Armee ohne Auftrag. Die Bundeswehr und die deutsche Sicherheitspolitik

Ein ungeschminkter Zustandsbericht über die Bundeswehr Rezension von Peter E. Uhde

Das Titelbild des Schutzumschlages zeigt die Rückenansicht eines deutschen Soldaten im Wüstensand. Er schaut in die Ferne wonach hält er Ausschau? Nach einem Feind? Das kann nicht sein, denn als Kopfbedeckung trägt er nur eine Mütze und ein kurzärmeliges T-Shirt. Um eine Antwort zu erhalten, befassen wir uns mit dem Inhalt des Buches „Armee ohne Auftrag“, dann ergibt sich vielleicht eine Erklärung.  Sein Untertitel „Die Bundeswehr und die deutsche Sicherheitspolitik“ helfen weiter.  Der Autor ist weder Verteidigungspolitiker noch Soldat, sondern Politikwissenschaftler. Mit der Soziologie des Militärs und der Sicherheitspolitik Deutschlands befasst er sich seit seiner Promotion 1969. Im vorliegenden Band nimmt er beides unter die Lupe. Man ahnt nichts Gutes, wenn der Einstieg ins Thema lautet: „In Deutschland ist die Bundeswehr die einzige Großbürokratie mit angeschlossenem eigenem Sicherheitsdienst“. Schaut man ins „Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und Zukunft der Bundeswehr“ lautet die regierungsamtliche Bewertung anders. Hier heißt es: „Die Bundeswehr ist ein wesentliches Instrument unserer Sicherheits- und Verteidigungspolitik“. Nach Ansicht des Autors hingegen fehlt es „hierzulande an dem aufgeklärten Bewusstsein vom rechten Gebrauch der Streitkräfte als Instrument der Politik“. Die Bundeswehr „verschlingt“ einen Teil des Bundeshaushalts. Gerade wurden der NATO  53,3 Milliarden Euro als Verteidigungsausgaben für das laufende Jahr gemeldet. Wofür das Geld aber ausgegeben wird ist nicht immer klar und wenn, dann bringt es die Bürger zum Kopfschütteln. Als ein Beispiel wird der Marine liebstes Kind, das Segelschulschiff „Gorch Fock“ herangezogen. Sie liegt seit 2015 in der Werft und die einstmals geplanten Überholungskosten sind inzwischen von zehn auf über 135 Millionen gestiegen.

Bei Gesprächen über Sicherheitspolitik in Deutschland fallen immer Stichworte wie Atlantische Allianz (NATO), Vereinte Nationen (VN), Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), im Rahmen der Europäischen Union sind es die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) oder Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP). Was im Einzelnen hinter den Sicherheitsproduzenten steckt ist vielen Bürgern nicht klar. Die meiste Kenntnis existiert noch über die Bundeswehr, da können viele mitreden, weil sie entweder selbst gedient haben oder jemanden kennen, der die Uniform getragen hat. Das werden aber auch immer weniger, seit durch Beschluss des Deutschen Bundestages die allgemeine Wehrpflicht am 24. März 2011 zum 1. Juli ausgesetzt wurde. Diese Entscheidung war Teil einer Streitkräftereform, mit der die Armee von 255.000 auf 185.000 Mann reduziert werden sollte. Beschlossen 1956 und mit der Einberufung der ersten Zehntausend zum 1. April 1957 ging eine Ära zu Ende. Mit diesem Abgesang wurde auch das Interesse an der Armee und damit an außen- und sicherheitspolitischen in der Bevölkerung und „meinungsbildenden Kreisen“, das Wort Eliten meidet der Autor, geringer. Als Instrument der Politik aufgestellt und fest in demokratische Kontrolle eingebunden, blieb ihr ein anti-militärischer Grundton nicht erspart. Für die augenblickliche Misere der Bundeswehr sieht der Autor verschiedene Ursachen und Gründe. Zum einen Anpassungsschwierigkeiten des politischen Systems nach Ende des Ost-West-Konflikts an die neuen politischen Gegebenheiten und zum anderen interne Organisationspannen und Fehlentwicklungen in den Streitkräften. Von Bredow bezeichnet sein Buch als Studie, die sich im ersten Teil mit der politischen Weltlage, Konzepten und Strategien für die internationale Sicherheit befasst. Im zweiten Teil geht es um die sicherheitspolitischen und friedenserhaltenden Organisationen, die anfangs schon erwähnt wurden. Der dritte Teil ist der ausführlichste. Hier geht es um die politische Einordnung der Streitkräfte in die neue Welt(un)ordnung nach der Wiedervereinigung und was der Armee alles in „Dauerstress“ versetzt hat. Eine Reform oder Transformation folgte der anderen. Die Probleme sind kumuliert, nicht nur bei Ausrüstung, Waffen und Gerät, sondern auch „in den Köpfen mancher Soldaten“. Der Autor fordert von der Politik eine Zielanalyse deutscher Sicherheitspolitik. Es ist sicher nicht vermessen zu vermuten, dass das zum jetzigen Zeitpunkt nicht erfolgen wird. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Die Corona-Pandemie überschattet sicherheitspolitische Probleme und im anlaufenden Wahlkampf sind mit Thema der Außen- und Sicherheitspolitik kaum Wählerstimmen zu gewinnen.

