Sektion Saar

Sektion Saar

Donnerstag, 27.09.2018 - 19:30

Das Ende bisheriger sicherheitspolitischer Gewissheiten – und was nun?

Vortrag und Diskussion
Referent: Generalmajor a.D. Ernst H. Lutz , Publizist und Gastforscher am IFSH
Ort: Offizierheim Saarlouis neben der Graf-Werder-Kaserne - Wallerfangerstraße 33 , 66740 Saarlouis
Organisator: Oberst a.D. Klaus Zeisig kzeisig@web.de
06873 / 66 83 59

Ein weiteres hochaktuelles sicherheitspolitisches Thema stand auf der Tagesordnung der GSP-Saar, zu dem der Politikwissenschaftler und GenMaj. a.D. Ernst H. Lutz referierte.

Seit dem Amtsantritt des 45. Präsidenten der USA, Donald Trump, scheint die Welt nicht nur in sicherheitspolitischer Hinsicht aus den Fugen geraten zu sein. Um im Bild zu bleiben: Das Mauerwerk des seit über 70 Jahren sicherheitspolitischen Gebäudes der westlichen (freien) Welt hat durch die Erosion verschiedener Einflüsse Risse des Zweifels und zunehmender Ungewissheiten erlitten. Künftige Entwicklungen scheinen unsicher und unvorhersehbar geworden wie seit dem Ende der Ost-West-Konfrontation nicht mehr.

In kritischer exemplarischer Betrachtung von 10 bisher als „Gewissheiten“ eingeschätzten Überzeugungen legte der Referent deren seit 1990 eingetretenen Veränderungen dar und es sei dem geneigten Leser überlassen, selbst zu urteilen, was von diesen Gewissheiten übriggeblieben ist:

1. Frieden, Freiheit und Wohlstand sind sicher, Politik ist vernünftig und vorausschauend verlässlich.
2. Liberale Demokratie ist auf dem Vormarsch. Sie bewirkt Sicherheit mit Frieden und Freiheit, Wohlstand durch Freihandel, Wirtschaftsintegration, stabile Gesellschaften und staatsbürgerliche Bindung. 
3. Multilaterale Organisationen wie z.B. UNO, NATO, EU, OSZE, IWF WTO u.a. sind attraktiv und verlässlich dauerhaft. Die EU-Integration wächst sicherheitsstärkend. 
4. Die USA haben gleiche Interessen und sind Rückhalt der europäischen Nachkriegsfriedensordnung. 
5. Deutschland profitiert regional und global aus „kluger Zurückhaltung“. Eines deutschen militärischen Rückhalt Europas bedarf es nicht, wir führen Friedensunterstützende Operationen. Wenig Streitkräfte und Polizei ergeben Friedensdividende (= Wohlstand). 
6. Unbegrenzter Welthandel sichert Wohlstand. Aufstrebende Staaten wollen und können integriert werden. 
7. Krisen/Konflikte können ferngehalten, Terrorismus/Organisierte Kriminalität/Korrupt-ion beherrscht werden. 
8. Abrüstung + Rüstungskontrolle + Vertrauensbildung + Entwicklungshilfe + Humanitäre Politik = Frieden und Sicherheit. 

9. Folgen ökologischer Veränderungen (Klima, Dürre Überschwemmungen, Hunger, Migration) sind international beherrschbar. 
10. „Deutsche Zivilmacht“ (normative/soft power) ermöglicht „europäische Friedensmacht“ (Koalitionsvertrag 2018, S.8) mit US-Schutz.

Betrachtet man das globale Sicherheitspanorama, so springen über den Globus verteilt folgende prägende Faktoren entlang der Wertschöpfungsketten ins Auge:

Neue Mächte/Interessen/Dynamiken/Fähigkeiten – Staats-Egos – Entstaatlichte Gewalt –Organisierte Kriminalität – Terrorismus – Cybercrime/-war – Naturkatastrophen/Klimafolgen – Armut/Hunger/Migration – Technologiesprünge/-risiken – Urbanisierung – Unkontrollierte Rüstung – Massenvernichtungsmittel – Grenz-/Territorialkonflikte –Hybride-/Klassische Kriege – Finanz-/Handelskriege – Finanz-/Wirtschaftskrisen – Energie-/Rohstoff-/Marktzugang/freier Handel.

