Chinas Grand Strategy im Wandel

Chinas langer Marsch zu alter Stärke - Ideologie und Planung steuern das autoritäre Gesellschaftssystem Rezension von Peter E. Uhde

Nicht erst seit der Corona-Pandemie, die ihren Ursprung auf einem Tiermarkt in Wuhan in der Provinz Hubei haben soll, ist die Volksrepublik China (VR China) ein Dauerthema in allen Medien. Die Literatur aller Fachbereiche füllt ganze Regale. Für die chinesische Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist das nicht ganz so. Hier schließt ein militärwissenschaftliches Werk mit dem Titel: Chinas Grand Strategy im Wandel, eine Lücke. Herausgegeben von der Landesverteidigungs-akademie der Republik Österreich, gehen die Autoren Peter Buchas, Walter Feichtinger und Doris Vogt der Frage nach, ob die VR China der Politik einer nationalen Grand Strategy folgt und welche Teilstrategien diese beinhaltet. Im Mittelpunkt steht dabei die Sicherheitsstrategie des Landes in Vergangenheit und Zukunft. Auf zwei bedeutende Ereignisse wird in China besonders hingearbeitet. Zum einen ist es die 100-Jahr-Feier der Kommunistischen Partei im Jahr 2021 und zum anderen die noch in weiterer Ferne liegende 100-Jahr-Feier der VR China 2049. Für diese zwei Phasen des Chinesischen Traums (CT) sind allgemein gültige Ziele von der Partei vorgegeben. Zu den Parteigründern 1921 gehörte Mao Zedong. Zur 100-Jahr-Feier sollen der Aufbau einer moderat wohlhabenden Gesellschaft und die Industrialisierung abgeschlossen sein. Bis zum Großereignis 2049 lauten die Erneuerungsziele kurz und knapp: modern, sozialistisch, wohlhabend, demokratisch, kulturell entwickelt und harmonisch. Anzumerken ist, dass unter „demokratisch“ in China etwas anderes verstanden wird, als in westlichen Demokratien.

China hat ein langes Gedächtnis

Ein Fehler darf bei der sicherheitspolitischen Themenbetrachtung von vorneherein nicht gemacht werden, heißt es in der Einleitung. Es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die politischen Eliten und die Bevölkerung einen „jahrtausendealten Erfahrungsschatz“ und ein „institutionelles Gedächtnis“ haben, die in der Gesamtstrategie ihren Niederschlag finden. Bei einer gesamtstaatlichen Strategie kann vom Wesensmerkmal des Zusammenhangs zwischen Zweck, Ziel und Mitteln ausgegangen werden. Diese erfordern in Handeln und regeln das Zusammenspiel. Drei strategische Denker, der Chinese Sunzi, Carl von Clausewitz und Werner von Moltke werden mit Definitionen eingangs aufgeführt. Von Sunzi, dessen Buch „die Kunst des Krieges“ als frühestes Buch über Strategie gilt, zitieren die Autoren „Die eigenen Vorteile zu berechnen, aber auch die Gesamtlage begriffen zu haben, trägt dazu bei, auch in ungewöhnlichen Situationen sich den Vorteil und die Macht zu sichern“. Machterhalt um jeden Preis ist oberstes Ziel der KP Chinas.

Strategische Wirkfaktoren

Auch heute noch betrachtet sich China, seit seiner Vereinigung 221 v. Chr. bis zum Zerfall 1911 als Reich der Mitte. Die innenpolitische Ausgangslage für die Grand Strategy bestimmen geografische und demografische Faktoren. Das Flottenprogramm im Südchinesischen Meer und die Neuorganisation der Volksbefreiungsarmee spiegeln das „traditionelle Land/Meer-Dilemma“ wider, meint Jean Christopher Mittelstaedt. Mit der Belt and Road-Initiative und entsprechenden Infrastrukturmaßnahmen wird versucht, die nordwestliche Grenzregion an die östlichen Küstengebiete anzubinden. Die Einflussnahme der Parteiführung auf die schwerer zu kontrollierenden Provinzen, z.B. die autonome Verwaltungseinheit Xinjiang, Siedlungsgebiet der Uiguren im Westteil des Landes, wurde verstärkt.

