Mit seinem Zauberlehrling hat Goethe schon Ende des 18. Jahrhunderts ein Phänomen beschrieben, das auch in der heutigen Sicherheitspolitik immer wieder höchste Aktualität und Sorge erfährt: Die Schwierigkeit, eine einmal begonnene Entwicklung auf Dauer zu beherrschen, also die erst gern gerufenen und dann aber extrem gefährlichen Geister wieder loszuwerden. In der klassischen Ballade findet sich zum Glück eine Lösung, indem der Meister zurückkommt und die frechen, außer Kontrolle geratenen Besen wieder in die Ecke befiehlt. Wie schwer das heute bisweilen ist, zeigt ein Blick auf die seit 1945 hochbrisante Problematik der Atomwaffen.
Im Januar 2021 ist auf Ebene der Vereinten Nationen ein Vertrag in Kraft getreten, mit dem ein Verbot des Besitzes, der Entwicklung und des Erwerbs von Atomwaffen beschlossen wird. Rund zwei Drittel aller Länder (122 von 193) haben ihn unterzeichnet. Das Problem allerdings: Darunter findet sich kein einziges Land, das offiziell oder faktisch selbst über Nuklearwaffen verfügt. Und auch kein einziger Nato-Staat ist dabei – auch Deutschland nicht, das ja bereits 1954 ausdrücklich und völkerrechtlich verbindlich auf die Herstellung von Nuklearwaffen verzichtet hat. Im Ergebnis führt der Vertrag also (zunächst) zu keinen realen Ergebnissen. Er ist eher in die Kategorie „moralisches Signal“ einzuordnen.
Die deutsche Haltung – die sich einfügt in eine jahrzehntelange außenpolitische Linie – zu dem jüngsten Vorstoß der Völkergemeinschaft ist in der internen Debatte hochumstritten:
- Die einen (und dazu gehört die große Mehrheit der Bundesregierung) sehen in einem Beitritt zu dem Vertragswerk keinerlei praktischen Nutzen, sondern sogar eher eine kontraproduktive Verhärtung mit Blick auf die Ziele im Abrüstungsprozess. Dabei spielen neben militärstrategischen Dogmen einer funktionierenden Abschreckung natürlich auch diffizile Fragen wie die deutsche „nukleare Teilhabe“ (die bei einer Unterzeichnung des Vertrages erheblich an logischer Stringenz verlieren würde) sowie generell das bündnispolitische Verhältnis zu den USA eine wichtige Rolle.
- Die anderen sehen die Glaubwürdigkeit der deutschen Positionen im internationalen Abrüstungsprozess schwer beschädigt, wenn wohlklingenden Worten nicht entsprechende Taten folgen. Man könne schlecht für eine nukleare Abrüstung bis hin zu „Global Zero“ plädieren und dann gleichzeitig die Unterschrift unter einen solchen UN-Vertrag verweigern. Damit verrate man im Ergebnis die eigenen Werte, messe mit zweierlei Maß und drohe international unglaubwürdig zu werden. Vielmehr bedürfe es nun endlich eines so ehrlichen wie mutigen Kurswechsels der deutschen Außenpolitik in diesen Fragen.
Letztlich läuft es wieder einmal auf das bekannte Kräftemessen zwischen den sog. „Realisten“ und den „Idealisten“ hinaus – eine Kategorisierung, die freilich noch nichts über den künftigen realen Gehalt der konkurrierenden Positionen aussagt. Der Ausgang ist mittelfristig jedenfalls offen.
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!