Sektion Fulda

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Donnerstag, 26.04.2018 - 19:00

Integration. Ein Protokoll des Scheiterns?

Vortrag und Diskussion

Fast alle in Deutschland reden seit 2015 von Integration. Einige wenige haben den Faden schon weitergesponnen und halten sie für gescheitert. So der Buchautor Hamed Abdel-Samad, der erneut für großen Andrang im Bonifatiushaus sorgte.

Wer angesichts der gleichlautenden Titel von Buch und Vortragsabend – „Integration. Ein Protokoll des Scheiterns“ – anfangs Zweifel hatte, ob Abdel- Samad nicht etwas zu schwarzmalt, der konnte die Anzeichen des Scheiterns schon angesichts der Umstände der Veranstaltung erkennen: ein Referent, den islamische Geistliche gerne ermordet sähen, der deshalb keinen festen Wohnsitz hat und unter ständigem Polizeischutz steht; ferner: Anstehen vor dem Eingang, Ausweiskontrolle, Personenschützer ständig links und rechts auf der Bühne. Wann wäre so ein Sicherheitsaufwand in früheren Jahrzehnten notwendig gewesen bei einem harmlosen Akademieabend in der Provinz – noch dazu im altehrwürdigen Bonifatiushaus?

Dessen Direktor Gunter Geiger hatte den brisanten Themenkomplex Islam, Zuwanderung und die damit verbundenen Ängste in der Bevölkerung bereits kurz angeschnitten – mit Hamed Abdel-Samad ging es aufs Ganze. Seine ruhige Art, sein bescheidenes Auftreten, seine bedächtige Wortwahl standen in einem seltsamen Kontrast zur Wucht seiner gleich zu Beginn geäußerten These vom Scheitern der Integration. Auch in seinem neuen Buch steht sie ganz vorne, was der zweite Referent, der islamische Theologe Professor Dr. Mouhanad Khorchide von der Universität Münster, später kritisierte: Warum Abdel-Samad denn das Fazit seines Buches an den Anfang stelle, statt mit der Fragestellung zu beginnen?

„Vergiftete Debatte“

Nun weiß zum einen jeder, der schon einmal „Columbo“ gesehen hat, dass es dramaturgisch durchaus funktionieren kann, das Pferd von hinten aufzuzäumen; zum anderen hatte es Abdel-Samad ja soeben vorgemacht: Ausgehend von seiner These zeigte er auf, warum er die Integration – übrigens nicht aller Migrantengruppen, wie er klarstellte, sondern die der Muslime – für gescheitert hält.

Und dabei ging er zurück ins Jahr 1995, als der gebürtige Ägypter, Sohn eines Imam, mit 23 Jahren nach Deutschland kam – und sich wunderte, mit welchem Ernst über Mülltrennung und Dosenpfand diskutiert wurde. „Ich habe gesagt: Meine Güte, wie glücklich ist diese Gesellschaft, die sich solche Headlines leisten kann.“ Heute hingegen habe sich viel verändert: „Wer hätte es gedacht, dass wir jemals in dieser Gesellschaft, 220 Jahre nach Voltaire, nach Kant, nach all diesen Debatten, nach Rosa Luxemburg und Clara Zetkin, nach den Diskussionen über die Befreiung der Frauen nun über Kopftuch für Kinder diskutieren?“ Dazu Terrorabwehr, Flüchtlinge, Kriminalität, in französischen Städten patrouilliere das Militär, manche Behörden glichen Hochsicherheitstrakten: „Wäre die Integration in Europa gelungen, hätten wir diese Debatten nicht“, so der Politikwissenschaftler. „Wir hätten diese Debatten zumindest nicht so verkrampft und so vergiftet.“

Ja, es gebe Muslime, die es geschafft hätten, sich durch eigene Kraft, Verantwortung und Entscheidungen zu integrieren, auch ohne Integrationsleistungen des Staates zu bekommen. „Aber in der Masse war die muslimische Einwanderung in Deutschland leider keine Erfolgsgeschichte.“ Integration funktioniere auf vier Feldern: strukturell, kulturell, sozial und emotional. Doch weder auf dem Arbeitsmarkt, bei der Bildung und dem Zugang zu Institutionen sei die Eingliederung geglückt, noch bei der kulturellen Teilhabe, der Identifikation mit der Kultur des Landes; sozial finde keine Durchmischung statt, sondern es entstünden Parallelgesellschaften, Migrantenviertel, aus denen sich der deutsche Staat zurückgezogen und ein Vakuum hinterlassen habe, das von arabischen, teils kriminellen Großfamilien und Islamisten gefüllt werde.