Chinas Strategien im Zeitverlauf

Im Laufe der Jahrhunderte sind sieben Militärklassiker in die Geschichte eingegangen, ihre Grundgedanken überliefert und in Strategiefragen aufgenommen. Peter Buchas nimmt sich ihrer an und leitet daraus den Entstehungsprozess der Grand Strategy ab. Hierbei wird betont, dass vornehmlich chinesische Quellen und Sichtweisen erörtert werden. Zusammengefasst kann festgehalten werden, dass das ideologische Erbe abgeschüttelt wurde.  Neue Ziele sind das Voranbringen des Sozialismus chinesischer Prägung und effektiverer Aufbau der Partei. Dafür wurden grundlegende Anforderungen formuliert, ein strategisches Grundprogramm erarbeitet und die Umsetzung durch die Partei beschlossen. Zwei Beispiele einer „Wichtigen Strategieentscheidung“ sind die Entwicklung eines Flugzeugträgers 2012 und der Beschluss der Belt and Road-Initiative 2014. Der Träger „Shandong“ ist inzwischen in Dienst gestellt. Chinas nationale Sicherheit und die innenpolitische Stabilität gründen sich auf die Volksbefreiungsarmee (VBA), die 1949 nach Jahrzehnten Bürgerkrieg mit der Kuomintang und dem Kampf gegen die japanischen Invasoren als Sieger hervor ging. Die Kommunistische Partei stellt den Überbau der VBA dar und steuert diese politisch. Politkommissare ab der Kompanieebne stellen sicher, dass die Parteiideologie bei den Soldaten ankommt. Viele Parteiführungskader kommen auch aus der VBA. In Militärstrategischen Richtlinien werden Strategische Analysen, Aktive Verteidigung, Strategische Missionen und Ziele, Einsatzvorbereitung, Strategische Hauptstoßrichtungen und Entwicklungspunkte für das Militär festgelegt. Damit will Peking Souveränität, Modernisierung und innenpolitische Stabilität erreichen. Innere Spannungen wie z.B. das Tiananmen-Massaker 1989, dass das System ins Wanken brachte, dürfen sich nicht wiederholen. Die Partei verlangt vom Soldaten Loyalität und Lernbereitschaft. Politische Qualifikation wird vor militärischem Können eingefordert.

Xi Jinping und seine Kader steuern das Land in die Zukunft 

Nach Ende des Kalten Krieges passte die VR China ihr Sicherheitskonzept den neuen weltpolitischen Herausforderungen an. Seit 2012 ist Xi Jinping Generalsekretär der Kommunistischen Partei (KP), Vorsitzender der Zentralen Militärkommission und seit 2013 auch Staatspräsident. Damit ist alle Macht in seinen Händen. Unter seiner Führung hat sich das Land wirtschaftlich, noch gilt der 13. Fünfjahresplan (2016-2020) stabilisiert. Inwieweit die wirtschaftlichen Visionen Xi Jinpings: Aufrechterhalten der makroökonomischen Stabilität, Stärkung und Verbesserung der öffentlichen Dienstleistungen, Sicherstellung fairen Wettbewerbs, Stärkung der Transparenz des Marktes, Behalten der Marktordnung, Stärkung des nachhaltigen Wachstums und Prosperität und Intervention in Fällen von Marktversagen letztendlich erreicht werden, wird die Zukunft zeigen. Der Weg zum „Modernen Wohlstand“ ist jedenfalls ein Ziel. Korrekturen werden vermutlich mit dem 14. Fünfjahresplan, auch bedingt durch die Corona-Pandemie, die das Land stark getroffen hat und deren Ende noch nicht abzusehen ist, erforderlich sein. Hinzu kommt eine allgemeine Schwächung der Weltwirtschaft.  

