Berufsarmee oder Wehrpflicht – am 7. Juli 1956 fiel die Entscheidung

Berufsarmee oder Wehrpflicht – am 7. Juli 1956 fiel die Entscheidung

Es ist schon etwas stiller geworden um den „Auswahl-Wehrdienst“ von Boris Pistorius. Noch vor Tagen überschlugen sich Meldungen und Nachrichten, bei denen der Verteidigungsminister immer mitten drin war. Der frühere Wehrbeauftragte und jetzige Präsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik (GSP) Hans-Peter Bartels meinte zu den Aussagen und Vorstellungen „lieber kleine Brötchen backen.“ Nach dem Pistorius-Modell sollen künftig alle 18-jährigen Männer und Frauen mit deutschem Pass Online einen Fragebogen erhalten und ihn beantworten, Frauen nur freiwillig.

Ausgegangen wird von einer Alterskohorte von etwa 400.000, die befragt werden können.   Außer, dass sie nach ihren Interessen und Fähigkeiten befragt werden sollen, ist vom Inhalt nichts bekannt. Der neue freiwillige Wehrdienst soll ein Jahr dauern. Gerechnet wird mit einem Rückläufer von 40.000 bis 50.000 Antworten.  Davon sollen dann etwa 5.000 – „wir wollen die Besten und Motiviertesten“ so Pistorius – zum Dienst einberufen werden. Schon nach bekannt werden der Vorstellungen des Ministers kam Kritik von verschiedenen Seiten. Selbst die eigenen Parteigenossen und die Ampelkoalitionäre waren skeptisch im Hinblick auf Umsetzung und Erfolgsaussichten.

Warum ist das Thema Wehrpflicht wieder aktuell? Deutschlands Sicherheitslage hat sich seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 massiv verändert. Die von Bundeskanzler Olav Scholz kurz nach dem Überfall ausgerufene Zeitenwende soll Deutschland verteidigungsfähig machen. Bündnis- und Landesverteidigung haben einen anderen Stellenwert bekommen. Ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro soll dazu beitragen. Diese Schulden sind von der Kreditobergrenze der Schuldenregel ausgenommen. Personal für die Bundeswehr wird dringend gebraucht und ihre Ausstattung und Ausrüstung müssen verbessert werden.

Blicken wir einmal auf die jetzige Personalsituation und schauen zurück in die Geschichte der Wehrpflicht. In der Bundeswehr dienen 181.000 Soldaten und sie beschäftigt 82.000 Zivilbedienstete. Bis 2027 soll eine Stärke von 203.000 Soldaten und Soldatinnen erreicht werden. Was der NATO an Personal zugesagt wurde, liegt annähernd bei 240.000 Soldaten. Für den Verteidigungsfall sprach Pistorius von 460.000 Soldaten. Wie das bewerkstelligt werden soll, ist völlig unklar. Bevor weiter im Nebel gestochert wird, zurück zu den Anfängen der Bundeswehr bevor die Wehrpflicht 55 Jahre nach ihrer Einführung ausgesetzt wurde.

Es war In den Morgenstunden gegen 4 Uhr des 7. Juli 1956 als im Deutschen Bundestag eine Abstimmung beendet und das Ergebnis bekannt gegeben wurde. Mit 269 gegen 166 bei 20 Enthaltungen, hatte die Mehrheit der Abgeordneten für die Einführung der Wehrpflicht gestimmt. Mit dieser Entscheidung war eine lange und erbitterte Auseinandersetzung um das Für und Wider der Wehrform entschieden worden. Auch der Bundesrat stimmte mit 21 gegen 17 dem Wehrpflichtgesetz zu. Dagegen stimmten Bayern, Bremen, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Berlin enthielt sich. Am 24. Juli 1956 wurde es im Bundesgesetzblatt Nr. 36 verkündet. Über Dienstzeitdauer wurde noch nicht entschieden. Erst im September, nach Auseinandersetzungen mit der Wirtschaft, die eine möglichst kurze Dienstzeit wollte, wurde gegen den Willen der militärischen Führung die Dienstzeit auf 12 Monate festgelegt. 

