Geiselnahme von Stockholm im April 1975 - OTL i.G. Andreas Baron v. Mirbach ermordet
„An die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und des Königreichs Schweden“, so beginnt der Aufruf des „Kommando Holger Meins“ vom 24. April 1975. Gegen Mittag wird die deutsche Botschaft in Stockholm besetzt und zwölf Botschaftsangehörige gefangen genommen.
Das sechsköpfige Kommando der Rote-Armee-Fraktion (RAF) forderte die Freilassung von „26 politischen Gefangenen“, die in verschiedenen Haftanstalten der Bundesrepublik einsaßen. Bis 21.00 Uhr sollten sie zum Flughafen Frankfurt/Main gebracht und mit einer Lufthansa-Maschine ausgeflogen werden. Ein Zielort wurde dabei noch nicht genannt. Der schwedische Botschafter und ein Anwalt sollten sie begleiten, die Bundesregierung jedem der Freigelassenen 20.000 US-Dollar übergeben, „der Abflug der Genossen“ sollte vom deutschen und schwedischen Fernsehen live übertragen werden.
Holger Meins und seine Helfer gehörten zur zweiten Generation der Rote-Armee-Fraktion (RAF), einer linksextremistischen Gruppierung, die seit 1968 mit terroristischen Mitteln gegen das Gesellschaftssystem der Bundesrepublik kämpfte. Ihre Anführer waren Andreas Baader und Ulrike Meinhof. Sie saßen in Stuttgart im Gefängnis und gehörten zu den 26 Frauen und Männern, die freigelassen werden sollten.
Die RAF entstand aus der außerparlamentarischen Opposition und der Studentenbewegung der sechziger Jahre. Nach den Demonstrationen gegen Schah Reza Pahlewi in Berlin im Juni 1967, bei denen der Student Benno Ohnesorg ums Leben gekommen war, nahm die Gewaltbereitschaft nicht nur gegen Sachen, sondern auch gegen Repräsentanten des Staates, der Wirtschaft und gegen US-Einrichtungen zu. Die Liste der terroristischen Anschläge wurde immer länger. Ein Menschenleben spielte dabei keine Rolle. Ulrike Meinhof sagte z.B. in einem Interview über die Auseinandersetzung mit der Polizei u.a.: „Wir sagen, der Typ in Uniform ist ein Schwein, das ist kein Mensch, und so müssen wir mit ihm umgehen ... Es ist falsch, mit diesen Leuten überhaupt zu reden, und natürlich kann man schießen...“. (Der Spiegel 25/70 v, 15. Juni 1970)
Am 31. März 1972 erklärte sie in der Frankfurter Universität: „Unsere Aktionen gegen die Vernichtungsstrategen in Vietnam versteht heute schon jeder. Unsere Aktionen zum Schutz des Lebens und der Gesundheit der Gefangenen und der freien Genossen der RAF versteht heute schon jeder“. Wer inhaftiert war und wer in Zukunft noch verhaftet werden würde, sollte wissen, dass die Genossen ihn nicht im Stich lassen.
Bislang waren die Streitkräfte noch nicht im Visier der Terroristen, das änderte sich mit der Ermordung des Militärattachés Oberstleutnant i.G. Andreas Ernst Freiherr v. Mirbach. Am 1. Februar 1956 war Freiherr v. Mirbach als Offizieranwärter in die Panzergrenadierlehr-kompanie in Andernach eingetreten. Er wurde am 9. April 1921 in Riga geboren, wo sein Vater als Syndikus tätig war. Vor seinem Eintritt in die Bundeswehr absolvierte er eine Ausbildung zum Geflügelzüchter. Am 1. März 1957 erfolgte die Beförderung zum Leutnant und Ernennung zum Berufssoldaten. Er diente als Zugführer, S1-Offizier und Kompaniechef beim Panzergrenadierbataillon 133 in Wetzlar. 1958 heiratete er Christa v. Roth, am 9. Januar 1963 wurden die Zwillinge Clais Oluv und Inga Verena geboren.
Von 1963 bis 1965 absolvierte er die Generalstabsausbildung an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. Der Titel seiner Abschlussarbeit lautet: „Kühnheit und Beharrlichkeit in der militärischen Führung“. Er gehörte zum 6. Generalstabslehrgang, der vom Schießunglück auf dem Truppenübungsplatz Bergen betroffen war. Bei einer Lehrvorführung am 9. April 1964 starben zehn Soldaten durch fehlerhaftes Richten von Mörsern. Nach Stabsverwendungen und einer Lehrtätigkeit an der Führungsakademie wurde von Mirbach Anfang Oktober 1973 aufgrund seiner Landes- und Sprachkenntnisse als Militärattaché an die deutsche Botschaft in Stockholm versetzt.
Nach dem Überfall auf die Botschaft war die Regierung unter Bundeskanzler Helmut Schmidt in Bonn in höchster Alarmbereitschaft. Er und der schwedische Ministerpräsident Olaf Palme waren sich einig, der Forderung des Kommandos nicht nachzukommen. „Meine Herren, mein ganzes Gefühl, mein ganzer Instinkt sagt mir, dass wir nicht nachgeben dürfen“, erklärte er im Krisenstab. Später bekannte der Bundeskanzler, es sei „eine der schwersten Entscheidungen“ seines Lebens gewesen, das Leben der elf Geiseln aufs Spiel zu setzen.
Nach dem Alarm hatte die Polizei die Botschaft in den unteren Stockwerken besetzt, die Terroristen befanden sich mit den Geiseln im dritten Stock. „Wer ist von Mirbach“, fragten die Terroristen, „das bin ich“, antwortete er. Im Treppenhaus wurde er kaltblütig mehrmals von hinten erschossen und die Steintreppe hinuntergestoßen. Die Polizei verließ das Gebäude, zwei Polizisten in Unterhosen bargen den Angeschossenen. Doch sein Leben war nicht mehr zu retten, kurz vor 18:00 Uhr starb von Mirbach im Krankenhaus. Das Drama von Stockholm nahm ein blutiges Ende. Auch der Wirtschaftsattaché Heinz Hillegart wurde hingerichtet, in der Nacht explodierte aus ungeklärten Gründen vom Kommando mitgebrachter Sprengstoff, zwei Terroristen wurden verletzt, einer stirbt, der andere drei Wochen später. Die anderen Terroristen von der Polizei verhaftet und im Juli 1977 in Deutschland verurteilt. Wer die tödlichen Schüsse auf von Mirbach abgab, konnte nicht geklärt werden.
Am 30. April 1975 fand in Eckernförde die Trauerfeier für Oberstleutnant i.G. Andreas Baron von Mirbach statt. Verteidigungsminister Georg Leber hielt die Trauerrede.