Bundeswehr beeindruckt Deutschlands Osten. Ein Journalist erlebte die Armee der Einheit

Wie Bundeswehr und NVA zur Armee der Einheit wurden Rezension von Peter E. Uhde

In sechs Monaten jährt sich die Wiedervereinigung Deutschlands zum dreißigsten Mal. Mit dem Ende der Deutschen Demokratischen Republik ging die Auflösung ihrer Streitkräfte einher. Die Nationale Volksarmee (NVA) hörte auf zu bestehen und war damit Teil gesamtdeutscher Geschichte geworden. Am   3. Oktober 1990 übernahm Verteidigungs-minister Gerhard Stoltenberg die Befehls- und Kommandogewalt auch in den neuen Bundesländern. Hier setzt Autor Peter Heinze mit seinem Buch „Bundeswehr beeindruckt Deutschlands Osten“ an. Der Untertitel „Ein Journalist erlebte die Armee der Einheit“, weist den Weg durch das fast 500 seitige Werk. Heinze, der seinen Wehrdienst in der NVA geleistet hatte, dann Journalist wurde, ist Zeitzeuge der Transformation. Mit seinen Erinnerungen will er das sicherheitspolitische und militärische Geschehen in den Jahren nach der Wende für künftige Generationen „wach“ halten.

Erstes Treffen auf „neutralem Boden“

Schauen wir uns deshalb die thematische Gliederung seiner Erinnerungen an und gehen dabei auf einige Inhalte der Kapitel ein. Vor der Wiedervereinigung standen sich etwa 1,44 Millionen deutsche und ausländische Soldaten aus sieben Nationen, bestens ausgerüstet und bewaffnet, an der innerdeutschen Grenze gegenüber. Beide deutsche Armeen waren Teil einer politischen und militärischen Allianz, die Bundeswehr der NATO und die NVA des Warschauer Paktes (WP). Erstmalig trafen sich die beiden Verteidigungsminister Stoltenberg und Rainer Eppelmann am 27. April 1990 in einem Hotel am Flughafen Köln-Bonn. Bewusst wurde nicht der Dienstsitz auf der Hardthöhe für dieses Treffen gewählt. Bei den politisch und militärisch Verantwortlichen war schnell klar, dass es keine zwei Armeen in dem vereinigten Deutschland geben konnte. Am 20. Juli nahm ein Verbindungskommando beim Ministerium für Abrüstung und Verteidigung in Strausberg seine Arbeit auf. Nach der Unterzeichnung des Zwei-plus-Vier-Vertrags am 12. September in Moskau war das Ende der NVA besiegelt.

Heinze beschreibt im Teil: Zwei Armeen vor der Deutschen Einheit, Aufbau und Entwicklung beider Streitkräfte. Der Schwerpunkt liegt bei der NVA.  Nach den ersten freien Wahlen zur Volkskammer am 18. März 1990 wird ein Pfarrer Minister für Verteidigung und Abrüstung. Die „aufregenden“ Monate mit Soldatenrevolte und „Arbeitsreserve“ bis zur Auflösung der NVA sind in diesem Teil geschildert. Im nächsten Teil sind Meinungen zur NVA und Personal-Integration von Politikern, Bundeswehr-Angehörigen und NVA-Soldaten, Journalisten u.a. Personen geschildert. Von Peter Schneider, Schriftteller, ist zu lesen: „Ohne dass ein Schuss gefallen wäre, ging die Befehlsgewalt an den ehemaligen Gegner, an die Bundeswehr, über. Die Übergabe von Menschen, Munition und Überzeugungen vollzog sich nahezu geräuschlos. Menschliche Tragödien blieben aus oder wurden nicht bemerkt. Keiner der rund 200-Generale hat sich selbst entleibt, man hat auch nicht gehört, dass irgendeiner von ihnen im Irrenhaus gelandet ist“.

