Sektion Bad Kissingen

Sektion Bad Kissingen

Mittwoch, 29.07.2020 - 19:00

Flucht und Migration- im Spannungsfeld von universellem Menschenrecht, „ Open Borders“ und staatlicher Grenzhoheit

Vortrag und Diskussion

Nachdem wir uns beim letzten Vortrag mit dem deutschen Engagement bei der Mission MINUSMA“ der Vereinten Nationen befasst haben wollen wir uns diesmal mit einer der größten Herausforderungen für Frieden und Sicherheit in der Welt beschäftigen: dem Thema Flucht und Vertreibung. Bereits im Vortrag über den Auftrag der VN-Mission in Mali, die inzwischen auch auf die Nachbarstaaten ausgeweitet ist, wurde deutlich, dass der Auftrag der Mission nicht nur der Aufrechterhaltung eines funktionierenden Staates und der Bekämpfung des Terrorismus in der Sahel-Zone dient. Ein wichtiges Ziel ist auch die Schaffung eines sicheren Umfelds für die Menschen und damit die Eindämmung von Flucht und illegaler Migration nach Europa.
In 2019 waren weltweit 80 Millionen Menschen auf der Flucht, ca. 60 Millionen als sog. „Binnenflüchtlinge“, 40 % von ihnen unter 18 Jahren. Wer glaubte, dass sich der Druck der Flucht-und Migrationsströme Richtung Europa nach der Eskalation in 2015 vermindert hätte, sah sich getäuscht. Während weiterhin Tausende Flüchtlinge vor allem aus den umkämpften Gebieten im Syrienkrieg – trotz Abmachung zwischen der EU und der Türkei – die griechischen Inseln erreichen, nimmt der Druck auf der Nordafrika-Route – vor allem über das Bürgerkriegsland Libyen – weiter zu.
In dem völlig überfüllten Flüchtlingslager auf der Insel Lesbos herrschen katastrophale humanitäre Zustände, welche die Insel jeden Augenblick in einen Corona-Hotspot verwandeln können. Schiffe von zivilen Rettungsorganisationen bringen ständig neue Ladungen von Flüchtlingen in italienische Gewässer, wo sie oft tagelang umherirren, ohne die Genehmigung zu erhalten, die Asylsuchenden in einen Hafen bringen zu dürfen. Auch Spanien ist in letzter Zeit verstärkt zum Ziel von Asylsuchenden geworden, die die kurze Transitroute von Marokko über die Meerenge von Gibraltar benutzen.
Alle Versuche der europäischen Staaten, ein Abkommen über eine geregelte Aufnahme von Asylbewerbern (Europäisches Asylsystem) zu schließen, sind bisher gescheitert oder diesbezügliche Vereinbarungen wurden nicht eingehalten. Das
sogenannte „Dublin-III-Verfahren“ von 2013 über die Bearbeitung von Asylanträgen durch den Staat, auf dessen Boden ein Asylsuchender seinen Fuß zuerst setzt, ist aufgegeben worden. Einzelne Staaten versuchen, die Aufnahme von Flüchtlingen durch bilaterale Abkommen (sichere Drittstaaten und Herkunftsländer) zu verhindern, andere – vor allem in Osteuropa – verweigern grundsätzlich jegliche Mitarbeit bei der Lösung dieses ganz Europa betreffenden Problems und pochen auf die Hoheit über ihre Grenzen. Selbst liberale Staaten wie Schweden haben ihre Grenzen für Flüchtlinge mittlerweile geschlossen.
Wie ist die Rechtslage?
Ein Migrant verlässt seine Heimat freiwillig, um seine Lebensbedingungen zu verbessern. Ein Flüchtling tut dies unfreiwillig und aus begründeter Furcht vor Misshandlung und Diskriminierung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe, seines Geschlechts, seiner sexuellen Identität oder seiner politischen Überzeugung. Stellt er einen Asylantrag, so erhält er Schutz gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951.
Während die Vereinten Nationen und zahlreiche Organisationen wie Human Rights Watch, Amnesty International, Ärzte ohne Grenzen und Pro Asyl auf das Recht von Flüchtlingen auf Schutz pochen, schotten sich viele Staaten mit dem Hinweis auf ihre staatliche Grenzhoheit ab oder versuchen, Flüchtlingsströme durch bilaterale Abkommen einzudämmen. Dies gilt besonders für das umstrittene Flüchtlingsabkommen der EU mit der Türkei.
Auf dieses Spannungsfeld zwischen dem universalen Menschenrecht auf Immigration, dem „right to leave“, dem „right to exclude“, dem Schutz der nationalen Identität und der Forderung von sicheren Staatsgrenzen wird unser Referent in seinem Vortrag eingehen.

