Es geht um die Zukunft der NATO – Gipfeltreffen in Den Haag

Es geht um die Zukunft der NATO – Gipfeltreffen in Den Haag

In der letzten Juniwoche findet in Den Haag, Sitz der niederländischen Regierung und des Königshauses, der diesjährige NATO-Gipfel statt. Auf Einladung des amtierenden Ministerpräsidenten Dick Schoof tagt vom 24. bis 26. der NATO-Rat. Die Staats- und Regierungschefs der 32 Mitglieder der Atlantischen Allianz treffen sich im World Forum. Die Niederlande, Gründungsmitglied der Allianz von 1949, sind erstmals Gastgeber des höchsten Entscheidungs-gremiums des Bündnisses. Der amtierende NATO-Generalsekretär Mark Rutte war 14 Jahre lang niederländischer Ministerpräsident. In Den Haag werden Zukunftsentscheidungen gefällt, die nicht nur Auswirkungen auf die NATO-Nationen, sondern auch auf die aktuellen Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten haben werden. 

Gipfeltreffen erzeugen immer einen Hype, der aber meistens nicht lange anhält. Sobald die Air Force One mit dem amerikanischen Präsidenten in die USA zurückgeflogen ist und die anderen Gipfelteilnehmer an ihren Regierungssitzen angekommen sind, kehrt der Alltag ein. Die politischen und militärischen Stäbe der Bündnispartner beginnen mit der Umsetzung der gefassten Beschlüsse. Diesmal dürfte es anders sein. Seit dem 24. Februar 2022 bzw. dem 7. Oktober 2023 kann nicht von Alltag gesprochen werden. „Wir sind heute in einer anderen Welt aufgewacht“, sagte Außenministerin Annalena Baerbock einen Tag nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine. Welche Bedeutung Den Haag für das transatlantische Verhältnis haben wird, zeigt sich auch an der Teilnahme von Donald Trump, dem 47. Präsidenten der Vereinigten Staaten. In Erinnerung ist sein Auftritt als 45. Präsident beim NATO-Gipfel im Juli 2018 in Brüssel, als er mehr Engagement von den Europäern forderte. Auch Deutschland bekam damals zu hören, es sei „total von Russland kontrolliert“, gemeint war die Gasleitung Nord Stream 2.

Die meisten NATO-Gipfel haben in Brüssel stattgefunden. In Deutschland war 1982 Bundeskanzler Helmut Schmidt Gastgeber in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn. Es war das erste Treffen nach einer vierjährigen Pause. 1978 hatten sich die Staats- und Regierungschefs in Washington getroffen. Der Ost-West-Konflikt hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits verschärft. Auslöser der Spannungen zwischen den USA und der UdSSR (Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken) war die Aufrüstung der UdSSR mit SS-20-Raketen, wodurch Europa zum Angriffsziel wurde. Daraufhin einigten sich die NATO-Mitgliedstaaten am 12. Dezember 1979 auf den sogenannten NATO-Doppelbeschluss. 

In der Bundesrepublik Deutschland führte dies zu starken Protesten gegen die Stationierung von Pershing-II-Raketen. Teile der Bevölkerung befürchtete eine neue Rüstungsspirale und eine größere Nukleargefahr. Aus dieser Gemengelage bildete sich die Friedensbewegung. Der Höhepunkt der Demonstrationen war der 10. Juni 1982, als sich auf der Bonner Hofgartenwiese fast eine halbe Million Protestteilnehmer versammelten. An diesem Tag traf der amerikanische Präsident Ronald Reagan zum NATO-Gipfel in Bonn ein. Auf Schloss Augustus-burg in Brühl gab Bundespräsident Karl Carstens ein Abendessen für die Gäste. Die Eröffnungsveranstaltung fand im Plenarsaal des Bundestages statt. Hier wurde die Flagge des neuen 16. Mitglieds Spanien zwischen den bisherigen Mitgliedsstaaten platziert.

Es sollten 27 Jahre vergehen, bis Deutschland und Frankreich am 2./3. April 2009 gemeinsam in Straßburg und Kehl den „Doppelgipfel” anlässlich des 60-jährigen Bestehens der NATO ausrichteten. Inzwischen ist das Bündnis auf 28 Nationen angewachsen. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy bemühte sich, den Gipfel auszurichten, da Frankreich eine Rückkehr ins Bündnis plante. Unter Präsident Charles de Gaulle hatte Frankreich 1966 die militärische Struktur des Bündnisses verlassen. Mit dem Treffen auf beiden Seiten des Rheins wollte man auch die enge Freundschaft zwischen den einstigen „Erbfeinden” demonstrieren.