Unschwer zu erkennen: die Welt wird immer komplizierter und politische Ursachen und Zusammenhänge werden immer komplexer.

Der Blick auf die derzeitige Situation in der Welt und die sich abzeichnenden Perspektiven (Resümee aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen) scheint die Lage nur noch zu verschärfen:

Im Jahre 2050 wird die Weltbevölkerung von heute ca. 7,3 Milliarden auf ca. 10 Mrd. angestiegen sein, davon werden in Europa lediglich ca. 0,5 Mrd. leben.
Heute leben 3,3 Mrd. Menschen in autokratischen Regimen, nur 0,35 Mrd. in eindeutigen Demokratien. Es gibt Staaten mit hohem Bevölkerungszuwachs und alternativen kulturellen Wurzeln, die keine Demokratien sind. Autoritäre Saaten mit demokratischer Legitimation nehmen zu.

China und die USA sind als Informations- und Wirtschaftsimperien die neuen global konkurrierenden Zentren.

Die Diskrepanz zwischen machtanhäufenden und zurückbleibenden Staaten und Gesellschaften wird größer.

Ohne hier aus Platz- und Zeitgründen auf die inhaltlichen Punkte näher einzugehen, sei zur Abrundung der Darstellung des Vortrags erwähnt, dass die 3 Großmächte Russland, China und USA mit den weltpolitischen Aspekten ihrer jeweiligen Politik angesprochen wurden.
Russlands Selbstverständnis ist historisch und global politisch bestimmt. Reich an Rohstoffen, schwache und schlecht strukturierte Wirtschaft, leidet unter den Sanktionen infolge seiner Krim- und Ukraine-Politik. Ein Fehlen potenter Verbündeter/ Partner erschwert die Lage.

China befindet sich auf dem Wege von der regionalen zur globalen Hegemonialmacht (Neue Seidenstraßen-Strategie!). Hat regionale territoriale Streitobjekte mit seinen Nachbarn und versucht seinen Einfluss insbesondere auf den pazifischen Raum auszudehnen, wobei ihm das „Eigentor“ Donald Trumps mit der Aufkündigung des Transpazifischen Handelsabkommens geradezu in die Hände gespielt hat.

Schließlich die USA als bisheriger Garant der westlichen Sicherheitsarchitektur. Außer dem Motto „America First“ des „besten Präsidenten, den Gott je geschaffen hat“, ist eine klare außenpolitische, sicherheitspolitische, wirtschafts- und handelspolitische und finanzpolitische Linie nicht erkennbar. Derzeit haben sich die USA auf den Kurs zum Isolationismus (von Trump neuerdings „Patriotismus“ genannt) begeben. Sie sind auf keinem Politikfeld zumindest derzeit ein verlässlicher Partner. Ob und wie lange das ggf. weiter anhält, hängt ganz von der innenpolitischen Entwicklung der USA ab.

Was soll europäische, was soll deutsche Politik vor diesem Hintergrund tun? Das ist sicherlich eine Frage, die nicht ad hoc aus dem Bauch heraus beantwortet werden kann.
Eines scheint aber klar zu sein: Angesicht der globalen Herausforderungen und Zusammenhänge muss verantwortliche Politik künftig nur noch im europäischen Rahmen gedacht und ausgeführt werden. Nationale Alleingänge scheinen von vornherein zum Scheitern verurteilt zu sein. Das sollten, das müssen sich viele im regionalen oder parteipolitischen Klein-Klein hartnäckig verharrende „Politiker“ hinter die Ohren schreiben!

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