Hatte die Welt nach Ende des Kalten Krieges auf eine friedliche Entwicklung gehofft, wurde diese Hoffnung relativ schnell zerstört. Das weltpolitische Klima verschlechterte sich durch religiösen Fanatismus und Fundamentalismus, um nur zwei Stichworte zu nennen. Von der erwartenden „Friedensdividende“ blieb nicht viel übrig. Die Finanzkrise 2008, die russische Besetzung der Krim 2014 und der Konflikt um die Ostukraine, die vom Bürgerkrieg in Syrien ausgelöste Flüchtlingswelle 2015 und nun die seit 2020 anhaltende Corona-Pandemie haben maßgeblich zur weltpolitischen Klimaverschlechterung beigetragen. Das sicherheitspolitische Auseinanderdriften zwischen den USA und Europa in der Amtszeit von Donald Trump nicht zu vergessen.

Friedensforschung und – jetzt lieber Konfliktforschung genannt – versucht den Ursachen auf den Grund zu gehen, Realpolitik trifft auf Idealpolitik. Für die inzwischen zahlreichen Auslandseinsätze der Bundeswehr wurde als Begründung oft die „Verteidigung der eigenen Sicherheit“ gewählt, das ist aber nicht so. Sie ordnen sich in eine multinationale Mission der „internationalen Gemeinschaft“ ein, den der Autor als weitgehend inhaltslosen Begriff definiert. Friedensmissionen der VN, Internationale Schutzverantwortung, Kampf gegen Terrornetzwerke, neue Kriegsformen und Kriegsführung nimmt der Autor aufs Korn wie die NATO und die Sicherheit Europas, bevor er sich mit Deutschland als „zaudernde Führungsmacht“ befasst. Die europäischen Nationalstaaten sind gegenüber den USA und China ökonomisch und politisch zu schwach. Kann hier die EU ihr Gewicht in die Waagschale werfen? Das würde bedeuten, dass mindestens Deutschland und Frankreich an einem Sicherheitsstrang ziehen müssten. Das ist aber in vielen Fällen aufgrund der unterschiedlichen Gesellschaftssysteme nicht der Fall. Versuche, im Rüstungssektor Synergieeffekte zu erzielen, z.B. durch den Bau eines gemeinsamen Kampfpanzers (Main Ground Combat System) oder des Kampfflugzeugs der Zukunft (Future Combat Air System) kommen nur schleppend voran. Führungsdefizite werden auf vier Ebenen zusammengefasst. Zum einem beim politischen Personal, der parteipolitische Kurzsichtigkeit, wobei nicht gesagt wird welche Partei damit gemeint ist, zivilgesellschaftliche Verschiebungen und der Verlust von Handlungsfähigkeit, allerdings nicht nur Deutschlands. Hierbei wird auf die europäische Hilfslosigkeit in der Asyl- und Migrationspolitik hingewiesen. Nach dem Abschnitt mit der Überschrift „Militärisch zurückhaltend, moralisch offensiv“ befasst sich der Autor mit der Frage, welche Bundeswehr wozu eigentlich benötigt wird. Bemängelt werden das Fehlen einer Sicherheitsstrategie und die nicht vorhandene Strategiekommunikation. Mit der seit Jahren versuchten Neuausrichtung wurde keine Verbesserung erzielt. Das Dilemma ist in den letzten Berichten des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages nachzulesen. Die ständigen Überforderungen mit dauernden Reformstress und Einsätzen out of Area, die seit dem Urteil der Karlsruher Verfassungsrichter vom 12. Juli 1994 zum ständigen Begleiter der Streitkräfte geworden sind, obwohl es im Artikel 87 a des Grundgesetzes nur heißt: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf“. Zum Ende des zweihundert seitigen Zustandsberichts fasst Wilfried von Bredow seine Analyse und Bewertungen zusammen und meint, dass aus der Armee ohne Auftrag eigentlich eine Armee ohne Chance zur Auftragserfüllung geworden ist. Vier Stichworte dazu. Die politische Führung hat die weltpolitischen Herausforderungen nach 1990 nicht erfasst. In der Gesellschaft ist für die Verwendung von Streitkräften als Mittel der Politik kein Platz. In sicherheitspolitischen Fachzirkeln drehen sich Diskussionen über Strategiefähigkeit meistens im Kreise und letztlich ist es dem zivilen und militärischen Führungspersonal nicht gelungen die Wirksamkeit der Streitkräfte auf hohem Niveau zu halten. Insgesamt ist die gut lesbare und verständliche Studie die Zusammenfassung des Ist-Zustandes der Bundeswehr. Den aktiven Soldaten, Reservisten und dem sicherheitspolitische Fachpublikum Deutschlands ist dieser bekannt. Vielleicht war „Armee ohne Auftrag“ der Anlass für das am 9. Februar von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und Generalinspekteur Eberhard Zorn vorgestellte Konzeptpapier mit dem Titel „Gedanken zur Bundeswehr der Zukunft".

Wilfried von Bredow:  Armee ohne Auftrag. Die Bundeswehr und die deutsche Sicherheitspolitik. Orell Füssli Verlag, Zürich, 2020, ISBN 978-3-280-05728-5, 199 S., 20,00 Euro.

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