Die Wiederbewaffnungsdebatte der 50er Jahre hatte die Gesellschaft in zwei Lager gespalten. Sollte der Verteidigungsbeitrag nur mit Freiwilligen oder auch Wehrpflichtigen erfolgen? Der erste Bundespräsident Theodor Heus bezeichnete die Wehrpflicht „als legitimes Kind der Demokratie“. Das sahen viele Bürger und Abgeordnete anders, konnten sich aber mit ihren Argumenten nicht durchsetzen. Um überhaupt Streitkräfte aufzustellen, mussten die gesetzlichen Grundlagen geschaffen werden. Im Grundgesetz (GG) von 1949 war dazu nichts aufgenommen worden. Niederschlag hatte nur das Verbot der Vorbereitung eines Angriffskrieges und der Kriegswaffenkontrolle, die Möglichkeit zur Teilnahme an einem „System gegenseitiger kollektiver Sicherheit“ sowie das Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Im Laufe der parlamentarischen Behandlung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) wurde am 26. Februar 1954 in 2. Und 3. Lesung das Gesetz zur Änderung des GG verabschiedet, das die Wehrhoheit des Bundes begründet. Als die EVG dann im August 1954 scheiterte – die französische Nationalversammlung stimmte nicht zu – war der Weg für nationale Streitkräfte frei. Ein Jahr später, am 15./16. Juli 1955, verabschiedete der Bundestag dann das „Freiwilligengesetz, das die Einstellung von 6000 Freiwilligen für die neu aufzustellenden Streitkräfte genehmigte.

Am 21. Januar begann für rund 100.000 Männer, die nach dem 30. Juni 1937 geboren wurden, die Musterung in den provisorisch eingerichteten Kreiswehrersatzämtern (KWEA). Vorgeprescht war die Wehrverwaltung in Baden-Württemberg. Hier wurden schon drei Tage früher, am 18 Januar, die ersten Wehrpflichtigen durch das KWEA Leonberg gemustert. Diese fand im Gasthaus „Zur Sonne“ in Herrenberg statt. „Durch diese Vorverlegung wurde den Leitern und Musterungsärzten der anderen KWEA im Wehrbereich V Gelegenheit gegeben, den Ablauf des Musterungsverfahrens in der Praxis kennen zulernen“, ist in der Chronik des KWEA Stuttgart zu lesen. Rund 10.000 für tauglich befundene Gemusterte erhielten den Einberufungsbescheid und rückten am 1. April 1957 in die Kasernen ein. Sie wurden von den Ausbildern, ehemaligen Wehrmachts-, Bundesgrenzschutz-, Polizeiangehörigen oder auch Angehörigen der allliierten Dienstgruppen oder den seit Januar 1956 dienenden Freiwilligen in Empfang genommen.

Verteidigungsminister Volker Rühe, nimmt den vierzigsten Jahrestages der Einführung der Wehrpflicht am 7. Juli 1996 zum Anlass eines Tagesbefehls an die Truppe. Hier heißt es: „Wehrpflicht bleibt für Deutschland unverzichtbar – heute und in Zukunft“. [….] „Die Wehrpflicht prägt die Führungskultur in unserer Armee in der Demokratie“.  […] Der Tagesbefehl endet mit den Worten „Wehrdienst ist Ehrendienst für unser Land“.

Nach 55 Jahren wird die Wehrpflicht zum 1. Juli 2011 ausgesetzt. Bis zur letzten „freiwilligen“ Einberufung im Oktober 2011 haben mehr als acht Millionen junge Männer ihre Dienstpflicht erfüllt. An Stelle des Grundwehrdienstes ist ein freiwilliger Wehrdienst von sechs bis zu 23 Monaten getreten, der Männer und Frauen offensteht. Die ersten sechs Monate sind Probezeit, in der beide Parteien die Zusammenarbeit beenden können. Den Zivildienst ersetzt ein sechs bis 18-monatiger Bundesfreiwilligendienst.

