Sektion Elbe-Weser
Zeitenwende“ – Erosion der europäischen Sicherheitsordnng - Folgerungen für die Landes- und Bündnisverteidigung
Oberst a. D. Wolfgang Richter trat 1968 als Offiziersanwärter in die Fallschirmjägertruppe ein. Nach verschiedenen Truppenverwendungen wurde er zum Generalstabsoffizier an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg ausgebildet. Es folgten Verwendungen im Amt für Studien und Übungen der Bundeswehr in Ottobrunn, als G 3 und Stabschef in der Luftlandebrigade 26, Saarlouis sowie eine Verwendung im Supreme Headquarters of Allied Powers in Europe (SHAPE), Mons/Belgien. Nach einem Einsatz als Kommandeur im Panzergrenadierbataillons 371/372 in Marienberg/Erzgebirge, Sachsen folgten Verwendungen in Genf, New York und am Zentrum für Verifikationsaufgaben zum Thema Rüstungskontrolle. Von 2005- 2009 war er Leiter des militärischen Anteils der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Wien. Von 2009 bis 2022 arbeitete Oberst a. D. Richter als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der SWP. Seit Anfang 2023 wirkt er an verschiedene sicherheitspolitische Projekte als Senior Advisor bei Austria Institut für Europa und Sicherheitspolitik (AIES) und Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) mit.
Jütlandstraße 30, 27432 Bremervörde 04761 / 70121
Auf Einladung der Bremervörder Sektion der Gesellschaft für Sicherheitspolitik (GSP) referierte am 23. Februar Oberst a.D. Wolfgang Richter, ehem. wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), im Kundenzentrum der EWE über die Erosion der europäischen Sicherheitsordnung und deren Folgerungen für die Landes- und Bündnisverteidigung.
Er führte aus, dass sich am Ende des Kalten Krieges die Mitgliedstaaten des damaligen Warschauer Pakts und der NATO auf eine kooperative Sicherheitsordnung verständigt hätten. Man habe versprochen, einen gemeinsamen "paneuropäischen Sicherheitsraum von Vancouver bis Wladiwostok" zu schaffen, die gegenseitigen Sicherheitsinteressen zu respektieren und strategische Zurückhaltung zu wahren. Alle bodengestützten Mittelstreckenraketen wurden zerstört (INF-Vertrag), ein Gleichgewicht reduzierter konventionellen Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag) hergestellt und die OSZE als gemeinsame Sicherheitsorganisation eingerichtet. Angesichts der geopolitischen Veränderungen - Auflösung von Warschauer Pakt und Sowjetunion, NATO-Erweiterung - war eine Anpassung des KSE-Vertrags nötig. Die Irritationen, die in Moskau entstanden, weil die NATO damit näher an die russischen Grenzen heranrückte, konnten zunächst durch die NATO-Russland Grundakte (1997) aufgefangen werden.
Nach dem Regierungsantritt des US-Präsidenten George W. Bush (2001) sei jedoch neues Konfliktpotential entstanden: Er kündigte den ABM-Vertrag, um eine strategische Raketenabwehr in Europa aufzubauen, blockierte die KSE-Anpassung, führte einen Angriffskrieg gegen den Irak und stationierte US-Truppen in Rumänien und Bulgarien. Die Erosion der europäischen Rüstungskontrolle und neue geopolitische Spannungen seien die Folge gewesen, betonte Richter. Beim NATO-Gipfel in Bukarest 2008 hätten sich erneut Risse im Bündnis gezeigt: Während die USA und das "neue Europa" den zügigen NATO-Beitritt der Ukraine und Georgiens durchsetzen wollten, verhinderten Deutschland und Frankreich die Ausarbeitung eines konkreten Aktionsplanes. Sie befürchteten die Destabilisierung der Ukraine und den Zusammenbruch der Sicherheitskooperation mit Russland, dessen Schwarzmeerflotte auf der Krim stationiert war. Moskau habe ein geographisches Heranrücken der USA stets als strategische Bedrohung betrachtet. Als die Maidan-Revolution in Kiew 2014 die Macht übernahm und Russland die Krim annektierte sowie Anti-Maidankräfte im Donbas militärisch unterstützte, hätten Berlin und Paris im "Normandieformat" die Minsker-Abkommen vermittelt.
Mit dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine am 24. Februar 2022 sei die europäische Sicherheitsordnung der 1990er Jahre endgültig kollabiert. Auf diese "Zeitenwende" habe Deutschland rasch und besonnen reagiert, die Rückwendung zu einer robusten Landes- und Bündnisverteidigung angekündigt, ein Sondervermögen für die Bundeswehr bereitgestellt und erste Beschaffungen in die Wege geleitet. Jetzt gelte es, so Richter, diesen Trend zu verstetigen, Beschaffungsverfahren zu beschleunigen, die Truppe voll auszustatten, Fähigkeitslücken zu schließen, die Durchhaltefähigkeit für längere, hoch intensive Operationen zu erhöhen und schlankere Führungsstrukturen zu schaffen. Angesichts seiner geostrategischen Mittellage und Wirtschaftskraft komme Deutschland eine Schlüsselrolle im Bündnis zu. Dass gleichzeitig die Ukraine durch Waffenlieferungen unterstützt werden müsse, beschrieb Richter als besondere Herausforderung. Deutschland müsse klug handeln, um die Bündnisfähigkeit zu stärken, die Widerstandskraft der Ukraine zu erhalten und gleichzeitig Eskalationsgefahren gemeinsam mit den Hauptverbündeten unter Kontrolle zu halten."
Werner Hinrichs
Oberstleutnant a.D.
Leiter der GSP Sektion Elbe - Weser