Handwörterbuch internationale Politik

Fakten-Reichtum im Handwörterbuch Internationale Politik Rezension von Peter E. Uhde

Wenn in einem Handbuch von 54 Autoren 62 Fachbeiträge zusammen gefasst sind, kann der Nutzer einiges erwarten. Fangen wir beim Umfang an. Das Inhaltsverzeichnis, das Vorwort und die Einführung umfassen 20 Seiten. Von den Stichwörtern bis zum abschließenden Personenregister folgen 584 Seiten. 26 Tabellen und 22 Abbildungen ergänzen die Stichwörter.

Seit der ersten Ausgabe, die 1977 in Herausgeberschaft von Richard Wolke, heute emeritierter Professor der Politikwissenschaft erschien, hat sich die weltpolitische Realität stark verändert. In den darauf folgenden Ausgaben wurden die Stichwörter angepasst und mit der aktuellen Ausgabe nun auf den neusten Stand gebracht. Neben Wichard Woyke ist Johannes Varwick, Politikwissenschaftler an der Universität Halle-Wittenberg, Herausgeber. Alle Autoren, mit einer Kurzvita im Anhang aufgeführt, sind hauptsächlich Politikwissenschaftler, kommen aber auch aus anderen wissenschaftlichen Disziplinen, die an Universitäten, Instituten, Akademien, bei Stiftungen, oder Think Tanks lehren, forschen oder arbeiten. Auffallend ist der Anteil von 16 Frauen als Verfasser der Fachthemen.

Nun zum Inhalt. Von 01-Abschreckung (Ulf von Krause) bis 62-Weltwirtschaftssystem (Martin Klein/Jan Engelhardt) reichen die Stichworte. Den einzelnen folgt immer ein Hinweis auf „Ergänzende Beiträge“, die im Handbuch vorhanden sind. Hier wäre es sinnvoll gewesen, die Nummerierung davor zu setzen, z.B. 38-NATO, das hätte dem Nutzer einen schnelleren Griff dorthin ermöglicht. Die abschließenden Literaturangaben jedes Stichwortes beschränken sich auf „bis zu acht“. Damit wird auf ein Gesamtliteraturverzeichnis verzichtet, was dem Umfang des Nachschlagewerkes gut tut. Um die Nutzung zu optimieren, haben die Herausgeber die Stichwörter in „Problembereiche“ geordnet. Dieses sind 1. Theorie, konzeptionelle Fragen (12 Themen), 2. Grundlegende Phänomene und Prozesse der internationalen Politik (11), 3. Problembereiche und Politikfelder der internationalen Politik (28), 4. Akteure (9) und 5. Geschichte der internationalen Politik seit dem Zweiten Weltkrieg (2).

Dass die Stichwörter in kurzer und stringenter Form geschrieben sind, ist von einem Handbuch zu erwarten. Sicher hätte mancher Verfasser seinen Beitrag gerne ausführlicher dargestellt. Dass nicht alle Begriffe der internationalen Politik den Weg ins Handbuch finden konnten, ist nachvollziehbar. Die Autoren wollen Begriffe erläutern, politische Prozesse darstellen, Theorien erklären und auch auf Herausforderungen hinweisen. Um nur einige herauszugreifen, die momentan immer wieder zu hören und zu lesen sind: Digitale Souveränität (06), Energiepolitik (08), Geopolitik (15), Globalisierung (18), Internationaler Terrorismus (27) Klimapolitik (28) Migration (34) oder Sicherheitspolitik (51). Der Verfasser des letztgenannten ist Stephan Böckenförde, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum Informationsarbeit Bundeswehr in Strausberg.

Im Vorwort formulieren die Herausgeber den Anspruch, den sie erfüllen wollen: „gesichertes Wissen bereitstellen und Orientierung im Wust der Fakten und divergenten Entwicklungen liefern“. Soweit es der Rezensent beurteilen kann, ist es den Herausgebern mit der Auswahl der Autoren und deren Bearbeitung der Stichwörter gelungen, dem Anspruch gerecht zu werden: Grundlegende politische Informationen sind in dem empfehlenswerten Nachschlagewerk zusammengefasst.