Letzte News

  • 14Jan
    Bundestagsw. 1976-1998 - 1990 erstmals freie Wahlen im gesamten DEU seit 1932

    8. Bundestagswahl am 3. Oktober 1976
    Zur achten Bundestagswahl tritt der amtierende Bundeskanzler an. Bereits im Juni 1975 hatte die Union den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Helmut Kohl als ihr neues Zugpferd nominiert. Die CSU hätte lieber Franz Josef Strauß ins Rennen geschickt. Kohl erzielt mit 48,6 Prozent das zweitbeste Unions-Ergebnis seit 1949. Da die SPD 42,6 Prozent und die FDP 7,9 Prozent der Zweitstimmen erhalten, wird das Regierungsbündnis unter Bundeskanzler Helmut…

  • 10Jan
    Erste Aktivitäten der neuen Sektion Rom

    Ein kurzer Bericht des Sektionsleiters aus der Ewigen Stadt:

    Ich freue mich sehr, dass ich in Zusammenarbeit mit dem römischen Büro der Konrad- Adenauer-Stiftung e.V. (KAS) die erste Veranstaltung der GSP in Rom anbieten konnte. Mein besonderer Dank gilt hierbei dem Vortragenden, Dr. Karl-Heinz Kamp und ebenso Dr. Nino Galetti, dem Leiter des Auslandsbüros der KAS in Italien, San Marino und beim Heiligen Stuhl.
    Dr. Kamp trug zum Thema „Wie weiter nach der US-Wahl? - Cosa succederà dopo le…

  • 09Jan
    Bundestagswahlen 1949 bis 1972 - Das erste Parlament hatte 402 Abgeordnete

    Die Entscheidung ist gefallen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die 20. Wahlperiode des Deutschen Bundestages für beendet erklärt und den Termin für die vorgezogene Neuwahl des 21. Deutschen Bundestages auf Sonntag, den 23. Februar festgelegt. Knapp sieben Wochen bleiben den Organisatoren, den Wahlhelfern und den Direkt- und Listenkandidaten der Parteien, um die Wählerinnen und Wähler von sich zu überzeugen. Voraussichtlich 59,2 Millionen Deutsche sind wahlberechtigt. Davon sind 30,6…

  • 16Dec
    Internationale Winter School zu "Outer Space Cooperation in the Middle East"

    Das Institute for International Cooperation, Technological Diplomacy and Communication (ICI) führt in Kooperation mit der Jungen Gesellschaft für Sicherheitspolitik (JGSP) vom 6. - 8.12.2024 (Fr-So) eine internationale Winter School zu "Outer Space Cooperation in the Middle East" mit renommierten Expertinnen und Experten in der UN-Stadt Bonn durch.

    Die Winter School brachte Studierende aus dem Nahen Osten mit Studierenden aus Europa zusammen, um über Weltraumkooperation im Nahen Osten sprechen…

  • 10Dec
    Deutschlands Dilemma nach dem Sturz des syrischen Machthabers Bashir al-Assad

    Nach der Flucht von Diktator Assad aus Damaskus und der bevorstehenden Machtübergabe seines Unterdrückungsapparats an die sunnitischen Islamisten zeichnet sich eine neue Flüchtlingswelle in Richtung Europa und auch nach Deutschland ab.
    Seit dem Beginn der Auflehnung gegen das Regime Assad und dessen Repressalien in 2011 sind rd. 970.000 Syrer*innen bis Ende 2023 nach Deutschland geflohen (Rang 2 nach der Türkei mit 3,1 Mio. Flüchtlingen aus dem südlichen Nachbarland) und haben hier zumeist Asyl…

