge anzusprechen, zwangsweise zusammengehalten wurde.
In seiner Biografie folgte der soziale Abstieg, der Verlust familiärer Bindung und letztlich „alkohol-basierter“ Suizidversuch. Nach Gewaltverbrechen, die er genoss, landete er für Jahre im „Knast“.
Eine Umkehr, Selbstreflexion und letztlich der Ausstieg wurden dadurch initiiert, dass ihm das Opfer seiner Gewalttat verzieh. Aber – so Sascha – niemand verlässt so einfach die „Familie“. Noch heute sieht er sich Drohungen aus der rechten Szene ausgesetzt und hat als Konsequenz u.a. zwölfmal umziehen müssen. Im Umgang mit Medien ist er immer noch vorsichtig.
In der anschließenden Fragerunde erläuterte Frau Grahl die Auswirkungen der Pandemie auf extreme gesellschaftliche Gruppen (sowohl von rechts als auch islamistisch). Sie nahm Stellung zur Rolle rechten Gedankenguts in den staatlichen Sicherheitsorganen. Detailliert führte sie zum Aussteigerprogramm „Spurwechsel“ und den bemerkenswerten Erfolgen hierbei aus. Insgesamt ein bemerkenswerter, nachdenklich stimmender und höchst authentischer Vortrag, der für weitere Diskussionen sorgen wird. Rechtsextremismus bedroht auch unsere Sicherheit. Daher sind Prävention, Möglichkeiten zur Reintegration, öffentliche Aufmerksamkeit und die konsequente Anwendung des Gesetzes valide Reaktionen auf diese Bedrohung.
Text: Joachim Schulz, Pressebeauftragter GSP Bonn