Wichard Woyke, Johannes Varwick (Hrsg.), Handwörterbuch Internationale Politik (13. Aufl.), Verlag Barbara Budrich, Opladen & Toronto, 2015, ISBN 978-3-8252-5418-4, Euro 29,99, Online Zugang Euro 29,99, Buch +Online Euro 35,99.

Handwörterbuch

Minister contra General – Kießling gegen Wörner Rezension von Peter E. Uhde

Seit Gründung der Bundeswehr 1955 ist sie an Affären und Skandale gewöhnt. Immer wieder stolperte dabei auch ein Verteidigungsminister und schied mit militärischen Ehren, dem Großen Zapfenstreich, aus dem Amt. Wenn nicht alles täuscht, bahnt sich gerade wieder eine „Berateraffäre“ an, deren Ausgang ungewiss ist. Ursula von der Leyen hat die Hardthöhe, immer noch 1. Amtssitz des Ministeriums, mit dem Großem Zapfenstreich geehrt verlassen und ist nun Präsidentin der Europäischen Union in Brüssel

Teil der Bundeswehrgeschichte

Die jetzt zu beschreibenden Skandalereignisse passierten in den Jahren 1983/84. Sie suchen ihres gleichen in der Geschichte der Bundeswehr. Dr. Heiner Möllers hat diese in jahrelanger Arbeit recherchiert und sie in einem bemerkenswerten Buch „Die Affäre Kießling. Der größte Skandal der Bundeswehr“ beschrieben. Beide Hauptprotagonisten sind auf dem Titelcover abgebildet. Links mit Schirmmütze der Vier-Sterne-General Dr. Günter Kießling und rechts der kahlhäuptige Bundesminister der Verteidigung Dr. Manfred Wörner. Bevor es um den Inhalt geht, kann eines schon zu Beginn gesagt werden: Hätte Militärhistoriker Möllers sich nicht des Falles angenommen, wäre das Gras der Geschichte, wie der dunkelgrüne Bucheinband es unbeabsichtigt andeutet, darüber gewachsen. Die letzten Zeitzeugen könnten nicht mehr aussagen, ihre Aufzeichnungen wären verloren gegangen, Querverbindungen herstellen nicht mehr möglich gewesene. Die vorhandenen Archivbestände hätten gerade in dieser Personalangelegenheit manches nicht hergegeben. Das „Besondere Vorkommnis Kießling“ artete fast zu einer Regierungskrise aus. Sie wurde es nicht, weil Bundeskanzler Helmut Kohl sie beendete. Manfred Wörner blieb Verteidigungsminister und General Kießling wurde rehabilitiert.

