Spätestens seit Ende der 1990er Jahre wird so beständig wie erfolglos die Frage aufgeworfen, ob wir in Deutschland einen übergreifenden Nationalen Sicherheitsrat brauchen. Ein zunehmend komplexes sicherheitspolitisches Umfeld, neue strategische Herausforderungen und das Erfordernis einer engeren Verflechtung aller Akteure lassen es seither geboten erscheinen, nach überzeugenden Antworten zu suchen. Im Zuge des nun beendeten Wahlkampfes, aber auch der schmerzvollen Erfahrungen in Afghanistan kam das Thema nun erneut wieder in Diskussionsforen auf.
Gewiss, es gibt auf höchster Ebene den Bundessicherheitsrat, dem neben der Bundeskanzlerin eigentlich alle Ressorts angehören, die im Sinne einer erweiterten Sicherheitspolitik eine zentrale Rolle spielen – so vor allem das AA, das BMVg, das BMZ und das BMI. Es handelt sich um einen Kabinettsausschuss mit geheimer Agenda und ohne eigenen Unterbau. Und erstaunlicherweise spielt das BMWi – eigentlich nicht ein Bereich, den man sicherheitspolitisch an allervorderster Front verorten würde – dort eine der Schlüsselrollen. Denn auch wenn die Agenda geheim ist und sein muss, so ahnt man, dass vor allem die Frage deutscher Waffenlieferungen regelmäßig im Zentrum der Debatte steht.
Nun sind Richtlinien für Rüstungsexporte und deren konkrete Umsetzung gewiss ein gewichtiges und hochspannendes Thema, dies gerade auch mit Blick auf unsere Interessen an weltweitem Frieden und der Stabilisierung von Konfliktregionen. Dennoch lässt sich mit einigem Recht fragen: Sind sie wirklich alles, was strategisch bedeutsam ist? Und vor allem: Bildet ein solches Gremium ohne eigene, von den spezifischen Ressortegoismen (ja, die gibt es sehr wohl!) weitgehend losgelöste Analyse-, Bewertungs- und Entscheidungsmechanismen einen vernetzten Ansatz, der doch allseits als alternativlos in der heutigen Zeit bezeichnet wird, realiter ab? Oder noch provokanter formuliert: Fehlt nicht ein hinreichend kompetentes Instrument, um endlich das zu erarbeiten, was man salopp als Deutsche Sicherheitsstrategie und damit als bindende Leitschnur für alle relevanten staatlichen Akteure bezeichnen könnte?
Seit vielen Jahren wird immer wieder das Argument entgegengehalten, das Ressortprinzip stehe einem Nationalen Sicherheitsrat mit entsprechenden zentralen Aufgaben und Befugnissen (die freilich noch bestimmt werden müssten) entgegen. Die amerikanische Regelung mit dem dort durchaus einflussreichen National Security Council verbiete sich als Blaupause in unserem verfassungsrechtlichen Gerüst einer parlamentarischen Demokratie mit regelmäßigen Koalitionsregierungen. Aber andererseits: Vielleicht geht’s ja auch eine Nummer kleiner. Vielleicht findet sich sehr wohl ein pfiffiger Ansatz, um beides sinnvoll zu verheiraten: Die im Ressortprinzip verankerten Verantwortlichkeiten und zugleich ein höherer sicherheitspolitischer Nutzen.
Jedenfalls darf die Diskussion über dieses Thema nicht wieder abebben – frei nach dem Motto „Nur keine Experimente“. Denn klar sollte nach all den Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit schon sein: Wir brauchen endlich ein einigermaßen durchsetzungskräftiges Instrument, das im Sinne der vernetzten Sicherheitspolitik mit weitem Blick nach vorn Strategien und Ziele erarbeitet, alle Ressorts in der praktischen Umsetzung stärker koordiniert und vor allem auch eine übergreifende Wirkungskontrolle sicherstellt. Die Zeit für mutige Nachjustierungen unseres sicherheitspolitischen Werkzeugkastens könnte nun reif sein.
Und übrigens: Die gleiche Debatte ließe sich auch auf europäischer Ebene sehr wohl führen. Aber das ist ein anderes Thema …
Kommentare (3)
Man muss nicht die alte Suppe wieder aufwärmen, aber man darf wohl die Frage stellen, ob mit einem intakten nationalen Sicherheitsrat nicht einige Fehler der letzten Jahre in der Außen-, Innen- und Sicherheitspolitik hätten vermieden werden können?
Sicherheitsfragen berühren in aller Regel nicht nur das Außen- oder das Verteidigungsministerium. Vielfach sind mehrere Ressorts gleichzeitig berührt und gefordert; und das erfordert ein enges Zusammenwirken aller Beteiligten. Hier darf es kein ministerielles, der Parteipolitik geschuldetes Konkurrenzdenken geben. Gefragt ist ein Lösungsansatz aus einem Guss. Dieser erfordert Koordination und sicher oft ein Machtwort des für die Politik verantwortlichen Kanzleramts. Ob sich die neue Regierung dessen bewusst ist? - Es bleibt zu hoffen.
Dies waren nur Beispiele, Ideen. Ich empfehle zum Thema Frau Christina Moritz und ihre vielfältigen Ideen zu einem Nationalen Sicherheitsrat zu googeln (z.B. https://www.hardthoehenkurier.de/hhkemags/hhkfreemags/2020-03/index_90.html#page=80). Gruß
Meinen herzlichen Dank an Sie, lieber Herr Rohde, für die Erwähnung meiner Idee und meines Beitrages im Hardthöhenkurier. Das institutionelle Modell für einen deutschen Nationalen Sicherheitsrat habe ich erstmals 2016 in "Europäische Sicherheit & Technik" vorgestellt. Interessierte finden weitere Artikel dazu u.a. auch auf faz-online und der Augsburger Allgemeine sowie in den Fachmedien Europäische Sicherheit & Technik, Hardthöhenkurier, Newsletter Verteidigung, Behördenspiegel, loyal und Business & Diplomacy. Für einen Austausch und Vorträge stehe ich jederzeit gern zur Verfügung.