Sektion Saar

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Mittwoch, 11.12.2019 - 19:30

Afghanistan 2019 - politische und soziale Lage - Erfahrungen aus 35 Jahren am Hindukusch

Seit 2001 ist die Bundeswehr im Rahmen der NATO mit unterschiedlichen Mandaten im Einsatz in Afghanistan. Trotz des zunächst erfolgreichen Kampfes gegen das Taliban-Regime, konnten die Taliban, wie sich herausstellte, nicht besiegt werden. Hierfür gibt es sicherlich mannigfaltige Ursachen, die eine alle Umstände umfassende Analyse über Fehler und Versäumnisse schwierig erscheinen lassen.
Fazit ist jedoch: auch nach über 18 Jahren internationalen Einsatzes am Hindukusch ist das Land noch nicht zur Ruhe gekommen, sind die Innere Ordnung und Sicherheit äußerst brüchig.
Vortrag und Diskussion
Referent: Dr. med. Reinhard Erös , Kinderhilfe Afghanistan

Einer, der die Afghanen seit über 35 Jahren vor Ort begleitet und die Verhältnisse wie praktisch kein anderer kennt, ist der Oberstarzt der Bundeswehr außer Diensten Dr. med. Reinhard Erös aus Mintraching bei Regensburg.

Schon in den 80er Jahren, noch als aktiver Arzt der Bundeswehr, gewann er das Zutrauen und Vertrauen vieler Afghanen über alle politischen Grenzen hinweg, als er im Rahmen eines verlängerten Urlaubs von Pakistan aus in Nachtmärschen von örtlichen Führern in das damals von Sowjet-Truppen besetzte Afghanistan gebracht wurde, um unter widrigsten Umständen Verwundeten und Kranken zu helfen. Aus diesen tiefen „Urlausbseindrücken“ wurde für ihn und seine Frau eine Lebensaufgabe.

Er gründete die „Kinderhilfe Afghanistan“ und leistet damit seit Jahren einen wirkungsvollen Beitrag für eine friedliche Zukunft des Landes und seiner Menschen. Er baute und betreibt Schulen, Krankenhäuser, Kranken- und Sozialstationen.

Seine herausragende Bedeutung in der Analyse der Situation in Afghanistan und der Erarbeitung möglicher wirkungsvollerer Vorgehensweisen wird auch durch seine hohe Präsenz insbesondere in den einschlägigen politischen Sendungen des Fernsehens deutlich.

Ort: Offizierheim Saarlouis neben der Graf-Werder-Kaserne - Wallerfangerstraße 33 , 66740 Saarlouis
Organisator: Oberst a.D. Klaus Zeisig kzeisig@web.de
06873 / 66 83 59


Bericht über den Vortrag „Afghanistan 2019 –politische und soziale Lage – Erfahrungen aus 35 Jahren am Hindukusch“ am 11. Dezember 2019

von Klaus Zeisig

Der Referent zu diesem Thema, der Oberstarzt der Bundeswehr außer Diensten, Dr. med. Reinhard Erös, begleitet die Afghanen seit über 35 Jahren vor Ort und kennt die Verhältnisse wie kaum ein anderer.

Nach einem Rückblick auf seine internationalen Erfahrungen als aktiver Bundeswehr-Arzt (u.a. Kommandeur des ersten Bw-Sanitätsbataillons im UN-Einsatz 1991/92 in Kambodscha), beleuchtete er in einem historischen Rückblick die Geschichte, Kultur und Besonderheiten des heutigen Afghanistan. Ausschlaggebend und prägend  in Afghanistan war und ist das ausgeprägte Stammes-System, die alten Traditionen und die dezentrale Staats-und Gesellschaftsordnung. Die Hauptstadt Kabul ist fern und spielte und spielt keine staats- und gesellschaftsprägende Rolle.

Alle fremden Mächte holten sich bei dem Versuch, das Land zu unterwerfen, eine blutige Nase und mussten hohen Blutzoll zahlen.  Die Engländer, als sie noch ein Weltreich beherrschten, führten im 19. Jahrhundert zwei erfolglose Kriege, bevor sie nach dem verlorenen 3. Afghanistan-Krieg 1919 die Unabhängigkeit Afghanistans anerkennen mussten. Die Sowjets mussten sich bei dem vergeblichen Versuch,  ab 1979 aus Afghanistan eine sozialistische Republik zu machen, nach erheblichen Verlusten 1989 aus Afghanistan zurückziehen. Damals garantierten die Sowjetunion und die USA in dem Abkommen von Genf, sich nicht in die inneren Angelegenheiten Afghanistans einzumischen!

Die Terroranschläge vom 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington veränderten die Welt. Obwohl sich hinterher herausstellte, dass unter den Terroristen keine Afghanen waren – ironischerweise kamen die meisten aus Saudi-Arabien, einem engen Partner der USA (!) – war das der Auslöser für den NATO-Einsatz in Afghanistan, ermöglichten doch die in Afghanistan herrschenden Taliban die Ausbildung der dann weltweit operierenden Terroristen in eigens dafür betriebenen Ausbildungslagern.

