Sektion Elbe-Weser
Deutschlands Profil im Sicherheitsrat
von Axel Loos
Seit Anfang 2019 ist Deutschland zum sechsten Mal gewähltes Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Welche Rolle wird dabei Deutschland zufallen? Auf Einladung der Gesellschaft für Sicherheitspolitik versuchte deren Vize-Präsident Prof. Dr. Johannes Varwick, Politikwissenschaftler an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, eine Antwort auf diese Frage zu geben. Veranstaltungsort war zum ersten Mal Faßberg. Der Standortälteste der Bundeswehr in Faßberg, Herr Oberst Georg von Harling und der Landesbereichsleiter der Gesellschaft für Sicherheitspolitik in Niedersachsen und Bremen, Herr Werner Hinrichs hatten mit freundlicher Unterstützung des Verbandes der Reservisten der Deutschen Bundeswehr e. V., Kreisgruppe Celle sowie der Gemeinde Faßberg zu diesem Anlass eine politische Bildungsveranstaltung mit öffentlicher Beteiligung auf die Beine gestellt, so dass der Saal der Bundeswehr Betreuungseinrichtung Oase vollbesetzt war sowohl mit Uniformträgern als auch Zuhörern in Zivil.
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In seiner Einleitung wies Prof. Dr. Varwick auf die wechselvolle Wahrnehmung der Vereinten Nationen in Deutschland hin. Auf der einen Seite die Enthusiasten, auf der anderen die Fundamentalkritiker. Die Realität sei allerdings - wie so oft - komplizierter, schließlich lebe die UNO vom Engagement ihrer Mitglieder. Laut Varwick nehme Deutschland eine herausragende Rolle in der Völkergemeinschaft wahr. Es werde als guter Freund und verlässlicher Partner angesehen, was nicht zuletzt an der Vielzahl der Stimmen abzulesen sei, mit der Deutschland in den Sicherheitsrat gewählt worden sei: 183 von 193 Mitgliedern. Darüber hinaus nimmt Deutschland Platz vier bei der Finanzierung der UN ein. Andererseits halte sich Deutschland bei seinem militärischen Engagement vornehm zurück, stellte Varwick kritisch fest. Deutschland habe bei seinem Antritt im Sicherheitsrat der UN bekundet, eine Stimme für Sicherheit und Frieden sein zu wollen. Professor Varwick zweifelt aber an der Richtigkeit dieses Ansatzes, es bedürfe einer Haltung statt einer Enthaltung. Bei der UNO habe sich eine merkwürdige Arbeitsteilung etabliert. Die einen mandatieren, die anderen finanzieren und eine dritte Gruppe von Mitgliedern führe aus.
Mittlerweile in die Jahre gekommen und in einer anderen Welt verortet als zu ihrer Gründung, habe die UNO gewiss einen Reformbedarf. Dieser erstrecke sich auf drei Bereiche: Steigerung ihrer Effizienz, einer institutionellen Reform des Sicherheitsrates und einer grundsätzlichen Umgestaltung hin zu einer supranationalen Organisation. Die beiden letzten Ziele ließen sich jedoch ohne eine Charta-Änderung nicht verwirklichen. Kein Land zeige eine Bereitschaft, hoheitliche Aufgaben auf ein übergeordnetes Bündnis zu übertragen. Genauso werden auch die fünf ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat nicht auf ihr Veto-Recht verzichten. Der Sicherheitsrat bilde daher auch weiterhin die geo- und machtpolitische Welt von 1945 ab, so Prof. Varwick.
Für die UNO sieht Varwick im Wesentlichen drei Zukunftsszenarien. Entweder sie versinke in Bedeutungslosigkeit oder sie schwinge sich auf zu einer Weltregierung oder sie laviert sich weiter durch die Weltpolitik, indem sie mal Akteur, mal reines Instrument oder einfach nur der Schauplatz für Konflikte ist. Die Probleme dieser Welt blieben so oder so weiterhin bestehen, „irgendeiner wird sich darum kümmern!“ stellt Varwick fest, und die Frage ist, will Deutschland dabei nur zusehen oder seine Gestaltungsmöglichkeiten wahrnehmen und mehr Engagement zeigen?
Laut Professor Dr. Varwick macht sich Deutschland vielleicht mit einigen Missverständnissen und Fehlannahmen das Leben selbst schwer. Seiner Meinung nach wird der Sicherheitsrat mit Aufgaben und Ansprüchen überfrachtet. Seine Kernaufgabe bestehe noch immer in der Sicherstellung von nichts anderem als dem Weltfrieden und der internationalen Sicherheit. Dieser Anspruch ließe sich nicht ohne die Großmächte erfüllen, und so sei das Veto-Recht nicht nur als Hemmschuh zu betrachten, sondern als Voraussetzung dafür, den geopolitischen Schwergewichte überhaupt einen Anreiz zum Mitmachen bieten zu können. Daneben äußerte sich Prof. Varwick kritisch zum deutschen Ziel einer ständigen Mitgliedschaft im Sicherheitsrat und nannte dafür die aussichtslose Charta-Änderung und die zu erwartende Unruhe unter den anderen europäischen Partnern als wesentliche Gründe. Vielmehr riet Varwick Deutschland dazu, die bevorstehenden zwei Jahre optimal zu nutzen, sie stellten quasi die Reifeprüfung für unser Land dar und wiederholte noch einmal sein Motto: Haltung statt Enthaltung. Eine zweite Stimmabgabe wie bei der Libyen-Resolution im Jahr 2011 dürfe es nicht geben. In der Politik gebe es nicht immer die Wahl zwischen richtig und falsch, sondern stelle ein demokratisches Ringen dar. Deutschland müsse auch Dilemma-Situationen aushalten können und dabei Handlungsfähigkeit und -willen beweisen. Mit einem Rückzug auf vermeintlich softe Themen wie den Klimawandel mache es sich Deutschland zu einfach. Oder anders ausgedrückt, dem Bekenntnis zur Bedeutung der Vereinten Nationen für die internationale Gemeinschaft müssen auch Taten folgen.
Bei der anschließenden Diskussion stellte sich Prof. Dr. Varwick gerne den stellenweise kritischen und mit Selbstbewusstsein sachlich formulierten Fragen und nutzte diese zur Werbung für eine Arbeit in der GSP. Er vertrete kein „Germans to the front“ sondern es käme ihm einerseits auf eine Übereinstimmung zwischen Rhetorik und Aktion an und andererseits auf eine ehrliche Reflexion über das, was außenpolitisch möglich scheint und welche Handlungsfähigkeiten dafür erforderlich sind.