Sektion Elbe-Weser
Der Krieg in Syrien und die Interessen regionaler und internationaler Akteure
Dr. André Bank ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am GIGA (German Institute of Global and Area Studies) Institut für Nahost-Studien in Hamburg. Er forscht und publiziert seit fast 20 Jahren zu politischer Herrschaft und Gewaltkonflikten im Nahen Osten, mit einem Fokus auf Syrien. Dr. Bank reist regelmäßig in den Nahen Osten, vor 2011 auch nach Syrien, seither vor allem in die Nachbarländer Jordanien, Libanon und Türkei.
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Der „Siegfrieden“ in Syrien und die Grenzen multilateraler Politik
von Werner Hinrichs
In Kooperation mit der VHS Zeven eröffnete die Gesellschaft für Sicherheitspolitik (GSP) ihre jährliche Vortragsreihe mit einem Fachvortrag über Syrien mit dem Politologen Dr. André Bank vom German Institut of Global and Area Studies aus Hamburg. GSP-Sektionsleiter Werner Hinrichs begrüßte dazu im voll besetzten EWE-Kundencenter den Referenten Dr. André Bank, der dem Publikum in seinem Vortrag „Der Krieg in Syrien und die Interessen regionaler und internationaler Akteure“ den Zuhörern die aktuelle Lage in dieser Region näher brachte.
Seit 2011, so die Ausführung Herrn Bank, herrschte in Syrien ein brutaler Bürgerkrieg, bei dem mehr als eine halbe Million Menschen ihr Leben verloren hätten, fast 6 Millionen Syrerinnen und Syrer bei einer Bevölkerung von 22 Millionen sind in anderen Länder geflohen. Die meisten von ihnen seien in den angrenzenden Staaten Türkei (3,6 Millionen), Libanon (über 900.000), Jordanien (660.000) geflohen. Fast 1,5 Million syrischer Kriegsflüchtlinge kämen nach Europa – von ihnen leben rund 1 Million Menschen in Deutschland. Hinzu kämen mehr als sechs Millionen Binnenvertriebene, davon 1,5 Millionen in der noch heute stark umkämpften Stadt Idlib. Die Infrastruktur des Landes sei weitgehend zerstört.
Die Konfliktlinien des Bürgerkriegs seien sehr komplex, so die Ausführung von Herrn Dr. Bank. Auslöser des Konflikts war ein friedlicher Protest gegen das autoritäre Regime Assads im Zuge des Arabischen Frühlings Anfang 2011. Es kam zu einer wachsenden Einflussnahme der Muslimbrüder, anderer radikalsunnitischer Gruppierungen und ausländischer Interessenvertreter sowie immer mehr ausländische Freiwillige und Söldner in Syrien. Die ursprüngliche Motivation der Opposition, die Demokratisierung Syriens zu erreichen, rückte in den Hintergrund. Stattdessen trat der Kampf verschiedener Organisationen aus religiösen und ethnischen Gründen in den Vordergrund.
Das Land zerfiel in Gebiete, die entweder von der Regierung Assads, Oppositionsgruppen, Kurden oder von Islamisten beherrscht wurden. Die direkte Beteiligung der Bündnispartner Assads – der Iran mit seiner libanesischen Hisbollah-Miliz und Russland mit seinem Militäreinsatz – sowie die Bildung eines internationalen Bündnisses unter Führung der Vereinigten Staaten gegen die sunnitische Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS) machte aus dem Kampf innerhalb Syriens einen regionalen Stellvertreterkrieg zwischen dem schiitischen Iran auf der einen und dem sunnitischen Saudi-Arabien mit seinen Verbündeten Türkei und Katar auf der anderen Seite. Durch die Beteiligung Russlands und der USA entstand zudem ein überregionaler Konflikt zwischen den beiden Großmächten mit geostrategischen Implikationen, der durch die Luftangriffe der Türkei auf die Kurden in Syrien 2015 und schließlich den Einmarsch regulärer türkischer Truppen im Frühjahr 2018 verschärft wurde. Der Referent sprach von einem doppelten Stellvertreterkrieg, indem einmal alle regionalen Staaten und alle außerregionalen, einflussreichen Staaten involviert sind und dass die absolute Dominanz der militärischen Logik eine zivile Konfliktlösung verhindere. Alle Akteure vertreten eine maximalistische Position die UN-Verhandlungsformate lähmen bzw. verhindern.
Zum Jahresanfang 2020, so Dr. Bank, kontrolliere das Regime unter Präsident Bashar al-Assad zusammen mit Russland und Iran fast drei Viertel des syrischen Staatsgebietes. Trotz andauernder Kämpfe um die Rebellenhochburg Idlib sowie der fragmentierten Gebietskontrolle im Nordosten, sei der Krieg in Syrien militärisch entschieden. Der „Siegfrieden“ in Syrien verdeutliche das Überleben der repressiven und korrupten Assad-Diktatur, die der großen Mehrheit der verbliebenen Bevölkerung weiterhin keine Sicherheit und Lebensperspektiv biete. Obwohl Iran und Russland das Überleben des Regimes im Kriegsverlauf wiederholt abgesichert habe, so der Referent, sei ihr Einfluss auf die syrischen Eliten in jüngster Zeit zurückgegangen. Er führte weiter aus, dass nach acht Jahren Krieg militärische und wirtschaftliche Eliten in Syrien nicht voneinander zu trennen seien. Kein Mitglied dieser Eliten kann sich vom Vorwurf freisprechen, nicht zu mindestens indirekt für die horrenden Menschenrechtsverletzungen mitverantwortlich zu sein.
Sein Fazit war, dass der militärische Sieg des Assad Regimes die diplomatischen Möglichkeiten europäischer Staaten weiter verringert habe. Ein internationales Wiederaufbauprogramm für Syrien, so Dr. Bank verbiete sich in naher Zukunft, da dies die existierenden autoritären, kriegsökonomischen Strukturen festigen würden. Im multilateralen Verbund sollte sich Deutschland stattdessen intensiver in angrenzenden Bereichen engagieren, z. B. in Jordanien, Libanon oder in der Türkei. Dazu gehören neben humanitäre Hilfe, Verstärkung der Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen, um zukünftig eine internationale Strafverfolgung zu intensivieren.
Große Hoffnungen auf eine wirkliche und nachhaltige positive Entwicklung in Syrien konnte der Referent seinen Zuhörern nicht machen.