Die Konferenz- und Kulturveranstaltung CAFE KYIV wurde von der von der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) zum 3. Male in Berliner Filmkomplex Colosseum - und wiederum mit der GSP als Partnerorganisation – ausgerichtet.
Die Eröffnung nahm KAS-Präsident Dr. Lammert vor, der zunächst an die Wahl von Michail Gorbatschow zum Generalsekretär der KPDSU vor genau 40 Jahren und an das damit verbundene Tauwetter in den Ost-Westbeziehungen erinnerte. Nach dem kürzlichen Eklat im White House fordert er nun eine nicht nachlassende Demonstration der Entschlossenheit in Europa mit dem Ziel, das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine durch belastbare Verträge abzusichern. Er zitierte Konrad Adenauer nach der Wahl zum Bundeskanzler 1950 mit der Feststellung "Europa besteht derzeit durch die Gnade der USA, doch eines Tages muß es auf eigenen Füßen stehen". Dieser Zeitpunkt, so Lammert, sei nun gekommen.
Der ukrainische Botschafter, SE Oleksii Makeiew nahm das offensichtliche Lieblingswort "Führungsfähigkeit" der sich konstituierenden Regierungskoaliition zum Anlaß, auch eine neue Handlungsfähigkeit von ihr einzufordern. Er verwies insofern auf die vom französischen Staatspräsidenten Macron kürzlich ausgerufene "ère nouvelle" als Folge der von Bundeskanzler Scholz postulierten "Zeitenwende". Weiterhin forderte er für die Verhandlungen über einen Frieden für die Ukraine einen "runden Tisch" unter Beteiligung seiner Regierung und und EU anstelle der bilateralen Gespräche zwischen dem Kreml und Washington. Letztere dürften nicht über Europa ohne dessen Beteiligung incl. der Ukraine verhandeln.
Frau Eva Yakubowska, Präsidentin der Vitsche-Stiftung und Kuratorin beim Pilecki Institut Berlin, hob hervor, daß die Ukraine nicht nur um ihr Überleben, sondern um das Leben als solches kämpfe. Im Kontrast hierzu sei es Rußland gelungen, in 2025 bislang ca. 440.000 Soldaten zu rekrutieren. Sie zitierte in diesem Kontext den US-Historiker Timothy Snyder mit "Freiheit ist das Ergebnis von menschlichem Handeln" und folgerte, daß Freiheit keine Mauern brauche, sondern den Mut, dafür zu kämpfen.
Im Panel "More Strategy - why Ukraine is integrated for better Strategy in Europe" beantwortete Dr. Anton Hofreiter, MdB, die Frage, warum Deutschland und die Mehrheit in der EU mit Blick auf das globale Geschehen so lange geschlafen habe, wie folgt :
- man habe sich gemütlich auf den status quo während der letzten Jahre eingerichtet und keine weitere Amtzseit von Donald Trump erwartet
- Putin und seine Nomenklatura habe über Jahre die Freizügigkeit und Toleranz bei Urlauben in Westeuropa genossen, doch nun die Rolle von Imperialisten eingenommen, um das russische Reich wiederherzustellen
Er verurteilte in diesem Kontext die Rolle von sozialen Medien wie TikTok und X für das Ausmaß ihrer Desinformation und bezeichnete sie als Feinde der Demokratie
Frau Dr. Stephanie Babst, langjährige stv. beigeordnete Generalsekretärin im NATO-Planungsstab, sieht den White House-Eklat als eine Scheidung Trumps von Europa und folgert:
- bei jedem zukünftigen Schritt Europas wird die Bedrohung durch Rußland nicht nachlassen, solange Putin exisitiert; Die EU muß sich deshalb dazu durchringen, die Drohungen des Kremls ernst nehmen und alles daran setzen, diese zu eleminieren
- bzgl. der transatlantischen Beziehungen innerhalb der NATO erwartet sie keine Umkehr während des 2. Terms von Präsident Trump, da dieser das Abkommen von Washington (North Atlantic Treaty) und andere Verträge grob bzw. willentlich (bluntly) verletzt. Zudem sollte Europa Trumps Äußerung, als Mißbrauch dargestellten Beziehungen mit den USA ("EU-Gründung mit dem Zweck, die USA zu schädigen") hinter sich lassen.
- trotz der bislang von hoher Abhängigkeit geprägten Beziehungen zu den USA stellen die verbleibenden 24 NATO-Staaten (d.h. ohne Ungarn und die Slowakei) eine beträchtliche Masse dar. Bei Gesprächen innerhalb der NATO sollte Generalsekretär Rutte das Spiel mit den Zahlen dennoch eher unterlassen und lieber auf Strategie setzen.
Als kurzfristige Maßnahmen - auch mit Blick auf den nächsten NATO-Gipfel - empfiehlt sie den Fokus auf die maritime Dimension der Ostsee-Region mit der Verbannung der russischen "Schattenflotte" von dort. Und letztlich müsse die USA aus der NATO ausgeschlossen werden.
Im Panel "Economy of War" ging Roderich Kiesewetter, MdB, auf die Frage "sind wir bereit für einen Kriegsfall?" wie folgt ein:
- Deutschland zeige eine falsche Einstellung, wenn es die Ukraine nur aus Solidarität unterstützt, sondern müsse anerkennen, daß diese mit ihrer Abwehr des Aggressors auch unser Land schützt
- Die Bundesregierung verschweige weitgehend den Einsatz russischer Drohnen auf unserem Territorium und auch den Umstand, daß die Bundeswehr über keine eigenen Kampfdrohnen verfügt
- er erinnerte an ein Gespräch mit dem Kiewer OB Klitchko aus dem Januar 2022, in welchem dieser über Vorbereitungen auf einen Überfall Rußlands berichtete, so über die Bevorratung mit Blutkonserven und Ernennung von (Ober-) Bürgermeistern zu Stadtkommandanten. U. a. von diesen Maßnahmen sollte deshalb Deutschland lernen
- er habe zwar die Aufrufe von Bundesminister Faeser und Pistorius zur Herstellung einer Kriegstüchtigkeit wahrgenommen, vermisse jedoch entsprechende Appelle des Bundeskanzlers und des Bundespräsidenten
Ein weiteres Panel mit der Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Goering-Eckardt konnte ich in Anbetracht der teils parallel geführten Diskussionen nicht wahrnehmen.
Bewertung:
mit den insgesamt rund 100 Veranstaltungen (davon ca. 30 im Konferenz- bzw. Diskussionsteil mit einer Dauer zwischen 30 und 60 min.) wurde wie im Vorjahr ein breites Spektrum abgedeckt. Der kulturelle Part mit vielen Filmen unterschiedlichen Genres zog sich gar bis nach 23.00 h hin und führte auch noch nach 18.00 h zu Warteschlangen von bis zu rd. 300 Personen, die aufgrund des baupolizeilich beschränkten Besucherkontingents auf Einlaß warten mussten. Die von mir wahrgenommene Besucherzahl entsprach in etwa derjenigen vom Vorjahr, obgleich diesmal "Politstars" wie KOM-Präsidentin von der Leyen oder der Kiewer OB Vitali Klitchko fehlten.