Referent: Prof. Dr. Oliver Hidalgo

Prof. Dr. Oliver Hidalgo ist derzeit Akademischer Oberrat für Politische Theorie an der WWU Münster und außerplanmäßiger Professor für Politikwissenschaft an der Universität Regensburg. 2005 promovierte er in Regensburg und habilitierte sich dort 2012 mit einer Studie über die Antinomien der Demokratie. Professor Hidalgo ist Sprecher des AK „Politik und Religion“ der DVPW, Autor und Herausgeber
zahlreicher Bücher und Fachartikel über politikwissenschaftliche Themen (z.B. Islam und Politik, Flucht und Migration, Rechtspopulismus) und außerdem Referent bei verschiedenen Stiftungen und Institutionen im Bereich der politischen Bildung. 2018/2019 leitete er zudem ein Erasmus+ Programm der EU zum Thema „Rights, Duties, Solidarity – European Constitution and Muslim Immigration“.

Ort: Großer Saal der Seniorenresidenz Parkwohnstift - Heinrich-von-Kleist-Straße 2 , 97688 Bad Kissingen
Organisator: Herr Oberstleutnant a.D. Ulrich Feldmann fieldman.ltc@freenet.de
0971 / 68982

Prof. Dr. Hidago (Foto: Dieter Galm, Pressereferent)



Flüchtlingsverteilungsplan - Zustimmung - Ablehnung - EU-Kommission


Chaos an der GR - MAZ -Grenze


Afrika, Dürre, DEU hilft


Prof. Dr. O. Hidalgo und OTL a.D. U. Feldmann (Foto: Dieter Galm, Pressereferent)


Flucht und Migration

Die Kissinger Sicherheitspolitiker wagen  den Anfang.

Seit Ende Februar musste  die sicherheitspolitische Vortragsreihe der  Bad Kissinger Sektion der Gesellschaft für Sicherheitspolitik (GSP) Corona-bedingt ausgesetzt werden. Nachdem inzwischen die  Infektionsschutzbestimmungen  wieder Veranstaltungen  unter Einhaltung  der geltenden Bestimmungen  in geschlossenen Räumen erlauben, entschloss sich Sektionsleiter Ulrich Feldmann, , die Vorträge fortzusetzen. Die Direktion der Seniorenresidenz Parkwohnstift in Bad Kissingen, wo die Kooperationsvorträge  regelmäßig stattfinden, hatte dazu extra ein eigenes Konzept für Veranstaltungen bis 100 Teilnehmer entwickelt.

Als Thema hatte Feldmann   das Thema „Flucht und Migration im Spannungsfeld von universalem Menschenrecht, Open Borders, dem Schutz der nationalen Identität und staatlicher Grenzhoheit“ ausgewählt. Als Referent konnte er Professor Dr. Oliver Hidalgo, a.pl. Professor für Politikwissenschaft und Akademischen Oberrat an der Universität Regensburg gewinnen. Bange Frage: wieviele Interessierte  würden sich  wohl überhaupt trauen, zu dieser ersten öffentlichen, „nicht digitalen“ Vortragsveranstaltung zu kommen? Über fünfzig „Mutige“  konnte Feldmann dann doch im großen Saal des Parkwohnstifts begrüßen.