Vom Bundesgrenzschutz in die Bundeswehr

Um den Inhalt des Buches zu verstehen, stellt sich die Frage, wer war dieser General Kießling. Er wird am 20. Oktober 1925 in Frankfurt/Oder geboren, der Vater dient als Unteroffizier in der Reichswehr. Mit 14 Jahren wird er in die NAPOLA (Nationalpolitische Erziehungsanstalt) in Spandau aufgenommen und wechselt 1940 in die Heeresunteroffiziervorschule in Dresden. Nach Übernahme in die Reserveoffizierslaufbahn ist er bei Kriegende Leutnant.  Nach der Reifeprüfung in Berlin studiert er Volkswirtschaftslehre und promoviert. Am 24. März 1954 tritt er mit dem Dienstgrad Oberleutnant in den Bundesgrenzschutz (BGS) ein. Seine erste Dienststelle ist die Grenzschutzabteilung in Bonn. Aus seinen Memoiren ist ersichtlich, dass er der einzige Akademiker war, der sich in dieser Lebenssituation befand. Am 1. Juli 1956 wird er als Hauptmann in die Bundeswehr übernommen und Mitarbeiter in der Unterabteilung Innere Führung im Ministerium. Diese leitet Oberst Wolf Graf von Baudissin.  Die theoretische Entwicklung des „Leitbild des Staatsbürgers in Uniform“ und die „zeitgemäße Menschenführung in der Bundeswehr“ haben hier ihren Ursprung. Beide soziologischen Modelle haben im Umgang mit General Kießling versagt. Nach einer Truppenverwendung nimmt er am 4. Lehrgang für den Generalstabsdienst an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg teil. Einige seiner Lehrgangskameraden spielen später in der Affäre eine Rolle, meistens eine unkameradschaftliche. Der Lehrgang endet für Kießling Anfang 1963 mit einem Eklat. Wegen einer Liaison mit der nicht volljährigen Tochter eines Lehrstabsoffiziers muss er den Lehrgang vorzeitig verlassen. Trotzdem absolviert er den britischen Generalstabslehrgang am Staff College in Camberley. Seine Beurteilungen ermöglichen ihm eine schnelle Karriere. Kommandeur des Panzergrenadierbataillon 62 in Neustadt/Hessen, Chef des Stabes einer Division, Brigadekommandeur und schließlich 1971 General für die Offizier- und Unteroffizierausbildung im Heer im Kölner Heeresamt und 1976 Kommandeur der 10. Panzergrenadierdivision in Sigmaringen. Aus dem Unteroffiziervorschüler ist der Generalmajor geworden. Drei Jahre später wird er mit der Beförderung zum Generalleutnant Befehlshaber der Alliierten Landstreitkräfte Schleswig-Holstein und Jütland und 1982 erhält er den goldenen vierten Generalsstern. Nun ist er Stellvertreter des Obersten Alliierten Befehlshabers Europa, des amerikanischen Generals Bernhard W. Rogers. Im Teil VII hat Möllers das hier kurz zusammengefasste unter der Überschrift: „Annäherung an einen Grenzgänger“ ausführlicher dargestellt.

Die Presse als Aufklärer

Das Buch beginnt, abgesehen von einem Geleit- und Vorwort, mit „Kießlings-Triumph.“ Gemeint ist hiermit der Große Zapfenstreich, den sein „altes“ Bataillon nach seiner Rehabilitierung in Neustadt am 26. März 1984 durchführt. In diesem Teil beginnt und zieht sich dann durch das ganze Werk durch, die Schilderungen durch den Autor, Kießlings Darstellungen, Auszüge aus Protokollen des Untersuchungsausschusses und anderer mit dem Fall beschäftigten Institutionen,  Aussagen von Zeitzeugen, Wiedergaben aus der unerschöpflichen Presseberichterstattung. Sie sind mit Fußnoten belegt und im Anhang VIII für jedes Kapitel aufgeführt. Addiert ergeben sie 639, wobei das Kapitel III: alleine 284 Anmerkungen hat. Das erleichtert nicht gerade den Lesefluss, weil man immer blättert. Die Stimmung an diesem Märzabend beim vorhergehenden Empfang war mehr als angespannt. Der fotografisch festgehaltene Händedruck zwischen Minister und General sagt „mehr als tausend Worte“. Nach diesem Einstieg ins Thema, folgt die Darstellung der zeitlichen Entwicklung der Affäre. Unabhängig davon schildert Möllers die politische und militärische Situation in der NATO, die der SACEUR General Bernhard Rogers ungeschminkt auch der Bundesregierung vorträgt. Als dieser von den Gerüchten, Kießling sei homosexuell erfährt, will er ihn nicht als Stellvertreter.

Unwürdige Entlassung

Er wird es trotzdem und tritt am 1. April 1982 den Dienst im belgischen Mons an. Minister Wörner sagte bei dieser Gelegenheit: „Sie gehen einen schweren Gang“. Er konnte nicht ahnen, dass dieser Gang aus ganz anderen Gründen für beide ein schwerer werden würde. In diesem und dem Kapitel III: Von der Kießling-Wörner-Affäre zum handfesten Skandal schildert Möllers an welchen Tagen wer und was in der sich entwickelnden Causa wusste. Staatssekretäre, Abteilungsleiter, Referenten im Ministerium, Militärischer Abschirmdienst, Kriminalpolizei und auch Kameraden wollten beweisen, was nicht zu beweisen war. Der General war nicht schwul und damit auch kein Sicherheitsrisiko für die Bundesrepublik Deutschland. In einer entwürdigenden Form wird ihm einen Tag vor Heilig Abend am 23. Dezember 1983 durch Staatssekretär Joachim Hiehle die Entlassungsurkunde ausgehändigt.