Das Militär ist Garant des Machterhalts

Neben Kapiteln, die sich mit Außenpolitik, Gesellschaft und Innenpolitik befassen, trägt eines die Überschrift: Sicherheit. Seit 2016 werden Chinas Streitkräfte grundlegend strukturiert und reformiert. Neue Kommandostrukturen und die Einteilung des Landes in fünf Kampfzonen gehören dazu. Am Chinesischen Traum, 2049 wieder eine globale Großmacht zu sein, wird intensiv gearbeitet. Vorgaben für Militär, Diplomatie, Technologie und Wirtschaft diktiert die KP. Im Strategie-Weißpapier 2011 sind staatstragende Kerninteressen aufgeführt: Souveränität, Nationale Sicherheit, territoriale Integrität, nationale Einheit, Erhalt des politischen Systems und soziale Stabilität. Zur territorialen Einheit gehört auch der Wille die Wiedervereinigung mit Taiwan zu erreichen. Bei dieser Frage spielt die Verstärkung und Modernisierung der chinesischen Marine eine wichtige Rolle. Ein dritter Flugzeugträger befindet sich im Bau. Innere Unruhen, z.B. in der autonomen Region Xinjiang oder auch außerhalb des Landes, z. B. in Nordkorea könnten den Chinesischen Traum gefährden. Ein Hinweis im Weißpapier 2015, dass „Chinas Streitkräfte noch härter arbeiten werden, um eine strategisch verbesserte Position mit mehr Betonung auf den Einsatz militärischer Kräfte und Mittel zu erreichen“, macht deutlich, wofür die VBA da ist. Im Zusammenhang mit dem Thema Sicherheit werfen die Autoren auch einen Blick auf die regionale Peripherie, z.B. die Philippinen, Vietnam, Japan, Indien, Pakistan und Russland. Mit dem nördlichen Nachbarn existiert eine strategische Partnerschaft. An der russischen Großübung Wostok (Osten) mit mehr als 300.000 Soldaten nahmen über 3.000 Soldaten von Heer und Luftwaffe der VBA teil.

Das Buch schließt mit einer Zusammenfassung, in der die Autoren mögliches Konfliktpotential im Zeithorizont der nächsten 1-2 bzw. 5 Jahre sehen. Hierbei gehen sie kurz und knapp auf die Strategischen Prinzipien, den Aufbau der Streitkräfte, Isolationistische Tendenzen, Märkte und Handel, Einsatz von Softpower, Gesellschaftliche Kontrolle, Territoriale Integrität und Regionale Interessen ein und fügen daran jeweils ihren Ausblick an.

„Schon wieder ein Buch zu China“?

Dies Frage stellt Brigadier Walter Feichtinger, Leiter des Instituts Friedenssicherung und- Konfliktmanagement an der Landesverteidigungsakademie Wien. Wären er und seine Mitautoren der Meinung gewesen, dass es nicht gebraucht würde, hätten sie es ja nicht verfasst. Aufgrund seiner speziellen Thematik, deren Auswirkungen weltweit zu spüren sind, wird der Nutzerkreis nicht übermäßig sein. Da der chinesische Einfluss auf deutschsprachige Länder ständig zunimmt, kann ein Blick in die Vergangenheit Chinas und seine zukünftige Grand Strategie nicht verkehrt sein.

Buchas, Peter; Feichtinger, Walter; Vogl, Doris (Hrsg.), 2019, Chinas Grand Strategy im Wandel, Gebunden, rd. 250 S., 35 Abbildungen im Text, 307 Fußnoten, erschienen in der Militärwissenschaftliche Publikationsreihe der Landesverteidigungsakademie Republik Österreich, ISBN 978-3-903121-72-0, Euro 35,00.

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