Sektion Bonn

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Mittwoch, 08.02.2023 - 19:00

Gelebte Zeitenwende - Deutschland sucht seine neue Rolle

Der völkerrechtswidrige, brutale Krieg Russlands gegen die Ukraine hat die Lebensumstände sowie das Denken und Handeln nicht nur in der Ukraine verändert. Das Stichwort der Zeitenwende ist bei uns in aller Munde. Nach anfänglichen Zurückhaltungen unterstützt der Westen die Ukraine massiv. Deutschland steht in diesem Prozess oft in der Kritik, da es nach Meinung Vieler seiner europäischen Führungsrolle nicht gerecht wird. Fernab der Gefahren wird der stete Hinweis auf zwar grundsätzlich notwendige, aber langwierige Abstimmungsprozesse in der Öffentlichkeit als „tröpfchenweises“ Anpassen an die neuen Realitäten als zu zögerlich oder gar zu spät erfolgend wahrgenommen. Gemessen an der sich entfaltenden Dynamik und dem hohen Druck, dem die Ukraine aufgrund der Brutalität und Entschlossenheit der Angreifer ausgesetzt ist, erscheint dies oft unverständlich. Welche Rolle soll Deutschland in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik einnehmen? Welche Auswirkungen hat die Zeitenwende auf die Energiepolitik und auf die Bundeswehr? Was gilt es im Bereich der Streitkräfte wie anzupassen? Wie sehen unsere europäischen Freunde Deutschland, welche Erwartungen haben sie an uns? Themen, die wir im Rahmen einer Kooperationsveranstaltung mit der Universität Bonn (CASSIS) im Rahmen eines Zoom-Webinars diskutieren möchten.
Webinar
Referent: Johannes Arlt, MdB , Mitglied des Bundestages

Hier können Sie mehr über unseren Refernten, Johannes Arlt, MdB, erfahren: Link

Organisator: Stabshauptmann a.D. Roland Heckenlauer , Stellvertreter des Sektionsleiters roland.heckenlauer@gsp-sipo.de
0171 337 1657

 

 

 

 

 

Berichterstattung zum Vortrag „Gelebte Zeitenwende – Deutschland sucht seine neue Rolle“


Herr Johannes Arlt, Mitglied des Deutschen Bundestages, trug in einer ZOOM-Veranstaltung (95 Teilnehmer) der GSP Bonn und des Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (CASSIS) der Uni Bonn zum Thema „Gelebte Zeitenwende – Deutschland sucht seine neue Rolle“ vor.

Der Vortragende leitete mit grundsätzlichen Gedanken zur „Zeitenwende“ ein. Er hob insbesondere hervor, dass Europa und damit Deutschland ein anderes, der neuen Lage angepasstes Sicherheitsbedürfnis entwickeln müssten. Hier gebe es Nachholbedarf. Es gehe nicht nur um eine neue Rolle der Bundeswehr in der Landes-und Bündnisverteidigung (LV/BV), sondern um das gesamtgesellschaftliche 
Verständnis für Sicherheitspolitik. Auch Felder, die nicht direkt damit verbunden seien wie z.B. Gesundheit und Bildung müssten einbezogen werden. Er mahnte insgesamte ein größeres Interesse in der Bevölkerung für sicherheitspolitische Fragen an: Die Zeitenwende betreffe nicht nur die Bundeswehr, sondern die gesamte Gesellschaft.
Die Zeitenwende sei insgesamt noch nicht konsequent umgesetzt.

Herr Arlt gliederte seinen Vortrag in drei Themenschwerpunkte. Zunächst widmete er sich der Rolle Deutschlands in und mit Europa. Der Angriff Russlands auf die Ukraine habe gezeigt, dass es zur NATO – auch bei verändertem Blickwinkel – als Sicherheitsgarant keine Alternative gebe. Auch wenn die USA ein wichtiger Partner hierbei blieben, so gelte es doch auch eigene europäische Kapazitäten aufzubauen und bereitzuhalten; also den europäischen Pfeiler der Allianz zu stärken. Frankreich sei dabei ein geeigneter Partner sowohl im zivilen wie auch militärischen Bereich. Der Multilateralismus sei dabei aber beizubehalten. Der Beitrag zur Abschreckung Russlands und zur Sicherung der Ostflanke der Allianz sowie die Nord-Ost-Erweiterung der NATO um Finnland und Schweden habe bei unseren osteuropäischen Partnern einen besonderen Stellenwert in der Erwartungshaltung an Deutschland. Daher sei auch das Bekenntnis zur 2%-Forderung der NATO ein wichtiges Signal an unsere Partner. Der Referent führte ferner aus zu einer weiteren Reduzierung der Abhängigkeit von Russland, aber auch von China. 