Der Kanzler spricht ein Machtwort

Im neuen Jahr beginnt Kießling zu kämpfen. Er bekommt die „Vierte Gewalt“ an seine Seite und nimmt sich einen bekannten Rechtsanwalt aus Bonn für seine Verteidigung. Für die Medien ist das Thema Homosexueller Vier-Sterne-General auflagenträchtig. Besonders die Boulevardblätter schreiben an vorderster Front aber auch die überregionalen und regionalen Tageszeitungen, Illustrierte und besonders das „Sturmgeschütz der Demokratie“ aus Hamburg „Der Spiegel“ schießen sich ein. Zuerst noch etwas nebelhaft, weil niemand was Genaues weiß. Nach dem sich die Nebel lichten nimmt man den Verteidigungsminister ins Visier. Möllers Schilderungen der sich teilweise überschlagenden Ereignisse beginnen mit dem 5. Januar.  Bis zum Februar kann der Leser das tägliche Treiben der Administration verfolgen. Auch der Kanzler ist eingeschaltet und beendet das unwürdige Verhalten des Ministers, hält ihn aber im Amt. Das handgeschriebene Entlassungsgesuch soll er zerrissen und in den Papierkorb geworfen haben. Am 1. Februar hat Minister Wörner, in Gegenwart des Generalinspekteurs und des Inspekteurs des Heeres, General Kießling wieder aktiviert. Damit endet die politische Aufarbeitung aber nicht. Der Verteidigungsausschuss als Untersuchungsausschuss untersuchte die ganze Angelegenheit. Die NATO wurde nicht in den Untersuchungsgegenstand einbezogen, um keine politischen Empfindlichkeiten gegenüber den USA zu wecken. Rogers hatte Kießling auch noch offiziell aus SHAPE verabschiedet. Zur Rechenschaft wurde aus dem ganzen „Schmierentheater“ kaum jemand gezogen. Der Militärische Abschirmdienst wurde reorganisiert. Als sich nach der Wiedervereinigung herausstellte, dass der Stellvertreter Joachim Krase für die Staatssicherheit tätig war, nährte das Vermutungen, dass diese hinter den Gerüchten steckte. Bewiesen ist es nicht.

„General mit Zivilcourage“

Im Geleitwort schreibt General Klaus Naumann, Generalinspekteur von 1991 bis 1996, dass er Möllers Arbeit für gut recherchiert hält. Dem Urteil kann sich der Rezensent anschließen. Unvoreingenommen wird hier vom Autor berichtet, was eigentlich von Amts wegen schon längst hätte geschehen müssen. „General mit Zivilcourage“ steht über der Rezension in der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26. November 2019, die sich mit ihrem damaligen Militärkorrespondenten Adelbert Weinstein auch an der Berichterstattung 1983/84 beteiligte hatte. Eines bleibt letztlich festzuhalten, Gerüchte verbreiten sich schnell und sind kaum wieder einzufangen. Einen der höchsten Generale brachten sie an den Rand des Suizids, dass er ihn nicht ausführte und seine Ehre wiederhergestellt wurde, ist das Gute an einer ansonsten unglaublichen, aber wahren Geschichte. Günter Kießling ist am 28. August 1908 in Rendsburg verstorben. Kurz vor seinem Tod gründete er noch die General-Kießling-Stiftung zur Pflege der Bundeswehrtradition.

Möllers, Heiner: Die Affäre Kießling. Der größte Skandal der Bundeswehr, Ch. Links Verlag, Berlin, ISBN 978-3-96289-037-7, 25,00 Euro.

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