Sektion Elbe-Weser

Sektion Elbe-Weser

Mittwoch, 13.02.2019 - 19:00

Russland - europäische Macht oder globale Bedrohung?'

Russlands Außen- und Sicherheitspolitik erscheint im Moment sehr erfolgreich: Die Regierung in Moskau setzt auf militärische Stärke, um ihre außenpolitischen Interessen in den post-sowjetischen Staaten, aber auch in Syrien durchzusetzen. Wichtigstes Ziel bleibt, mit den USA auf Augenhöhe zu verhandeln, was der russischen Führung mit Donald Trump gelingen könnte. Dabei sind es vor allem die von den USA hinterlassenen Räume, in die Moskau trotz geringerer Ressourcen mit Erfolg hineinstößt.
Als ehemaliger langjähriger deutscher Verteidigungsattaché wird Brigadegeneral a. D. Rainer Schwalb in seinem Vortrag die geopolitischen Ambitionen Russlands darstellen und die Gründe für russisches Handeln. Darüber hinaus wird er auf das Russland-NATO Verhältnis, die Probleme und Spannungen und auf Lösungsmöglichkeiten eingehen.
Wir sind gespannt auf die Ausführungen, hoffen Ihr Interesse gefunden zu haben und freuen uns auf Ihren Besuch. Nutzen Sie die Chance, eines Referenten mit Insiderwissen, Kompetenz und Engagement zu hören und mit ihr zu diskutieren.
Vortrag und Diskussion
Referent: Brigadegeneral a.D. Dipl.-Ing. Reiner Schwalb , ehemaliger Leiter Militärattachéstab bei der Deutschen Botschaft in Moskau

Geboren 1954 in Hessen trat Reiner Schwalb nach dem Abitur 1973 in die Bundeswehr (Heer, PzGrenTr) ein.
Im Rahmen der Offizierausbildung studierte er Bauingenieurwesen mit dem Abschluss Dipl.-Ing. (univ.). Nach der Zeit als KpChef im Jägerbataillon 113 und der zweijährigen Generalstabsausbildung an der Führungsakademie der Bundeswehr war er Abteilungsleiter Logistik im Stab der Panzergrenadierbrigade 10, Weiden. Es folgten: 1990-1991 Kanadische Generalstabsausbildung, 1991-1993 Verwendung im NATO-Stab Heeresgruppe Mitte, Heidelberg, 1993-1995 Kommandeur Panzergrenadierbataillon 182, 1995-1999 Tutor an der Führungsakademie der Bundeswehr, 1999-2000 Austauschreferent im britischen Verteidigungsministerium, 2000-2002 Leiter Taktikzentrum des Heeres, danach Studium der Politikwissenschaften in Washington,D.C., 2004-2007 Stv. Abteilungsleiter Einsatz im Führungsstab der Streitkräfte, 2007-2009 Deutscher Verbindungsoffizier im Hauptquartier für Transformation der NATO (ACT, Norfolk, VA). Nach der Sprachausbildung Russisch war er schließlich von Nov. 2011 bis Aug. 2018 Verteidigungsattaché an der deutschen Botschaft in Moskau.

Ort: EWE - Kundencenter Bremervörde, rückwärtiger Eingang - Marktstraße 20 , 27432 Bremervörde
Organisator: Herr Oberstleutnant a.D. Werner Hinrichs , Sektionsleiter Elbe-Weser werner-hinrichs@web.de
Jütlandstraße 30, 27432 Bremervörde  04761 / 70121

Vor dem Hintergrund des aktuellen Konfliktes zwischen den USA und Russland um den INF-Vertrag konnte die Bremervörder Sektion der Gesellschaft für Sicherheitspolitik (GSP) und der Kooperationspartner die VHS Zeven einen kompetenten Kenner russischer Positionen für einen Vortrag in der Ostestadt gewinnen. Der ehemalige, langjährige Verteidigungsattaché in Moskau, Brigadegeneral a.D. Rainer Schwalb, berichtete in einem bis auf den letzten Platz besetzten EWE-Kundenzentrum sehr anschaulich über seine Erfahrungen in dem Riesenreich. Für Bundeswehr-Karrieren ungewöhnlich lange sieben Jahre hatte er Zugang zu hochrangigen Militärs, Politikern und Bürgern des Landes, das er, trotz gelegentlicher unangenehmer Situationen, verhältnismäßig frei bereisen konnte. Dies schreibt er dem Umstand zu, dass „die Russen alles reziprok machen“. Russische Diplomaten können sich frei in Deutschland bewegen, also gilt das umgekehrt genau so, erklärte Schwalb in der abschließenden Diskussionsrunde. Die Amerikaner dagegen genießen diese Rechte nicht. Der Verteidigungsattaché nutzte seine Freiheit, um das, was bekannt scheint und er von russischer Seite hörte, mit dem zu vergleichen, was er sah, um daraus seine Folgerungen zu schließen. Oft mündeten diese in Fragen, die beiden Seiten in Verlegenheit brachten.