  • 04Dec
    Parlamentarischer Abend der DWT und der GSP - Ein Lagebericht

    In unruhigen und turbulenten sicherheitspolitischen Zeiten luden die Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik e.V. (DWT) und die Gesellschaft für Sicherheitspolitik e.V. (GSP) zu einem gemeinsamen Parlamentarischen Abend zum Thema „Ein Lagebericht“ in die Vertretung des Landes Baden-Württemberg beim Bund am 26.11.2024.
    Der vorgesehene Gastredner, FDP Vorsitzender Herr Christian Lindner, zog kurzfristig seine Zusage zurück. Für ihn konnte als Referent Herr Oberst André Wüstner vom Deutschen…

  • 01Dec
    Außenmin der größten EU-Staaten für gemeins. Schulden für Vtdg-Ausgaben

    Führende europäische Außenminister unter Beteiligung von Anna-Lena Baerbock haben am Dienstag vergangener Woche in Warschau ihre Solidarität mit der Ukraine bekundet. Sie lehnen mögliche Friedenslösungen, die den Interessen der Ukraine widersprechen, ab. Auch gemeinsame EU-Schulden für Verteidigungsausgaben stehen im Raum.
    Nach dem Treffen der Außenminister Deutschlands, Frankreichs, Polens, Italiens, Spaniens und Großbritanniens betonte der polnische Außenamtschef Radosław Sikorski gegenüber…

  • 14Nov
    Kriegstüchtigkeit und kritische Rohstoffe - zwei Seiten einer Medaille

    Im gleichnamigen Panel des vom BDI veranstalteten 8. Rohstoffkongress 2024 am 11. November diskutierten hochrangige Vertreter aus Wirtschaft und Politik über die Wechselwirkung dieser Güter für die geopolitische Rolle Deutschlands im Zeichen der 'Zeitenwende' sowie den Erwartungen an Politik und Industrie.

    Unter der Moderation von Matthias Wachter, Abteilungsleiter Int. Kooperation, Sicherheit, Rohstoffe und Raumfahrt kamen

    • Hans Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer der Deutschen…
  • 10Nov
    Kommissionspräsidentin von der Leyen: Absage an Europ. Nachrichtendienst

    Die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, hat am Wochenende der vielfach geäußerten Forderung nach Etablierung eines Europäischen Nachrichtendienstes eine klare Absage erteilt. So hatte erst wenige Tage zuvor der vormalige finnische Präsident Sauli Niinistö in seinem für die Kommission erarbeiteten Bericht zur "Stärkung der zivilen und militärischen Vorsorge und Einsatzbereitschaft Europas" die Etablierung eines umfassend ausgestatteten Nachrichtendienstes nach dem CIA-Modell…

  • 01Nov
    Am 5. November entscheidet Amerika - Kamala Harris oder Donald Trump

    Am kommenden Dienstag, dem 5. November, findet die 60. Wahl des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika statt. Der Sieger oder die Siegerin wird danach als 47. Amtsinhaber/in ins Weiße Haus einziehen. Im bisherigen Wahlkampf stehen sich zwei politische Lager kompromisslos gegenüber.  
    Für die Demokraten treten die amtierende Vizepräsidentin Kamala Harris (*1964, Oakland, Kalifornien) und ihr Vizekandidat Tim Walz (1964, West Point, Nebraska) an. Walz ist Gouverneur von Minnesota. Bei den…

GESELLSCHAFT FÜR SICHERHEITSPOLITIK E.V.

Vereinsregister-Nr. 5684
beim Amtsgericht Bonn

KONTAKT

Hauptstadtbüro:   
Ulrich-von-Hassell-Haus, Lennéstraße 11, 10785 Berlin
Tel.: +49 (0) 30 20648549
praesident©gsp-sipo.de

Geschäftsstelle Bonn:  
Wenzelgasse 42, 53111 Bonn
Tel.: +49 (0) 228 - 652556
Fax: +49 (0) 228 - 658093
geschaeftsstelle©gsp-sipo.de

GEMEINNÜTZIGKEIT

Die GSP e.V. ist  als gemeinnützig und spendenfähig anerkannt worden.
Finanzamt Bonn-Innenstadt
Steuer-Nr.:205/5764/0498, 17.10.2024

 

©  Gesellschaft für Sicherheitpolitik e.V.