Sektion Bonn
Sicherheitspolitische Interessen Deutschlands - Strategie oder Reflex?
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Berichterstattung zum Vortrag „Sicherheitspolitische Interessen Deutschlands – Strategie oder Reflex“ am 27.01.2021
Professor Dr. Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr in München trug zu „Sicherheitspolitische Interessen Deutschlands - Strategie oder Reflex“ vor.
Aufgrund der aktuellen Corona-Situation konnte der Vortrag nur als ZOOM-Veranstaltung durchgeführt werden. Dennoch war das Interesse sehr groß. Mehr als 200+ Teilnehmer folgten dem Vortrag und beteiligten sich zum Teil an der anschließenden Diskussion.
Zu Beginn stellte der Referent seine Kernthese vor: Deutschland habe zwar strategische sicherheitspolitische Interessen; aber es fehle an der Allokation der notwendigen Mittel und dem Umsetzungswillen.
Deutschland ist als Mittelmacht gezwungen, sich in statische Allianzsysteme wie NATO und EU einzubinden. Zeitgleich erfolgen sehr dynamische Prozesse wie der Machtaufstieg Chinas und die damit veränderten Einflussmöglichkeiten der USA. Nicht zu vergessen ist Russland, das im Gegensatz zu China keine Gestaltungs-, sondern mit seiner revanchistischen Politik eher eine Verhinderungsmacht ist. Deutschland versucht sich in dieser Gemengelage „reflexartig“ anzupassen.
Diese Analyse leitete über zur internen deutschen Diskussion. Ein politischer Konsens wurde vom Referenten insofern gesehen, dass Deutschland zwar als wirtschaftlich stärkste Macht in Europa eine herausragende Stellung genießt, aber nicht groß genug ist (Stichwort: Nachbar Russland), um eine klare Führungsrolle einzunehmen. Daher ist Multilateralismus Maxime deutscher Sicherheitspolitik.
Und hier entsteht ein Dilemma zwischen den wirtschaftlichen und den sicherheitspolitischen Interessen. Deutschland versucht, das eine vom anderen zu entkoppeln. Man hat wirtschaftliche Interessen an China als Handelspartner, gleichwohl aber sicherheitspolitische Bindung an die USA. Deutschland wie Europa hegen die Vorstellung einer Art Neutralität zwischen diesen beiden Polen. Wie der Referent dieses drastisch bewertete: das fällt uns auf die Füße. Ebenso ambivalent sah er das Verhältnis zu Russland (Nordstream).
In seiner Zusammenfassung kam Prof. Dr. Masala zu der Folgerung, dass in Deutschland wenig Klarheit herrscht, wie man auf die Herausforderungen mit welcher Strategie reagieren soll und welche Mittel man bereit ist, hierfür einzusetzen. Deutschland müsse sich im Klaren sein, welche konzeptionellen Antworten es auf die Folgen der geopolitischen Umbrüche gibt. Deutschland verstecke sich dabei hinter einem strukturbestimmenden Multilateralismus, den es als „Monstranz vor sich herträgt“. Letztlich blieb als Erkenntnis, dass in Deutschland ein Spagat zwischen politischem Anspruch und der realen Wirklichkeit besteht.
In dem anschließenden virtuellen „Thekengespräch“ wurden insbesondere das Verhältnis Deutschlands zu China, Russland und den USA vertieft. Zudem wurde die Bedeutung einer europäischen Autonomie angerissen, die bedeutet, „Geld in die Hand zu nehmen“, wofür der Referent keine Bereitschaft in der EU sieht. Dieses zeigt sich auch in dem „level of ambition“ für deutsche bzw. europäische Streitkräfte.
Prof. Dr. Masala hat in einem lebhaften, ungezwungenen und überzeugenden Vortrag der deutschen Sicherheitspolitik den Spiegel vorgehalten. Er erreichte sein Publikum nicht nur mit einer fundierten Analyse und berechtigten Forderung an die deutsche Politik, Farbe zu bekennen hinsichtlich der eigenen Rolle und Verantwortung in der Welt. Er gewann sein Auditorium auch durch seine nonchalante und souveräne Auftretensweise, in der er sich nicht scheute, „Helmut-Schmidt-mäßig“ während des Vortrages zu rauchen – ob politisch korrekt oder nicht.
Diese Veranstaltung kann bei YouTube unter Gesellschaft für Sicherheitspolitik nachverfolgt werden.
Text: Joachim Schulz, Pressebeauftragter GSP Bonn