„Russland ist ein Rätsel innerhalb eines Geheimnisses, umgeben von einem Mysterium“, dessen Schlüssel in dem Verständnis des nationalen Interesses liege, zitierte der Militärdiplomat den ehemaligen englischen Premierminister Winston Churchill. Fakt ist, dass Russland eine tausendjährige Diktatur hinter sich hat, gekennzeichnet von zwei bedeutsamen Traumata, nämlich dem Napoleon-Feldzug im 19. Jahrhundert und dem Überfall durch das nationalsozialistische Deutschland im 20. Jahrhundert. Hinzu kommt noch eine von außen angetriebene Oktoberrevolution, deren 100-jähriges Jubiläum erstaunlicherweise nicht gefeiert wurde. „Russland weiß selbst noch nicht, wo es hingehört“ stellt Schwalb fest und verweist auf die heterogene Symbolik von Nationalflagge, Hymne und dem doppelköpfigen Adler, die sich allesamt verschiedenen Epochen und Systemen zuordnen lassen. Was sind also die nationalen Interessen Russlands? Da ist zunächst einmal die äußere Sicherheit und innere Stabilität in einem Vielvölkerstaat, der sehr viel anfälliger für separatistische Bestrebungen sei als beispielsweise China. Dem soll eine vom Militär getragene „Patriotische Erziehung“ vorbeugen. „Wir schauen sonntags Tatort, in Russland sendet man zur Prime Time Panzer-Biathlon“. Solch ein Wettbewerb sei ein Riesenspektakel für die Zuschauer und trotz teilweise hoher Preise sehr beliebt, erklärt Schwalb den staunenden Zuhörern. Damit sich auch möglichst alle Ethnien im Stolz auf die Vergangenheit, die militärische Stärke Russlands und seine Werte vereinen können, spricht Putin von seinem Volk nicht als Russen sondern als „Russländischen“. Ethnical correctness, möchte man meinen.

Zweitens, für die russische Mentalität sehr wichtig, internationaler Respekt. Werde die angebotene Gastfreundschaft von politischen Vertretern aus dem Ausland aus welchen Gründen auch immer nicht angenommen, wie anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft geschehen, ist das in den Augen Russlands ein gravierender Affront. Drittens schließlich wirtschaftliche Entwicklung. Diese basiere noch immer größtenteils auf Russlands Energieressourcen und diene den beiden vorangegangenen Zielen, aber die habe im Zuge der Sanktionen stark aufgeholt, wie Schwalb beobachten und sich von deutschen Experten in Moskau bestätigen lassen konnte.
Allerdings sendet Russland nicht immer eindeutige Signale. „Für Putin ist nicht wichtig, was wahr ist, sondern, was wahr erscheint“ fasst Schwalb die Prämisse des Kreml-Chefs zusammen. So wurden die Militärattachés eingeladen, sich persönlich ein Bild an der Grenze zur Ukraine zu machen. Die Botschaft lautete: „Die Ukraine schießt auf uns!“. Hinterher reiste der General noch mehrmals alleine in die Region und machte dabei Beobachtungen, die er im Bild festhielt und die die russische Seite in Erklärungsnot brachten. Auf der anderen Seite müsse sich auch der Westen die Frage stellen, ob seine Entscheidungen immer die richtigen Botschaften transportiere. Wenn eine eingebürgerte Amerikanerin Finanzministerin in der Ukraine wird, so wird damit die Glaubwürdigkeit hinsichtlich eines Nichteinmischungsversprechens in innerstaatliche Angelegenheiten auf eine harte Probe gestellt. Und so konnte Rainer Schwalb noch einige Beispiele auf beiden Seiten anführen, die von einem mangelnden Verständnis für das jeweilige Gegenüber zeugen. Der Donbas soll bei der Ukraine bleiben, ist Schwalb überzeugt, aber Russland will eine Einflussnahme des Westens auf die Ex-Sowjetrepublik unbedingt verhindern und setzt dabei unkonventionelle Mittel ein, auch um das Minsker Abkommen nicht zu gefährden.

