Und schon wieder befindet sich Deutschland mitten in einer Pandemiewelle mit noch unbekanntem Scheitelpunkt. Schon heute ist sie höher als alle vorherigen. Die Kliniken mit ihrer begrenzten Zahl an Intensivbetten stehen seit Wochen am Rande der Totalauslastung, teils auch schon weit darüber. Das Wort von der „Triage“, das man eigentlich nur aus schlimmsten Kriegserfahrungen kennt und eine menschliche wie ethische Grenzerfahrung umschreibt, macht wieder die Runde.
Alle fragen sich: Wie konnte es nur dazu kommen, nach einem scheinbar doch vergleichsweise unbeschwerten Sommer? Und: Wie kommen wir aus dieser Misere wieder heraus? Wie lassen sich die Risiken für Leib und Leben wieder einigermaßen überblicken und vielleicht sogar beherrschen? Wann werden die Menschen in unserem Land ihre bürgerlichen Freiheiten ohne Lockdowns und andere tiefe Einschränkungen im täglichen Leben voll zurückerlangen können? Die Theorien und Antworten sind vielfältig. Die Stimmenvielfalt in Wissenschaft und Politik ist beachtlich. Es handelt sich ja auch um eine komplizierte Sachlage auf noch weitgehend wackligem Terrain.
Als herrschende Meinung gibt es aber zumindest eine klare Erkenntnis: Einer der zentralen Schlüssel zur Problemlösung ist die – noch keineswegs befriedigende – Impfquote in der Gesellschaft. Sie beeinflusst derzeit wie kaum ein anderer Faktor die weitere Verbreitung des Virus, die damit verbundenen Mutationsrisiken und auch die Schwere von Erkrankungen. Im Klartext: Wenn sich mehr Bürgerinnnen und Bürger impfen lassen würden, stünden wir alle sehr viel besser da, bräuchten uns nicht so große Sorgen machen und hätten weit weniger an oder mit Covid-19 verstorbene Mitmenschen zu beklagen. Oder anders ausgedrückt: Impfen dient nicht nur dem einzelnen Betroffenen, sondern der Sicherheit insgesamt in unserem Land.
Man könnte es damit auch so ausdrücken: Impfen ist moralische Bürgerpflicht. Oder umkehrt: Wer sich (ohne offizielle Befreiung aus medizinischen Gründen) nicht impfen lässt, der mag zwar seine eigene Freiheit vermeintlich ausschöpfen, stellt aber zugleich die Freiheit seiner Mitmenschen unter Risiko. In Freiheit handeln zu dürfen, bedeutet zugleich Verantwortung für sein eigenes Tun oder Nicht-Tun zu übernehmen, ob man das will oder nicht. Alles andere ist nicht Freiheit, sondern wahlweise purer Egoismus oder unfassbare Dummheit.
Natürlich muss man auch an dieser Stelle vorsichtig sein mit vorschnellen Wertungen und Etikettierungen. Denn im Ergebnis geht es nicht nur Fragen von Sicherheit und Gesundheit in der Gesellschaft. Es geht auch um Tendenzen einer Spaltung und Ausgrenzung. Gerade deshalb ist es so wichtig, offen und unermüdlich zu informieren, geduldig zu diskutieren und nicht von vorneherein Andersdenkende abzulehnen – auch wenn Letzteres bisweilen recht schwerfällt.
Allerdings verlangt die Gesellschaft von „der Politik“ trotz aller Dialogbereitschaft auch klare und zielgerichtete Entscheidungen. Und hier steht nun ganz aktuell und dringlich das heiße Eisen zur Debatte, das bisher geschmeidig umgangen wurde: Eine Impfpflicht – gesetzlich verordnet und damit weit mehr als nur moralisch geboten. Die verfassungsrechtlichen Hürden dafür sind hoch: Sie müsste vor allem klar dem Ziel einer zwingend erforderlichen Sicherheitsvorsorge dienen, die mit sanfteren Mitteln nicht hinreichend realisiert werden kann. Und eher politisch steht auch die Frage im Raum, welche gesellschaftlichen Nebenwirkungen eine solche Impfpflicht hätte. Wie ist sie zu überwachen? Wie sanktioniert man Verstöße? Beschleunigt sie gesellschaftliche Spannung und Spaltung? Dummerweise gab es ja bisher seitens der Politik stets die Zusicherung, an eine Impfpflicht denke niemand. Und nun holt also die harte Wirklichkeit die Beschwichtigungen der Vergangenheit ein.
Wieder einmal stehen wir in Deutschland vor einem sicherheitspolitischen Dilemma. Diesmal geht es ganz unmittelbar und für alle direkt erlebbar um Freiheit und Verantwortung, um Vernunft und Widerborstigkeit, aber auch um Leben und Tod.
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