Auf dem NATO-Gipfel Ende Juni 2022 in Madrid beschloss das Nordatlantische Bündnis ein neues strategisches Konzept, dessen Kernaufgaben jedoch unverändert bleiben. Russland wird als die größte Bedrohung eingeschätzt, während China zukünftig eine bedeutendere Rolle in der sicherheitspolitischen Lagebeurteilung spielt. In der Abschlusserklärung heißt es: „Die Russische Föderation ist die größte und unmittelbarste Bedrohung für die Sicherheit der Verbündeten und für Frieden und Stabilität im euroatlantischen Raum.“ Russland kann nicht mehr als Partner betrachtet werden, Kommunikationskanäle sollen aber offengehalten werden. Das Konzept enthält die politischen und militärischen Aufgaben, die die Mitgliedstaaten im Prinzip für einen Zeitraum von zehn Jahren umsetzen. Erstmals wird der 360-Grad-Ansatz des Bündnisses zusammengefasst. Das bedeutet, dass Bedrohungen aus allen Richtungen und Dimensionen eintreten könnten. Explizit wird betont: „Die NATO ist zwar ein Verteidigungsbündnis, jedoch sollte niemand an unserer Stärke und Entschlossenheit zweifeln, die Souveränität und territoriale Unversehrtheit aller Verbündeten aufrechtzuerhalten und uns gegen jeden Angreifer durchzusetzen.“ An diesem Gipfel haben erstmals Nicht-NATO-Mitgliederaus dem asiatisch-pazifischen Raum teilgenommen. Es waren Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland. 

Vilnius, die litauische Hauptstadt, war am 11. und 12. Juli 2023 Austragungsort des Gipfeltreffens. Präsident Gitanas Nausėda hatte die 31 Mitglieder eingeladen, darunter erstmals auch Finnland. Den geplanten Beitritt Schwedens hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan mit seinem Veto verhindert. Inzwischen wurde die Beitrittsurkunde des skandinavischen Landes als 32. Mitglied im März 2024 in Washington hinterlegt.

Zum ersten Mal tagte der NATO-Ukraine-Rat im Beisein des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Dieser Rat ist ein neues Gremium für den Austausch, die Beratung und gemeinsame Entscheidungen auf politischer Ebene. Konsens bestand darin, dass ein NATO-Beitritt der Ukraine während des Krieges nicht infrage kommt. Zudem wurde ein Vilnius-Paket im Wert von rund 700 Millionen Euro sowie neue Verteidigungspläne beschlossen. Die NATO wird 300.000 Soldaten in hoher Bereitschaft halten. Zur Verstärkung der Ostflanke wird die Bundeswehr eine Brigade in Litauen stationieren. Diese wurde am 1. April 2025 mit einem militärischen Appell formal in Dienst gestellt. Die Panzerbrigade 45 „Litauen” untersteht der 10. Panzerdivision in Veitshöchheim, deren Stauferlöwe links im Brigadewappen angebracht ist. Alle Verbündeten verpflichteten sich, mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in die Verteidigung zu investieren.

In den USA ist Donald Trump seit dem 20. Januar 2025 im Amt. Er fordert höhere Verteidigungsausgaben, ebenso wie Generalsekretär Mark Rutte. Die NATO-Staaten sollen nach Trump fünf Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgeben. Der Generalsekretär hat mit einer Kompromissformel reagiert: 3,5 Prozent sollen für das Militär und 1,5 Prozent für die Infrastruktur, wie beispielsweise Straßen, Brücken und Häfen, die für die Verteidigung relevant sein könnten, aufgewendet werden. Investitionen in die zivile Infrastruktur wären in Deutschland durchaus sinnvoll, würden von der Bevölkerung mitgetragen und den Wirtschaftsstandort stärken. So könnte das diesjährige Treffen der Staats- und Regierungschefs in Den Haag auch Auswirkungen auf die Instandsetzung maroder Brücken haben. Vom „Brücken bauen“ wird ja immer wieder gesprochen.      

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