Im zweiten Teil seiner Ausführungen adressierte Herr Arlt den Bereich der LV/BV. Hier gelte es zunächst das Verhältnis von Äußerer und Innerer Sicherheit zu überdenken und neu zu definieren. Der Erhalt und Betrieb von kritischer Infrastruktur sei für beide Bereiche lebenswichtig. Deutschland habe als logistische Drehscheibe für die NATO eine neue Rolle erhalten mit Konsequenzen für z.B. Infrastruktur undHost Nation Support. Heimatschutz, Logistik und auch Luftverteidigung und Cyber erhielten einen neuen und fordernden Stellenwert. Eine Ausrichtung auf LV/BV verlange eine Reform der Führungsstruktur der Streitkräfte. NATO-Aufgaben und Aufträge wie Rahmennation (Framework Nation) und NRF/VJTF stellten besondere Anforderungen an Deutschland. Insgesamt münde dieses alles in der Frage: Was braucht die Bundeswehr? 

Im letzten Teil des Vortrages nahm er sich des Verhältnisses von Bundeswehr und Gesellschaft an. Der Referent stellte fest, dass die deutsche Gesellschaft in sicherheitspolitischen Fragen „bequem“ geworden sei und Sicherheit als gegeben hinnähme. Hieraus resultiere ein einseitiges Verhältnis der Gesellschaft zu den Streitkräften. Nicht zuletzt die Aussetzung der Wehrpflicht habe dieses verstärkt. Man schickte also die Bundeswehr in weltweite Einsätze, eine gesellschaftliche Würdigung erfolgte aber nicht. Bei aller positiven Entwicklung fehle ein klares Bekenntnis zur Bundeswehr und ein breit verankertes Verständnis für sie. Das Vertrauen in die Bundeswehr sei gering wie jüngste Umfrage zeigten. Die postheroische Gesellschaft müsse ihre Distanz zu den Streitkräften überdenken. Um eine gesellschaftliche Aufmerksamkeit zu erringen, sei die Sicherheitspolitik neu zu justieren. Politik und Gesellschaft müssten sich fragen, was ihnen Sicherheit wert sei. 

Abschließend stellte der Vortragende fünf Forderungen an die deutsche Sicherheitspolitik auf: (1) Erlangung einer nationalen Strategiefähigkeit (Sicherheitsstrategie), (2) Definition der Schnittstellen von Innerer und Äußerer Sicherheit, (3) Sicherstellung einer tragfähigen Finanzierung der Bundeswehr und eine Reform des Planungsprozess, (4) klare Einforderung der Bundeswehr hierzu und (5) Restrukturierung der Streitkräfte (Personalkörper, Rekrutierung bis hin zur allgemeinen Dienstpflicht). 

In der anschließenden Diskussion wurden eine mögliche deutsche Führungsrolle zusammen mit Frankreich in Europa sowie eine „Partnership in Leadership“ mit den USA, der Blick der deutschen Bevölkerung auf Russland und eine mangelnde strategische Kommunikation in Sachen Sicherheits- und Verteidigungspolitik vertieft. 
Überlegungen zu einer anderen Führungsstruktur der Bundeswehr, die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates und eine allgemeine Wehr-/Dienstpflicht sowie das Zusammenwirken der zivilen und militärischen Verteidigung wurden ebenfalls angerissen. Aber auch der Ausblick auf den zukünftigen Haushalt und der Ressourceneinsatz für die Bundeswehr sorgten für Gesprächsstoff.

Herr Johannes Arlt hat als Insider und politischer Entscheidungs- und Verantwortungsträger einen umfassenden Einblick in die gegenwärtige 
sicherheitspolitische Lage und Deutschlands Rolle hierin gegeben. Er bezog klare Position und machte seine Einschätzung deutlich. Er zeigte Probleme kompetent und anschaulich auf, um zugleich auch nachvollziehbare Ideen und Gedanken zu ihrer Lösung zu präsentieren. Sein Vortrag war von erfrischender Dynamik, großer Empathie für die Sache und persönlichem Engagement gekennzeichnet.

Diese Veranstaltung kann bei YouTube unter Gesellschaft für Sicherheitspolitik nachverfolgt werden.

Text: Joachim Schulz, Pressebeauftragter GSP Bonn


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