Geschuldet ist diese Strategie der russischen Interpretation der Vergangenheit. Der Sturz Gaddafis beispielsweise habe die Russen in der Auffassung bestätigt, dass Verträge nichts wert seien, und überhaupt messe der Westen mit zweierlei Maß. Was einst Berlin für die Westmächte war, ist nun Kaliningrad für die Russen: „von Feindesland umgeben“. Wo sei da der Unterschied? Und nicht jede Großübung sei ausschließlich als aggressiver Akt zu deuten. Immerhin ist Russland weltweit der zweitgrößte Waffenexporteur, was aus diesen Manövern auch eine einzige Verkaufsshow mache. Wichtig sei dabei, worüber Russland gar nicht oder nur in unzureichendem Maße verfüge: ein (!) Flugzeugträger. Dabei handelt es sich um einen qualmenden Schlachtkreuzer mit Landebahn, der bei einer Übung gleich mehrere Kampfjets verlor als sie ins Wasser stürzten. „Wer keine Flugzeugträger hat, hat keine globalen Ambitionen!“ stellt Schwalb nüchtern fest. Natürlich habe Russland geopolitische Interessen, diese liegen in Asien, im arabischmuslimischen Raum aber allen voran in Europa. Es will dazu gehören „in Moskau gibt es mehr italienische oder französische Restaurant als russische Küche“ veranschaulicht Schwalb gleichzeitig aber auf Distanz bleiben. Die „BumagaRegion“ umfasst eine Reihe von Staaten jenseits der Westgrenze, die für das transatlantische Bündnis tabu seien.

Wie soll der Westen und vor allem Deutschland mit Russland umgehen? Brigadegeneral a.D. Schwalb rät zu mehr Gelassenheit. Deutschland habe in Russland ein sehr hohes Ansehen, was es nutzen kann. Für ihn liegt der Schlüssel zu einer besseren Beziehung in der Lösung der Ukraine-Frage. Zuvor müsse aber geklärt werden, wie diese Beziehungen denn überhaupt aussehen sollen. Sicherheit durch Abschreckung und einer Eskalationsspirale oder Sicherheit durch Kooperation seien die Optionen. Schwalb plädiert für Letztere. Damit sind auch Forderungen an die Ukraine verknüpft. Man müsse mit den Separatisten reden, ähnlich wie es Irland seinerzeit getan habe. Außerdem könne er sich eine Überwachung der Grenzübergänge durch die OSZE vorstellen verbunden mit einer langfristigen Friedens-Operation, damit nicht das Erreichte durch die Begleichung alter Rechnungen zerstört werde. „Es muss eine neue Generation heranwachsen“ meint Schwalb und weist auf die wichtige Rolle der Soldaten-Mütter auf beiden Seiten hin.
Der NATO empfiehlt er zur Stärke verbunden mit politischem Dialog. Dem stehe die Einnahme einer eindeutigen Position zur Krim nicht im Wege. „Die Annektion war ein völkerrechtswidriger Akt und wird nicht akzeptiert!“, so Schwalb. Es koste Zeit, bis die Haltung Wirkung entfaltet. Zeit, in der es dennoch vertrauensbildender Maßnahmen und einer rhetorischen Abrüstung bedürfe. Für Schwalb ist wichtig: „Sprache hat Bedeutung!“. Er wünscht sich daher mehr Sorgfalt bei der Wortwahl. Wenn in der Presse ein Gefecht als „Schlacht“ bezeichnet werde, befördere dieser Begriff das Ereignis in eine falsche Größenordnung. Die negative und zum Teil überzeichnete Berichterstattung könne er nicht erklären und vermutet das Wirken eines „allgemeinen Russland-Bildes“. Er habe an Podiumsdiskussionen mit Journalisten teilgenommen, erzählte Schwalb, und dabei von Vertretern namhafter Medien Einblicke in die Nachrichtenauswahl erhalten, die ihn nachdenklich stimmen.

Im Hinblick auf den INFVertrag und die Mittelstreckenraketen erinnert der General daran, dass diese Vereinbarung nur die landgestützten Systeme beträfe. Russland könne uns schon immer aus der Luft und von See erreichen, stellt Schwalb die Relationen klar und legt dem westlichen Bündnis nahe, in Ruhe die Entwicklung abzuwarten. „Wir werden keine Mittelstreckenraketen stationieren“ ist sich Schwalb sicher und verweist auf Konrad Adenauer der vor über sechzig Jahren zusammenfasste, worauf es ankomme: Russland klarmachen, dass der Westen weder eine Gefahr sei noch sich selbst zerfleische.

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