Abdel-Samad beschrieb die Bedingungen in diesen Vierteln als eine Art Stockholm Syndrom: Die dort lebenden Menschen merkten nicht, dass sie nicht frei seien, sondern würden ihre Werte sogar verteidigen. „Eine junge Muslima mit Kopftuch, die gebildet ist, die eigentlich unsere Hoffnung sein sollte auf Verbesserung, auf Zerschlagung dieser Strukturen, trägt das Patriarchat auf dem Kopf und den Schultern und redet davon, dass das Kopftuch ein Zeichen ihrer Emanzipation ist.“

„Wir fördern die Falschen“

Am wichtigsten sei aber die emotionale Integration, die Verbundenheit mit dem Land. Auch sie hält Abdel-Samad für gescheitert und begründet dies etwa mit den vielen junge Türken, die hier aufgewachsen seien – und trotzdem Erdogan gewählt hätten. „Da muss man sich fragen: Was machen die Communities falsch? Und was macht unser Schulsystem falsch, das nicht in der Lage ist, Freiheit besser zu verkaufen?“

Freiheit ist für Abdel-Samad ohnehin das A und O der Integration: „Wenn die Eltern begreifen, dass die Freiheit eine Chance für ihre Kinder ist und keine Bedrohung, dann gibt es auch eine Chance auf Integration.“ Bei einem der Interviews für sein Buch habe eine türkische Frau etwas gesagt, das er für den Schlüsselsatz für Integration halte: „Meine Eltern kamen ohne Angst nach Deutschland und haben uns angstfrei erzogen.“ Bevor man über Integrationskurse spreche, müsse die Bereitschaft zur Integration da sein.

Diese Interviews sowie Abdel- Samads Ablehnung der in seinen Augen politisch initiierten Bertelsmann-Studie, die im August 2017 kurz vor der Bundestagswahl der Integration muslimischer Einwanderer große Fortschritte bescheinigte, boten Mouhanad Khorchide Ansatzpunkte für Kritik, die aber stets die Methodik seines Freundes betraf: zu pauschal, zu ungenau, zu wenig wissenschaftlich. Inhaltlich dagegen stimmten der Professor für islamische Religionspädagogik – Khorchide vertritt einen reformatorisch- humanistischen Ansatz und steht daher selbst unter Polizeischutz – und Abdel- Samad weitgehend überein: Der politische Islam sei eine Gefahr für Freiheit und Demokratie, so beider Tenor. Doch leider fördere die Politik den politischen Islam auch noch, wenn sie mit Verbänden wie der türkischen Ditib rede und diese finanziell unterstütze. „Wir fördern die Falschen!“, warnte Abdel-Samad.

Später, bei der von Michael Trost, dem Fuldaer Sektionsleiter der den Abend mitveranstaltenden Gesellschaft für Sicherheitspolitik, moderierten Fragerunde kam Abdel-Samad noch einmal darauf zurück: Eine Fragestellerin hatte darauf hingewiesen, dass der politische Islam Integration verhindere – und jede nicht gelungene Integration den politischen Islam stärke. Abdel-Samad nickte nur: „Ein Teufelskreis.“

Doch während Khorchide auf eine theologische Lösung, eine Art innerislamische Reformation hofft, hält Abdel-Samad dies für äußerst unwahrscheinlich und setzt auf die Macht der Aufklärung, der Befreiung von religiösen Zwängen. Der einzige Punkt, an dem die beiden wirklich unterschiedlicher Meinung sind.

Referent: Hamed Abdel-Samad , Politikwissenschaftler und Autor
Referent: Professor Dr. Mouhanad Khorchide , Islamwissenschaftler, Uni Münster

Prof. Dr. Mouhanad Khorchide, geboren 1971 in Beirut, aufgewachsen in Saudi-Arabien, studierte Islamische Theologie und Soziologie in Beirut und Wien. Seit 2010 ist er Professor für Islamische Religionspädagogik an der Westfälischen Wilhelms- Universität Münster und Leiter des Zentrums für Islamische Theologie und als solcher der bekannteste muslimische Theologe in Deutschland. Ebenso wie Hamed Abdel-Samad setzt er sich für einen kritischen inner-islamischen Dialog ein.

Organisator: Herr Oberstleutnant d.R. Michael Willi Trost , Sektionsleiter
Schimmelstraße 12, 36043 Fulda  0661 / 402882

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