Alliierte und Sowjets verlassen Deutschland

Der eigentliche Hauptteil beschreibt die übergeordneten Aufgaben im Beitrittsgebiet für die Bundeswehr und nimmt sich dann der Teilstreitkräfte Heer, Luftwaffe und Marine an.  Ein eigener Abschnitt ist der gemeinsamen Hauptstadt Berlin, als neue Garnison der Bundeswehr, gewidmet. Der Abzug der Truppen der USA, Großbritanniens und Frankreichs wurde mit einem Großen Zapfenstreich am 8. September 1994 vor dem Brandenburger Tor gefeiert. Ohne Zeremoniell hatte schon am 31. August der Oberkommandierende der Westgruppe der Truppen, so die Bezeichnung der russischen Truppen in der ehemaligen DDR, Generaloberst Matwej Burlakow Präsident Boris Jelzin, den Abzug gemeldet. Relativ knapp wird in diesem Teil die Wehrverwaltung behandelt. Die NVA kannte keine Trennung von Wehrverwaltung und Streitkräften, wie sie im Grundgesetz in den Artikeln 87a Streitkräfte und 87b Wehrverwaltung geregelt ist. Das in den alten Bundesländern nicht immer reibungslose Miteinander von Truppe und Wehrverwaltung bewährte sich nun bei den neuen Herausforderungen. Hier hätte der eigene Teil Umwelt sicher gut mit untergebracht werden können. Für die Truppe war Umweltschutz, der in der NVA und bei der Westgruppe der Truppen kaum eine Rolle spielte, nun so zu behandeln wie in ihren alten Garnisonen und auf den Truppenübungsplätzen.

Eine große Herausforderung und denkwürdige Leistung

Jetzt schließen sich zwei umfangreich Teile an, in denen Heinze auf Einzelheiten bei der Auflösung der NVA und auf alte und neue Traditionen eingeht. Relativ unbekannt waren Hochspannungssicherungsanlagen um militärische Objekte. 286 militärische Einrichtungen wurden so gesichert. Bei Berührung bestand Lebensgefahr. Die Anlagen wurden gemäß Befehl 48/90 am 2. Oktober abgeschaltet. Am 3. Oktober übernahm die Bundeswehr 88.797 ehemalige NVA-Angehörige. Davon waren 22.676 Offiziere, 1075 Offizieranwärter, 394 Sanitätsoffiziere, 85 Sanitätsanwärter, 22.579 Unteroffiziere, 2170 Unteroffizieranwärter, 1049 Mannschaften (Zeitsoldaten) und 38.769 Grundwehrdienstleistende. An der fast identischen Anzahl der Offiziere und Unteroffiziere ist die Offizierslastigkeit zu ersehen. Vor der Vereinigung waren schon alle Generale und Admirale sowie die Politoffiziere entlassen worden. Neben dem Personal hatte die Bundeswehr von einem auf den anderen Tag einen Mehrbestand an Waffen, Material und Ausrüstung. Das waren 237 Kampfpanzer, 2245 Artilleriegeschütze, 5980 gepanzerte Gefechtsfahrzeuge, 479 Flugzeuge und Hubschrauber, 71 Kriegsschiffe, rund 100.000 Personen- und Lastkraftwagen, rund 3000 Kräder, 1,2 Millionen Handwaffen und rund 300.000 Tonnen Munition. Hinzu kamen 2280 militärische Liegenschaften aller Art in 900 Standorten. Hierzu zählten Kasernen und andere Truppenunterkünfte, Depots, Truppenübungsplätze, Übungsanlagen, Untertageanlagen, Häfen und Flugplätze. Rund 64.000 Dienstwohnungen der NVA fielen mit der Vereinigung dem Grundvermögen der Bundesrepublik zu. Eine eigene Aufstellung zeigt den stufenweisen Abzug der russischen Soldaten. Ein Blick auf den 1480 Kilometer langen „Todesstreifen“ an der ehemaligen Grenze zwischen West und Ost erinnert an die Trennung Deutschlands. Zwischen 1961 und 1984 wurden hier 1,3 Millionen Minen verlegt. Um den wirtschaftlichen Bankrott zu vermeiden und Milliardenkredite West-Mark zu bekommen, wurden die Minenfelder 1985 geräumt. Der Nachweis von über 30.000 Minen unterschiedlichsten Typen war aber 1990 nicht mehr gegeben, so dass bis Mitte der 90er Jahren aufwendig nach diesen gesucht werden musste.

