Kunduz ist seit wenigen Tagen in der Hand der Taliban. Sie haben diese Provinzhauptstadt, die über mehr als ein halbes Jahrzehnt wie wohl kein anderer Ort in Afghanistan mit dem deutschen Beitrag am Hindukusch verbunden war, offenbar erobert. Zumindest sagen das die irritierenden Schlagzeilen, die uns weitab in Europa erreichen. Wer in der ersten Phase unseres Engagements die Stadt oder das erste deutsche Feldlager mittendrin dort erlebt hat, also den Anfang der Sicherheitslage damals mit dem Ende heute vergleicht, mag das kaum glauben. Es ist nicht übertrieben, von einem Schock zu sprechen.
Man kann so eine Art Verzweiflung in der deutschen sicherheitspolitischen Community mit Händen greifen. Entsprechend spontan kommen auf dem politischen Parkett Forderungen auf den Tisch, man müsse dem Vormarsch der Taliban unbedingt wieder etwas entgegensetzen. Ganz klar: Vorschläge dieser oder anderer Art sind grundsätzlich gut, unterstreichen sie doch unsere Betroffenheit und natürlich auch unsere Mitverantwortung für einen Teil der Ergebnisse unseres Handelns. Freilich bedürfen aber auch die Fragen nach der Sinnhaftigkeit und Realisierbarkeit jeder einzelnen Option einer überzeugenden Antwort. Und da gibt es durchaus unterschiedliche Argumente.
Weitgehend einig ist man sich in der Analyse, mit dem Fall von Kunduz sei das westliche Versagen kaum noch zu kaschieren. Umstritten ist dann allerdings die Suche nach den eigentlichen Ursachen der so offenkundigen Misere. Und schon gar kein Konsens besteht in der Frage, was denn nun zu tun sei. Die Liste der Vorschläge ist lang. Sie reicht bis zu der Option, auch Deutschland solle überlegen, nun doch wieder am Hindukusch militärisch eingreifen – sei es direkt vor Ort oder indirekt, also eher unterstützend auf Distanz.
Am 25. Oktober werden wir im Rahmen des 6. GSP-Sicherheitsdialogs in Berlin der übergreifenden Frage nachgehen, welche Bilanz nach 20 Jahren des Afghanistaneinsatzes zu ziehen und welche generellen Erkenntnisse daraus für künftiges (gerade auch militärisches) Krisenmanagement zu ziehen ist. Aber vorab wäre es hochinteressant zu wissen, wie unsere Leser einige zentrale und auch besonders knifflige Fragen beantworten.
Kommentare (1)
Wenn mit "wir" die Bundesrepublik Deutschland gemeint ist, dann sehe ich keine reale Chance, als dies mit Bedauern geschehen zu lassen. Ich wüsste nicht, mit welchen Mitteln etwas anderes zu bewerkstelligen wäre. Dazu fehlt m.E.
a) der politische Wille ,
b) der Rückhalt in der Bevölkerung für ein weiteres Engagement und
c) die Unterstützung verbündeter Staaten.
Ich sehe auch nicht, dass eine neue afghanische Regierung, die gestützt auf ein Votum der Bevölkerung, einen militärischen Einsatz wünschen würde.
Die andere Frage wäre, ob durch den Einsatz ziviler Organisationen den Taliban der Boden entzogen werden könnte. Wir sollten in Kenntnis der Geschichte und des neuerlichen Desasters die Frage sorgfältig prüfen, ehe eine wie auch immer geartete Richtungsentscheidung getroffen wird.