Sektion Bremen

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Donnerstag, 09.05.2019 - 19:00

Europa, wirtschaftlicher Riese und politischer Zwerg ?

Nach einer langen Phase der Stabilität geht Europa unruhigen Zeiten entgegen. Nationalismus und Populismus stellen den mit der europäischen Idee untrennbar verbundenen Friedensprozess in Frage und befeuern mit Halbwahrheiten und offenkundigen Unwahrheiten gefährliche Fliehkräfte. Für diese antieuropäische Klientel könnte der Brexit ein Modellfall werden. Deshalb sitzt dieser Stachel besonders tief im Fleisch der 28 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Am 23. Juni 2016 entschied sich die Mehrheit der Briten für einen Austritt aus der Europäischen Union. Ende März 2019 hätte das Vereinigte Königreich aus der EU ausscheiden sollen. Doch verweigerte das britische Unterhaus Premierministerin Theresa May mehrfach die Zustimmung zu dem mit der EU ausgehandeltem Vertag. Der Termin des Austritts scheint nun offener denn je. Doch auch wenn das Datum wieder offen ist, es bleibt die bohrende Frage nach dem geregelten oder ungeregelten Ausstieg des Vereinigten Königreichs aus der EU.
Vortrag und Diskussion
Referent: Folker Hellmeyer , Chefanalyst und Gesellschafter der Solvecon Invest GMBH

Folker Hellmeyer wurde 1961 in Hamburg geboren und ist Chefanalyst und Gesellschafter der Solvecon Invest GMBH. Nach Beendigung seiner Banklehre war er in den 1980er Jahren ursprünglich für die Deutsche Bank AG in Hamburg und London im Devisenhandel zuständig. Als Freiverkehrsmakler 1990 wechselte er im Interbankendevisenmarkt zu Bierbaum & Co. GmbH & Co. OHG. 1995 nahm Hellmeyer eine Tätigkeit bei der Landesbank Hessen-Thüringen auf, zunächst als Senior Dealer und ab 1997/1998 als Chefanalyst. Von 2002 bis 2017 bekleidete er diese Position bei der Bremer Landesbank. Vor diesem Hintergrund kommentierte er die Vorkommnisse und Entwicklungen an den Börsen und Finanzmärkten. Seit Beginn 2018 hält er in der neu gegründeten Firma SOLVECON INVEST GMBH den Job als Chefanalyst für das Fundamental-Research und ist für den FOREX-REPORT zuständig. Folker Hellmeyer wird regelmäßig als Kommentator und Experte für internationale Finanzmärkte hinzugezogen, durch ARD, NDR, n-tv, und WELT-TV u.a.. Mit seinem 2008 erschienenen Buch „Endlich Klartext“ setzt sich Hellmeyer kritisch mit dem amerikanischen Finanzsystem und den entsprechenden Wirtschaftsdaten auseinander.

Ort: Haus Schütting - Am Markt 13 , 28195 Bremen
Organisator: Herr Oberstleutnant a.D. Dipl. Päd. Rüdiger Krause , Sektionsleiter gspbremen@gmail.com
Breslauer Straße 3a, 28876 Oyten  04207 / 688038

 

Von Rüdiger Krause

Folker Hellmeyer, ehem. Chefanalyst der Bremer Landesbank und heute in derselben Funktion bei der SOLVECONINVEST GMBH, trug am 09.05.19 vor den Gästen der Bremer Sektion der Gesellschaft für Sicherheitspolitik zum Thema „Europa,wirtschaftlicher Riese und politischer Zwerg ? –Das Brexit Szenario“ vor. Hellmeyers Kernthesen „Strukturwandel schafft veränderte Haushaltslagen“ (Aristoteles) und Gedankenfreiheit im schillerschen Sinn, als kritische Auseinandersetzung mit politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen fänden in den veröffentlichten Medien keinen Resonanzboden mehr. Hellmeier führte aus, dass die auswärtige US Politik die internationale Ordnung unverhältnismäßig, überzogen und nahezu in allen Bereichen angreife.Das Ziel sei es, die eigene Wirtschaft zu schützen und zu stärken. Das galt bereits für die Obama Administration und träte unter Präsident Trump nun unverhohlen aggressiv zu Tage. Das Vorgehen der Trump Administration richte sich gegen jedwede multilaterale Organisation, seien es nun Organisationen wie EU, NATO, oder die Welthandelsorganisation WHO, seien es nun multilaterale Verträge wie TTIPoder NAFTA, das jetzt auf US amerikanischen Druck neu verhandelt wurde und nun als USMCA (USA-Mexiko-Kanada-Abkommen) weiter besteht. An Hybris grenze nach Hellmeyers Auffassung das Bemühen der gegenwärtigen US Regierung, amerikanisches Recht extraterritorial auszudehnen und Nationen und Unternehmen, die sich dem nicht unterwürfen, zu sanktionieren. Als Beispiel führte er die Kündigung des multilateralen Atomabkommens und die Sanktionen gegen den Iran und die europäischen Nationenan, die zu ihren vertraglichen Verpflichtungen stünden. Auch der Versuch, das North-Stream 2 Projekt zu unterbinden und Deutschland zum Kauf teureren US Gases zu Sicherung seiner Energieversorgung zu zwingen, entspräche diesem Muster. https://solvecon-invest.de/

