Über das Thema:  „Extremismus in Deutschland – Wie bedroht u. wehrhaft ist unsere Demokratie?“ hatte Prof. Dr. Stefan Goertz am 21.09.2022 bei der GSP-Sektion Ulm u. Kooperationspartnern DWT u. DBwV vorgetragen. An der Veranstaltung nahmen 70 Zuhörer teil.

Der Referent bezog sich eingangs auf seine Quellen „Bericht 2022 des BfV und zwei seiner neuesten Bücher. Er teilte den Vortrag in 5 Abschnitte:
 1. Lageanalyse (zus. Quelle: Verfassungsschutzbericht des Landes BaWü).
Zitat von IM Strobl: „2021 war ein außergewöhnliches, ein herausforderndes Jahr. Die Corona-Pandemie u. das Protestgeschehen in diesem Zusammenhang haben den Verfassungsschutz im vergangenen Jahr stark gefordert. Im Umfeld des Protestgeschehens wurde auf alte u. neue Verschwörungsideologien Bezug genommen. Diese sind extremistisch beeinflusst: Oftmals transportieren sie antisemitische oder staatsfeindliche Narrative, teilweise auch in Kombination mit rassistischen oder geschichtsrevisionistischen Ansichten.“ Außerdem; „ Der Rechtsextremismus war nie weg, das zeigen schwere rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten der letzten Jahre…..Bei den linksextremistischen Straftaten war 2021 mit 659 Fällen eine deutliche Zunahme festzustellen“ Minister Strobl führt dies auf erhöhte Agitation bei der Landtagswahl und der Bundestagswahl 2021 zurück und „Die vom islamistischen Terrorismus ausgehende Gefährdung ist weiterhin als hoch einzustufen.“

2. Querdenken – ein neues Phänomen im Extremismus?
Die Corona-Proteste und Corona-Spaziergänge hatten Anfang 2020 noch ein heterogenes Teilnehmerfeld, im Kern demokratisch, später jedoch sichtbare Einflussnahme von Rechtsextremisten, insbesondere Reichsbürgern, Selbstverwaltern u. Verschwörungsgläubigen. Der Wendepunkt war wohl der Sturm auf den Reichstag am 29. August 2020 in Berlin. Mehrere Hundert „Reichsbürger“ besetzten die Treppenaufgänge, übten Gewalt gegen Polizisten aus etc. Bei Querdenken 711 geht es um eine Gruppierung die schon vorher im April 2020 entstand. Der deutsche Unternehmer M. Ballweg organisiert seither Proteste gegen Pandemie-Schutzmaßnahmen. Da es Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen (verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates) gab, steht Querdenken 711 unter Beobachtung des LfV BaWü. Bei verschiedenen Demos in Deutschland kam es immer wieder zu Ausschreitungen mit erhöhtem Eskalationspotenzial, z.B. gefährlichen Körperverletzungen.
 
3. Rechtsextremismus
Akteure: NPD, „Die Rechte“, „Der III.Weg“, und rechtsextremistische Kameradschaften, Vereine, Netzwerke, Verlage etc. Nach Analyse dt. Verfassungsschutzbehörden ist die IBD-Ausrichtung ideologisch: „gegen den Verlust der eigenen Identität durch Überfremdung“. Ehemalige Begriffe wir „Rasse“ und „Volksgemeinschaft“ werden ersetzt durch „Ethnie, Identität u. Kultur“. Das Ziel der IBD und der Neuen Rechten: Anschlussfähigkeit in breiten Bevölkerungskreisen. Zielgruppe: Jugendliche u. junge Erwachsene. Prof. Goertz berichtete dann über Fälle in den letzten Jahren durch Terror-Gruppen bzw. Einzeltäter (NSU, Frank S., „Gruppe Freital“, Stephan Ernst usw.). Eine Großrazzia erfolgte in diesem Jahr gegen die „Atomwaffen Division, wobei 65 Objekte durchsucht wurden u. aktuell fünf Verfahren gegen diese Neonazi-Netzwerk geführt werden. Der AfD-Vorsitzende Chrupalla sagte u.a.: „Wirtschaftsminister Habeck führt einen Wirtschaftskrieg gegen Russland“ und „dieser Wirtschaftskrieg schadet vor allem der deutschen Wirtschaft.“ Zur Frage, ob durch den Ukraine-Krieg u. die energiepolitischen Folgen ein „heißer Herbst“ droht, sagte der Referent, dass die AfD regelmäßige Aufrufe ihrer Mitglieder zu Demonstrationen (Kampagne „Unser Land zuerst“, 08.09.22) plant.  Die Partei Die Linke plant große Proteste gegen steigende Energiepreise u. deren Vorsitzende Wissler sagte: Bei Demonstrationen muss ganz klar darauf geachtet werden, dass Rechte dort keinen Platz haben“. Drohen also neue Massenproteste? Entstehen neue Akteurskonstellationen?

4. Islamismus, islamistischer Terrorismus
Der Referent zeigte eine Liste von Anschlägen durch Einzeltäter von 2011 -2020. Sicherheitsbehörden haben aber auch mehrere geplante Anschläge vereitelt. Es gibt ca. 12.000 Salafisten u. 28.000 Islamisten in D. Von 1.090 deutschen Jihad-Reisenden ist etwa 1/3 zurückgekehrt. Das BKA beziffert ca. 540 als islamistische Gefährder. Bei den bisher verübten islamistischen Anschlägen in Deutschland und Europa war Terrorismus gegen die Bevölkerung die wesentliche Zielrichtung und nicht etwa Anschläge gegen Kritische Infrastruktur.

5. Linksextremismus (LE)
Der Präsident des BfV sagt, „dass linksextremistische Gewalt sich hemmungslos gegen die Staatsmacht, aber auch politische Gegner richtet.“  Die „Rote Hilfe“ ist mit 12.100 Mitgliedern in über 50 Ortsgruppen die größte Gruppierung bundesweit. Sie unterstützt LE-Straftäter im Strafverfahren u. während der Haftzeit. Sie stellt die Legitimität der Demokratie infrage, unterstützt Anwendung von Gewalt als Mittel der polit. Auseinandersetzung. Im BfV-Bericht steht, dass der Schritt zur „gezielten Tötung“ eines polit. Gegners nicht mehr undenkbar wäre. Die Intensität der Gewalttaten hat sich erhöht.

(Autor: Wolfgang Goetze, SL Ulm)