Das Dilemma ist altbekannt: Wie unterstützt man am wirkungsvollsten Partner, die widerrechtlich von außen bedrängt werden? Mit Geld und Diplomatie – oder besser mit Ausbildung, Waffen oder gar Truppen? Im Falle der Nato-Verbündeten stellt sich diese Frage nicht. Da zählt kaum etwas mehr als „unbedingte Solidarität“. Das ist schließlich die DNA der transatlantischen Allianz. Bei anderen Ländern allerdings bietet es sich an, genauer hinzuschauen. Dort gelten andere Regeln. In Deutschland steht etwa der allgemeine Grundsatz der Bundesregierung ziemlich weit oben auf der politischen Agenda, in Spannungs- und Krisengebiete keine Kriegswaffen zu liefern – also etwa in Drittländer, die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind oder wo eine solche droht. Natürlich wird dieses Prinzip in der politischen Praxis durchaus dehnbar praktiziert. Dennoch kann man zumindest sagen: Es „kommt jeweils darauf an“, was verantwortbar und sinnvoll ist.
Die Ukraine ist ein aktuelles Beispiel, wie schwer Entscheidungen zu gezielter militärischer Hilfe fallen. Auf der einen Seite lässt sich der ukrainische Bedarf nach besserer Eigenverteidigung nicht von der Hand weisen. Immerhin hat der seit 2014 anhaltende Konflikt nicht nur erhebliche territoriale Folgen, sondern auch bereits mehrere Tausend Tote gekostet. Die Krim ist de facto – und völkerrechtswidrig – abgespalten, und für die Ost-Ukraine gilt nahezu derselbe Befund. Die Strategie Russlands, mit unverhohlener Einschüchterung und notfalls auch mit offener oder verdeckter Gewaltanwendung die Entwicklungen in seinem näheren Umfeld zu steuern und insbesondere die souveränen Entscheidungen der Ukraine zu unterminieren, lässt sich kaum leugnen. Und niemand weiß, wohin das führt und wie weit Präsident Putin noch zu gehen bereit ist. Das Spektrum der Spekulationen reicht von einem Kordon abhängiger und höriger Nachbarstaaten bis hin zu einer Renaissance sowjetischen Machtanspruchs. Da gibt es an der Ratio einer auch durchgreifenden Unterstützung für die so bedrängte Ukraine kaum ernsthafte Zweifel.
Andererseits stellt sich zugleich die Frage nach dem potenziellen Ergebnis solcher Maßnahmen. Konkret: Fördern Waffenlieferungen die Abschreckung und wirken damit stabilisierend? Oder schüren sie möglicherweise den Konflikt weiter an oder dienen der russischen Seite gar als Vorwand für bewusst herbeigeführte Eskalationen? Denn machen wir uns nichts vor: Geostrategisch ist die Ukraine mit konventionellen Mitteln kaum zu verteidigen. Alle operativen Vorteile lägen im Falle eines breitangelegten offenen Gewaltausbruchs auf russischer Seite. Die Großmanöver in diesem Jahr haben das überdeutlich vor Augen geführt – was vermutlich seitens Moskaus auch so bezweckt war.
Und hier spitzt sich das Dilemma eben zu. Wie schafft man es, einerseits die Ukraine als souveränes Mitglied der Völkergemeinschaft angemessen zu schützen, ohne andererseits zugleich weiteres Öl ins Feuer zu gießen? Wie weit also sollten militärische Hilfe und etwaige Rüstungslieferungen gehen? Welche Art von Waffen bietet sich gegebenenfalls an – wobei klar sein sollte, wie wenig stringent zwischen offensiven oder defensiven Zwecken von Wehrmaterial unterschieden werden kann. Greift also die Logik zwischen sichtbarer Abschreckung und erfolgversprechender Verteidigung in diesem speziellen Fall? Oder anders ausgedrückt: Wann darf oder muss man von Prinzipien abweichen – ohne sie zugleich ad absurdum zu führen?
Wenn mitten im Wahljahr sich eine Partei, die alles andere als chancenlos und zugleich nicht zwingend als unerbittlicher Gegenpol zu eher pazifistischen Strömungen bekannt ist, konkret und durchaus strittig mit diesem Thema befasst, dann darf man das als Signal eines echten Dilemmas interpretieren. Gut also, dass die Dinge offen auf den Tisch kommen und kontrovers diskutiert werden. Und vergessen wir dabei nicht: Das deutsche militärische Engagement im Kosovo und in Afghanistan wurde zu einer Zeit entschieden, als Joschka Fischer Außenminister war. So tickt undogmatische Realpolitik nun mal.