                                          2020—noch nie soviele Menschen auf der Flucht

Aktueller konnte das Thema nicht sein: Das UNHCR zählt dieses Jahr in seiner Statistik weltweit 80  Millionen Flüchtlinge, davon ca. 45 Millionen Binnenflüchtlinge- 40% von ihnen sind jünger als 18 Jahre. Wer glaubte. dass sich der Druck der Migrations-und Fluchtströme seit der Eskalation in 2015 verringern würde , sah sich getäuscht: trotz der Abmachungen der EU mit der Türkei erreichen fast täglich Flüchtlinge vor allem aus den umkämpften Gebieten  im Syrienkrieg  die griechischen Inseln. Aber  auch über das Mittelmeer strömen immer mehr Menschen in Schlepper-Booten über das Bürgerkriegsland Lybien, Tunesien und Marokko nach Spanien und Italien. Im Focus stehen dabei die unhaltbaren Zustände auf der Insel Lesbos und die Lage auf der Insel Lampedusa. Alle Versuche der europäischen Staaten, ein Abkommen über eine geregelte Aufnahme von Asylbewerbern ( Europäisches Asylsystem) zu schliessen , sind bisher gescheitert oder diesbezügliche Vereinbarungen über die Verteilung von Flüchtlingen wurden nicht eingehalten. Das sogenannte „Dublin III-Verfahren“ von 2013 über die Bearbeitung von Asylanträgen durch den Staat, auf dessen Boden ein Asylsuchender  seinen Fuß zuerst setzt, wurde aufgegeben. Einzelne Staaten, darunter auch Deutschland, versuchen, den Zustrom durch bilaterale Abkommen ( „Sichere Drittstaaten“-Regelung) mit Herkunfts- und Transitländern zu verringern . Andere-vor allem osteuropäische- Staaten ( siehe in rot dargestellte Staaten auf der Karte)  verweigern grundsätzlich jegliche Mitarbeit bei der Lösung dieses gesamteuropäischen Problems und pochen auf die Hoheit über ihre Grenzen und die Sicherung der nationalen Identität. Selbst Länder wie Schweden , die bisher großzügig  Flüchtlinge aufnahmen, haben ihre Grenzen für Asylbewerber geschlossen.                                                                                              

                                                                    Der Kampf um die Begriffe

Vor diesem Hintergrund stellte der Referent die kontroverse Diskussion über die Rechte von Flüchtlingen auf der einen Seite und dem Recht eines Staates auf Schutz seiner Grenzen und Wahrung seiner  Identität dar. Zu Beginn klärte er die wichtigsten Begriffe: „Asyl für politisch Verfolgte“  als ein Recht auf Verbleiben/ Leben in einem anderen Land, das auch einklagbar ist, falls eine Auslieferung mit Gefahr für Leib und Leben, Würde und persönliche Unverletzbarkeit verbunden ist. Dies ist nicht nur in der Genfer Flüchtingskonvention und der UN-Menschenrechtserklärung von 1948 ( u.a. die Freizügigkeit) niedergelegt, sondern wurde von Deutschland auch in das Grundgesetz, also nationales Recht umgesetzt ( GG Art. 16a, Asylrecht). Als „Wirtschaftsflüchtlinge“  werden Personen bezeichnet, die angeblich ( auch) moralisch keinen Anspruch auf Asyl besitzen. Folgerichtig lässt  dies eine rigide rechtliche Handhabung / Abschiebung legitim  erscheinen. Auch die Ablehnung eines Asylantrag bedeute nicht automatisch Asylmissbrauch, da die komplexe Gemengelage von Fluchtmotiven zeige, dass der Übergang zwischen Wirtschaftsmigration und asylerheblicher Flucht fliessend sei, so Prof. Hildalgo.

                                                         Historische Hypotheken

Migration in Form von Völkerwanderungen hat es seit Menschengedenken gegeben. In der Neuzeit wanderten unzählige Menschen wegen religiöser, politischer Verfolgung und Armut in die „Neue Welt“ aus . Weitere  Gründe lagen z.B. in der Kolonialvergangenheit in Europa, der Verwicklung des Westens in regionale Kriegshandlungen oder  dem Rohstoffmangel. In jüngster Zeit kamen dazu die Entwicklung des Weltmarkts, die Folgen der Globalisierung und die zunehmende Arm / Reich-Schere ( 1,2 Mrd Arme global). Weitere Gründe liegen in der Krise der Bildung von Nationalstaaten. Während sich in Europa eine enge Verknüpfung zwischen Staat und Nation entwickelt hat, gibt es in der westlichen Welt kaum ein Pendant dazu, denn nach den Unabhängigkeitskriegen gegen die westlichen Kolonialmächte scheiterten die meisten Nation-Building-Prozesse –Folge: es entstanden  immer mehr sog. „Failing/ Failed  States“ mit „Bad Governance“. Dazu kommen das Scheitern nichtstaatlicher Organisation wie die fehlende Repräsentation von Minderheiten  z.B. nach 1918 mit Heerscharen von „Staatenlosen“ sowie  totalitäre Genozide als Resultat „überflüssiger“ Gruppen, die nicht integrierbar erschienen.

