Zwanzig Jahre gewaltiger Anstrengungen mit zarten Pflänzchen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritts – zumindest des Fortschritts aus unserer Sicht – sind jedenfalls mehr oder weniger hinfällig. Die Zukunft für die Menschen am Hindukusch ist vage wie schon lange nicht mehr. Die Karten werden neu gemischt. Kaum jemand wagt, eine Prognose abzugeben, wohin das alles führt.
Natürlich muss die Frage gestellt und schonungslos beantwortet werden, was im Kern zu einem solchen Ende mit Schrecken geführt hat. Klar ist wohl: Es wurden über die gesamten zwei Jahrzehnte hinweg gravierende Fehler begangen. Auf allen Ebenen, in allen Bereichen. In der politischen Strategiefindung, in der operativen Umsetzung vor Ort, im Zusammenwirken aller Akteure im Sinne einer vernetzten Sicherheitspolitik. Nur welche Fehler waren das genau? Oder anders: Waren sie letztlich ursächlich für das nun eingetretene Desaster? Oder lässt sich heute im Rückblick feststellen: Die uns selbst gestellte Aufgabe war von vorneherein unlösbar? Das alles gehört nun auf den Prüfstand. Denn wenigstens einige zentrale Lehren müssen auf der Habenseite verbucht werden – mit Blick auf künftiges Krisenmanagement auf anderen Schauplätzen, von denen es in einer global vernetzten Welt nicht gerade wenige gibt.
Dennoch: Die Frage nach einer Bilanz der Vergangenheit und den daraus abzuleitenden Folgerungen für die Zukunft ist das eine. Das andere ist der Umgang mit einem Afghanistan, das nun plötzlich völlig anders tickt als von uns erhofft. Wie verhalten wir uns also auf weitere Sicht dem Land und seiner Regierung gegenüber? Sicherlich hängt hier vieles davon ab, wie die Taliban ihre Macht konkret ausspielen, ob sie also ihre jüngst beschwichtigenden Versprechungen einhalten, also bereit sind, zentrale Menschenrechte zu beachten und andere Gruppen an einer künftigen Regierung zu beteiligen. So mancher Beobachter ist hier freilich mehr als skeptisch – auch weil nicht ganz klar ist, wie homogen die heutige Talibanriege eigentlich ist und wer sich intern durchsetzt.
Klug ist es daher, nicht weiter auf Wunschdenken zu setzen, sondern auch das Schlimmste in Erwägung zu ziehen. Was machen wir also, falls Afghanistan in die Schreckenszeit am Ende des letzten Jahrhunderts zurückzufallen droht und vielleicht sogar international ausgerichteten Terrorbanden wieder einen sicheren Hafen eröffnen könnte? Eine der Kernfragen richtet sich hier nicht zuletzt auf die monetäre Unterstützung des Landes, auf die auch die Taliban angewiesen sein werden. Sollte von uns also „kein müder Euro“ mehr fließen, falls die gemachten Zusagen nicht eingehalten werden? Oder ist es besser, die Messlatte aus eigenem Interesse heraus lieber nicht allzu hoch zu legen? Denn vergessen wir zum Beispiel nicht: Afghanistan ist nicht nur reich an Bodenschätzen, sondern bildet auch eines der letzten fehlenden Glieder der chinesischen Seidenstraßenpolitik. Mit anderen Worten: Ist es gut, wenn China dort das internationale Vakuum besetzt – mit strategischen Zielen, die aus unserer Sicht durchaus auch zweifelhafter Natur sind?
Die Kette realpolitischer Dilemmata am Hindukusch reißt nicht ab.
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