Leistungen der Streitkräfte helfen der Zivilverwaltung

Einen eigenen Teil seiner Erinnerungen widmet der ehemalige Reservist der NVA Peter Heinze alten und neuen Traditionen, die sich in beiden Armeen sehr unterschiedlich entwickelt hatten. Es gab aber Persönlichkeiten der deutschen Militärgeschichte, die auf beiden Seiten als traditionswürdig vereinnahmt wurden. Als Beispiel erinnert der Autor an Gerhard David von Scharnhorst und den Kriegsphilosophen Carl von Clausewitz. Am 12. November 1955, dem 200. Geburtstag des Heeresreformers Scharnhorst, ernannte Verteidigungsminister Theodor Blank die ersten 101 Soldaten der Bundeswehr. Die DDR stiftete am 17. Februar 1966 den einklassigen Scharnhorst-Orden für militärische und sonstige Leistungen zur Stärkung der DDR. Eine ganz andere wenig bekannte und beachtete Leistung der Streitkräfte in den neuen Bundesländern wird in dem Buch geschildert. Es geht um die „Vermessungsunterstützung Ost“ durch das Personal des Amtes für Militärisches Geowesen. Das militärische Fachpersonal trug wesentlich „zur Wiederherstellung des Katasterwesens der Behörden bei“.

Militärseelsorge und Koalitionsrecht finden Eingang

Nicht übersehen hat der Autor die Militärseelsorge beider Konfessionen. Diese stand von einem auf den andern Tag vor einer Herausforderung, die sie aber aufgrund ihrer Erfahrungen seit Aufstellung der Bundeswehr meisterte. Für ehemalige NVA Angehörigen und die einberufenen Wehrdienstleistenden, meistens konfessionslos, eine ganz neue Erfahrung. Genauso unbekannt war für die Soldaten der NVA das Koalitionsrecht, d.h. die Möglichkeit sich in einem Berufsverband zu organisieren. Im Vorwort des Bundesvorsitzenden des Deutschen BundeswehrVerbandes, Oberstleutnant André Wüstner, und in einer Textfolge wird darauf eingegangen. Erste Kontakte zwischen dem Verband und der NVA gab es schon 1989. Im Januar 1990 gründeten dann in Leipzig Soldaten der NVA den Verband der Berufssoldaten der NVA, der sich dann am 31. Oktober auflöste und seinen Mitgliedern den Beitritt zum BundeswehrVerband ermöglichte. Das Bildungswerk, die Karl-Theodor-Molinari-Stiftung e.V., hatte in diesem Integrationsprozess eine führende Rolle und so ist es „folgerichtig, dass unser Bildungswerk…die Chance ergriffen hat, dieses spannende Vorhaben zu unterstützen…“so André Wüstner. Auch das Logo der Stiftung auf dem Cover weist darauf hin.    

In den Schlussabschnitten „Verringerung von Streitkräften und Rüstung“ und „Russen und Alliierte verlassen Deutschland“ beschreibt Peter Heinze seine Erlebnisse in diesen Themenfeldern. Ende 1994 war dieser Prozess abgeschlossen, so dass am 3. Februar 1995 in Potsdam die NATO-Assignierung des IV. Korps stattfinden konnte. Nun begann auch der weltweite Einsatz der Bundeswehr.  Bis dahin war es ein beschwerlicher Weg, der von allen Beteiligten viel Engagement und Einsatz forderte. Als Zeitzeuge dieses „Wunders“ deutscher Militärgeschichte hat Peter Heinze das in seinen Erinnerungen nüchtern, sachlich und anschaulich geschildert.

Was er zusammengetragen und veröffentlicht hat ist ein Fundus aus einer bewegten Zeit. Wer diese Zeit erlebt und womöglich persönlich dabei war oder auch für diejenigen, die an Militär und Gesellschaft interessiert sind, ist das (leider) nicht gerade kostengünstige Buch, zu empfehlen. Fotos in den Texten, ein Personen- und ein Literaturverzeichnis, eine Zeittafel und Informationstafeln runden das Werk ab.    

Heinze, Peter (2019): Bundeswehr beeindruckt Deutschlands Osten. Ein Journalist erlebte die Armee der Einheit. Tectum-Verlag, Baden-Baden, 486 S., ISBN 978-3-8288-4410-0, 68,00 Euro.

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