                                                          2015 und die Folgen

Das Jahr 2015 hat die  konträren Auffassungen der europäischen Staaten erst richtig deutlich werden lassen: das Dublin-Abkommen einer proportionalen Aufteilung misslang, zahlreiche Mitgliedstaaten der EU sahen ihre nationale Identität bedroht und haben ein unterschiedliches Verständnis von Solidarität. Fehlende Grenzkontrollen im Binnenraum werden als Souveränitätsverlust angesehen, Grenzen wurden geschlossen. Es entstand ein Patt zwischen den Prinzipien der Offenheit, Freizügigkeit und Pluralität, also der Ethik der universalen Menschenrechte wie dem „Right to leave“ und dem Pochen auf dem Recht der Unverwüstlichkeit des Nationalstaats. Der  Wunsch nach homogener nationaler Identität  und der Verantwortung für „eigene“ Bürger statt utopischer Überforderung bekam Vorrang und begründete   das Argument  vom „Right to exclude“ . Wissenschaftler wie z.B. Michael Blake sind der Auffassung, dass es kein absolutes Recht zur Immigration gebe, da einem Staat keine solche Verpflichtung aufzuerlegen sei.

                                          Moralisch-ethisches Recht versus faktische Realisierung

Hier stehen sich  Ethik, also das moralisch überzeugend zu reklamierende individuelle und in zahlreichen Konventionen niedergeschriebene Einwanderungsrecht und die faktische Unmöglichkeit der politisch-demokratischen Realisierung eines solchen Rechts gegenüber, so Prof. Hidalgo. Inzwischen hat sich der Umfang  der Menschenrechte weiterentwickelt: seit dem sog. „Sozialpakt“ vom 16.12.1966 gehören dazu z.B. auch das Recht auf Arbeit, gerechte Arbeitsbedingungen, angemessener Lebensstandard, Wohnung, Gesundheit, Wasser und Bildung. Fragen: wie soll das alles durchgesetzt werden? Sind das nicht ungemäße Forderungen an den Staat? Was Menschenrechte umfassen soll ist heftig umstritten, sie sind eine dynamische Verhandlungsmasse und ihre – vor allem sozialen Leistungsrechte- rechtlich schwer einklagbar. Ausnahme:  sie sind  in nationales Verfassungsrecht aufgenommen worden. Auch bei politischen Hindernissen und Überforderung –und letztendlich auch bei illegalem Aufenthalt-bleiben sie  intakt.

                                                                     Lösungen in Sicht?

Wie soll der Spagat  zwischen den Vorgaben der Menschenrechtskonventionen  von UN und EU und den politischen Entscheidungen der Nationalstaaten  nun überwunden werden?  Ist  moralische Anerkennung und wirtschaftliche Hilfe für Flüchtlinge auch jenseits konkreter/ nachgewiesener politischer Verfolgung ein Gebot oder eine Überforderung des Menschenrechtsbegriffs? Gibt es ein Recht auf Zuwanderung und wirtschaftlichen Wohlstand? Formal sieht weder das  Völkerrecht noch die staatsbürgerrechtlichen Bestimmungen der der EU und Nationalstaaten ein solches Recht vor. Haben souveräne Staaten  die Befugnis, Einwanderung nach eigenen Interessen und Kapazitäten zu regeln( siehe Kanada, Australien) ?. Wie könnte  man moralisch vertretbar die Kapazitätsgrenze eines Staates für die Aufnahme von Flüchtlingen bestimmen und damit die Forderung  nach Erhaltung der nationalen Identität berücksichtigen? Sicher sei, dass die einschlägigen Gesetze der Entwicklung der Fluchtgründe angepasst werden müssen, da durch den Klimawandel immer mehr Flüchtlinge wegen Hunger, Dürre, Wassermangel und Naturkatastrophen ihren Lebensraum verlassen- inzwischen kommen laut UNHCR 80% der Flüchtlinge aus Regionen in denen akute Ernährungsunsicherheit herrscht.. Letztendlich helfe nur die Verbesserung der Lebensbedingungen in den Herkunftsländern und die Beendigung von Kriegen wie in Syrien, Lybien, Jemen, Südsudan und Afghanistan , um Fluchtbewegungen zu verhindern und das sei eine globale Herausforderung , so Prof. Dr. Hildalgo abschliessend.

Den Bericht zur Veranstaltung finden Sie hier zum download.

             
             

 

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