Warum das alles? Die volkswirtschaftlichen Daten der Vereinigten Staaten entwickelten sich seit Jahren negativ, die USA lebten auf Pump. Im Vergleich zu den westlichen Industrienationen sowie den aufstrebenden Wirtschaften in Südamerika und Asien verlören die USA Märkte. Offene Märkte, zu denen der Zugang durch multilaterale Abkommen für alle Nationen in gleicher Weise gesichert sei, vermehrten den Druck auf die amerikanische Wirtschaft. Das strategische Kalkül der USA: der massive Angriff auf das „globale Organigramm“ zwänge schwächere Partner in bilaterale Abkommen mit den USA, in denen gegen kleinere Nationen US Recht, Normen und Standards weitestgehend durchgesetzt werden könnten. Dieses Verhalten würfe Fragen auf: Sind die USA noch ein verlässlicher Partner? Wo bleiben Deutschland und Europa in diesen Szenarien? Wie sind die europäische, die deutsche Wirtschaft aufgestellt? Welche Partnerschaften sind erstrebenswert? Was bedeutet der Brexit für Europa? Hellmeyer sieht die europäische Wirtschaft sehr gut aufgestellt. Die Bankenkrise habein Europa das politische und wirtschaftliche Bewusstsein für die Verletzlichkeit derglobalen Lieferketten gestärkt und zu tiefgreifenden Strukturreformen geführt. In der Folge wuchsen strukturschwächere Nationen wie Griechenland, Portugal und Spanien und erzielten ausgeglichener Handelsbilanzen. Für die deutschen Unternehmen gelte das gleiche, sie hätten sich - vielfach noch im Familienbesitz - so Hellmeyer, zu globalen Playern entwickelt, für die internationale Marktzugänge und globale, Just-In-Time-Lieferketten von existentieller Bedeutung seien. Mit einem Innovationsindex von 60 läge Europa vor allen anderen globalen Mitbewerbern. Die Realwirtschaft des deutschen Mittelstands trügezu diesem Ergebnis maßgeblich bei. Die zweitgrößte Volkswirtschaft Europas, das Vereinigte Königreich,habe seine wirtschaftlichen Schwerpunkte hingegen in der Finanzwirtschaft. Aus Hellmeyers Sicht bestehe der „britische Beitrag zu Europa aus Bremsen und Rückforderungen („I want my money back!“ ,Margaret Thatcher Premierministerin von 1979 bis 1990)“. Zudem sieht er, dass zahlreiche Brexitiers ihr Produktivvermögen aus dem Vereinigten Königreich in andere Teile der Welt verlagerten. Auch ohne die englische Wirtschaft würden die durchgängig positiven ökonomischen Kennwerte der Euro-Zone Bestand haben, so Hellmeyer. Europas BIP sei auf Wachstumskurs, die Arbeitslosigkeit so gering wie kaum zuvor, die Beschäftigung hoch, die Inflationsrate sei mit 2% ideal. Besonders dort,wo Strukturen den Erfordernissen angepasst wurden, wie z.B. beim Hafen von Piräus, der mit chinesischerUnterstützung innerhalb von neun Jahren seinen Umschlag fast verachtfacht habe, ließe sich zeigen, wohin die Entwicklung gehen müsse. Und genau hier läge das Problem. Europa ziehe keinen hinreichenden Nutzen aus den weltwirtschaftlichen Entwicklungen. Insbesondere tue es sich schwer mit dem von den Chinesen angetriebenen Seidenstraßenprojekt. Zu zaghaft, zu spät, zu unentschlossen engagiere sich Europa. Zu schwach seien auch die politischen Signale an die Wirtschaft. Die Ursachen dafür sieht Hellmeyer in der ökonomischen Heterogenität und fehlenden politischen Institutionen in der Europäischen Union. Wirtschaftlich entwickelten sich die Länder der Union insgesamt gut, doch die Unterschiede zwischen den neu beigetretenen Nationen und den Gründernationen der EU seien gravierend. Ein Europa der „zwei Geschwindigkeiten“ sei aus seiner Sicht das Gebot der Stunde. Doch auch dann müsse der Euro das Zahlungsmittel für einen freien, grenzüberschreitenden,unbürokratischen Warenverkehr bleiben. Für „Kerneuropa“ gilt es vorrangig, die Institutionen zu schaffen, die es Partnern ermöglichten, „Europa“ zu adressieren. Hellmeyer fordert