Das militärische Ziel des internationalen Militär-Einsatzes  nach den Anschlägen des 11.September 2001 mit über 3000 Toten, das Taliban-Regime in Afghanistan und damit auch die Ausbildungslager für  internationale Terroristen zu beseitigen, wurde binnen Kurzem erreicht. Wie sich in der Folge herausstellte, waren die Taliban damit aber nicht besiegt.

Leider haben insbesondere die Amerikaner aus der Geschichte und ihren Kriegseinsätzen nach dem 2. Weltkrieg, beginnend mit Vietnam, dem Irak, in Libyen und in Afghanistan, 0ffensichtlich nichts gelernt. Wenn man überhaupt von einem politischen Konzept für den Einsatz sprechen kann, so war es oberflächlich und nicht ausgereift.

Aber nicht nur die USA, auch ihre Verbündeten waren der irrigen Ansicht, wenn erstmal      Al Quaida vernichtet, die Taliban besiegt und das Land in eine westliche Demokratie umgewandelt war, würde aus Afghanistan ein wirtschaftlich blühender und politisch stabiler Staat werden. Welch ein Irrtum angesichts der 1000-jährigen Geschichte des Landes!

Fazit ist hingegen: auch nach über 18 Jahren internationalen Einsatzes am Hindukusch ist das Land noch nicht zur Ruhe gekommen, sind die Innere Ordnung und Sicherheit äußerst brüchig.

Viele wohlgemeinte Ansätze erreichten in den praktischen Auswirkungen oft das Gegenteil des Beabsichtigten. Kabul wurde in kurzer Zeit mit Milliarden Dollar  (wohlgemeinter) Entwicklungshilfe überschwemmt, die die Preise in die Höhe trieben oder in obskuren Kanälen verschwanden. NGO’s und alle anreisenden „Experten“ und Berater mieteten sündhafte teure Büros in Kabul und gepanzerte Limousinen an, gebildete und gut ausgebildete Menschen wurden von den ausländischen Organisationen als Übersetzer, Kraftfahrer oder sonstige Hilfskräfte gegen das Zig-Fache der sonst landesüblichen Gehälter angeheuert und somit unter Wert eingesetzt, fehlten sie an anderer Stelle beim dringend gebotenen Aufbau des Landes.

Diese vor allem durch mangelnde kulturelle Kompetenz erzeugte Fehlverhalten „der Ausländer“ erzeugte im Land Neid und Zorn.

Die Lage insbesondere junger Menschen ist bei 80% Jugendarbeitslosigkeit hoffnungslos. Nicht die immer noch brüchige Sicherheitslage, sondern diese Perspektivlosigkeit angesichts der desolaten Wirtschaftslage ist die eigentliche Ursache dafür, dass, wie der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller schon 2017 sagte, in Afghanistan eine Million junger Leute „auf gepackten Koffern sitzen“.  Ziel ihrer Wünsche ist nachvollziehbar vor allem Deutschland!

Angesichts dieser erdrückenden negativen Rahmenbedingungen, wie die desolate Wirtschaftslage, horrend hohe Arbeitslosigkeit insbesondere junger Leute  ohne jegliche Perspektiven für baldige Besserung, Tote und Verletzte in einer brüchigen Sicherheitslage und Korruption auf allen Ebenen, scheint die Suche nach Auswegen aus diesem Dilemma schier hoffnungslos.

Doch gibt es auch Ansätze für positive Veränderungen. Es muss zum einen endlich gelingen, mit den Taliban zu einer sie in das Staatsgeschehen einbindenden Aussöhnung zu kommen, zum anderen müssen breit angelegte Bildungsangebote und -bemühen noch weiter ausgebaut werden. Während unter den Taliban nur „eine Handvoll“ Mädchen Zugang zu Bildung hatten, sind es jetzt schon zwei Drittel der Jungen und etwas über ein Drittel der Mädchen.

Zu dieser Entwicklung hat auch die von Dr. Erös und seiner Familie 2001 gegründete „Kinderhilfe Afghanistan“ mit u.a. 30 Schulen, 3 Berufsschulen und einer Universität beigetragen.

Bei den Milliardenhilfen, die auch von Deutschland nach Afghanistan flossen, muss viel entschiedener darauf geachtet werden, sie nicht publicity-wirksam vor laufenden Kameras in Kabul an korrupte Minister zu überreichen, sondern effektiv dafür zu sorgen, dass sie voll und zielgerichtet in den Provinzen für zukunftsweisende Projekte eingesetzt werden.

Es ist in der Vergangenheit durch falsche politische Schwerpunktsetzungen zwar viel Geld und viel Zeit verschwendet und viel Porzellan zerschlagen  worden, es sollte aber nie zu spät sein, daraus die richtigen Konsequenzen zu ziehen und das Notwendige für den Aufbau des Landes und die innere Befriedigung der Menschen im geschundenen Afghanistan zu tun.

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