eine europäische Außenvertretung, ein europäisches Wirtschafts- und Finanzministerium und eine europäische Armee. Europa müsse sich neu konstituieren, um sich dem US Druck zu entziehen und um in seiner Gesamtheit seine politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Interessen geschlossen vertreten zu können. Europa müsse ansprechbar sein, als ein Handelspartner, als ein Vertreter für soziale, sicherheitspolitische oder kulturelle Entwicklungen, wie z.B. dem Seidenstraßenprojekt. Europa brauche einen Ort, von dem aus europäische Initiativen und Projekte zu entwickeln seien. In Ergänzung seiner USA Kritik setzte sich Hellmeyer sehr dezidiert mit der Politik der Bunderegierungen unter der Kanzlerschaft Merkel auseinander. Insbesondere kritisierte er deren Umgang mit Russland. Die deutsche Regierungfolge willfährig einer dauerhaft im Kriesenmodus befindlichen deutschen Öffentlichkeit. Wie kaum eine andere Nation erlaube es sich Deutschland, sich in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen. Billigend nähme die Bundesregierung dabei erhebliche Schäden am nationalen und europäischen Interesse in Kauf. „Die Assoziierungsabkommen mit der Ukraine haben 40 Jahre Ostpolitik zerstört.“ (https://www.youtube.com/watch?v=tLVvNsGRbtw) und Amerika in die Hände gespielt. Die durch Europa verhängten und durch die Bundesregierung mitgetragenen Sanktionen gegen Russland wegen der völkerrechtswidrigen Besetzung der Krim hätten in Russland den tiefgreifensten Strukturwandel seit der Auflösung der UDSSR eingeleitet. Russland habe sich unter dem Druck der Sanktionen von europäischen Waren und Dienstleistungen unabhängiger machen können. Zugleich hätten sie die Achse Moskau Peking gestärkt. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Brasilien, Indien, Russland, China und Südafrika 85 % der Weltbevölkerung stellten, 62% der Weltwirtschaft ausmachten, 70% der Devisenreserven hielten und ein prosperierendes Wachstumauswiesen, warf Hellmeyer die Frage auf, wer die zukünftigen Partner Deutschlands und Europas sein sollten. Noch sei Europa ein wirtschaftlicher Riese. Doch nur wenn sich auch zu einem politischen Schwergewicht entwickle, würde es die Zukunft seiner Bürger sichern können. Könne es den USA und anderen Mächten nichts entgegensetzen, würde es scheitern und mit Europa auch Deutschland. Neben den bereits umrissenen, notwendigen, neu zu errichtenden Institutionen sieht Hellmeier vor allen Dingen zwei große Projekte, die Europa mitgestalten bzw. auf den Weg bringen müsse. Aktiv mitzugestalten sei das Seidenstraßenprojetk der Chinesen. Das europäische Zukunftsprojekt und -geschäft schlechthin hingegen wäre die Unabhängigkeit europäischer Datenströme von amerikanischen oder chinesischen Gesellschaften ,„European Data“. Dieses Projekt sei so umfänglich und innovativ wie einst der Bau eines europäischen Passagierflugzeugs,das Europa mit dem Airbus gemeistert habe. „European Data“ verlange Visionen, Gestaltungswillen und viel Geld. Wolle Europa politisch ernstgenommen werden, brauche es Politiker, die bereit seien, Europas aufgezeigten Reformbedarf zu erkennen und um- und durchzusetzen. Neben der Frage, ob die europäischen Parteisysteme in der Lage seien, solche charismatischen Persönlichkeiten hervorzubringen, sieht Hellmeyer die größten Risiken für Europa in der Art und Weise, wie in Deutschland und auch in anderen Teilen Europas die öffentliche Diskussion geführt würde. Politisch gebotene und ökonomisch mögliche und notwendige Entwicklungen würden durch ideologische, nationalistische und gesinnungsethische Diskussionen verschleppt und aufgehalten. Hielten diese Tendenzen an, würde Europa sehr schnell viel weniger sein als es heute noch ist.

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