Corona-Krise und Sicherheitspolitik - Teil 2: Bundeswehr

Corona-Krise und Sicherheitspolitik - Teil 2: Bundeswehr

Zugegeben, eigentlich wollten wir die Themenkette unserer Diskussion hier etwas allgemeiner beginnen. Aber nachdem bereits in den ersten Antworten auf den gestrigen Einstiegsimpuls (Corona-Krise und Sicherheit – Teil 1: Einstieg)  die Frage militärischer Ressourcen zur Krisenbewältigung mehrfach berührt wurde, bieten wir nun dazu ein Forum des Meinungsaustausches.

Vorab: In Krisenzeiten sind nüchterne Sachlichkeit und seriöser Austausch von Argumenten ein besonders hohes Gebot. Zugleich ist der Ernst einer Lage undogmatisch zu bewerten und das Ergebnis auch offen zu artikulieren. Aber selbstverständlich darf durch überzogene Panikmache auch nicht grundlos verunsichert werden. An beiden Prinzipien sollten und werden auch wir uns hier orientieren. Im Kern geht es nur um einen harten, rein planerischen Test der eigenen Sicherheitsvorsorge.

In der Krisenreaktionsplanung ist es oft nicht verkehrt, zunächst von einer extremen Notlage auszugehen und auf dieser Basis die eigenen Fähigkeiten zu analysieren – so wie es auch in den LÜKEX-Übungen des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe seit Jahren praktiziert wird (übrigens stand dort bereits 2007 eine Pandemie im Mittelpunkt des Übungsgeschehens). Spielen wir einen solchen Worst Case also mal rein theoretisch durch, auch wenn er im aktuellen Corona-Fall so wohl nicht eintreten wird: Immer mehr Menschen fürchteten gravierende Versorgungsengpässe und zugleich nicht mehr aufnahmefähige Krankeneinrichtungen. Eine lückenlose Versorgung mit Lebensmitteln, lebenswichtigen Gütern oder Arzneimitteln wäre im Bewusstsein der Bürger zunehmend in Frage gestellt. Banken und Geldautomaten würde nicht mehr getraut. Zugleich wüchse ein Druck an den Grenzen, weil in Nachbarländern die Bedingungen als noch negativer eingeschätzt werden. In den sozialen Medien sorgten zusätzlich und fatal verstärkend gezielte Fake News und Verschwörungstheorien für Panikmache und Hysterie, dies begleitet von Verunsicherung durch den offiziell verordneten sozialen Abstand. In der Folge stünde Polizei, öffentliche Verwaltung und die Gesundheitssysteme am absoluten Limit ihrer Leistungsfähigkeit und hätten es in Teilen bereits überschritten – dies auch durch zunehmende Ausfälle des eigenen Personals. Und, und, und ... der Phantasie sind da (leider) keine Grenzen gesetzt. Kurz: Das öffentliche Leben und in der Folge vielleicht auch Teile der inneren Ordnung befänden sich – tatsächlich oder auch nur „gefühlt“ – mitten in einer gravierenden Belastungsprobe mit ungewissem Ausgang.

Noch einmal: Dieses Szenario ist rein theoretischer Art; es wird so wohl nicht eintreten. Es sollte – um Missverständnisse zu vermeiden – auch dieses Forum nicht verlassen. Aber dennoch kann eine solch hypothetische Überlegung nicht schaden, um auf ihrer Grundlage auf etwaige Schwachstellen unserer aktuellen und vor allem künftigen Sicherheitsvorsorge aufmerksam zu machen und rechtzeitig Schlimmeres zu verhüten. Eine der zahlreichen Fragen, die man dabei durchaus überdenken sollte, betrifft die Rolle unserer Streitkräfte mit Blick auf ihre Möglichkeiten und Befugnisse im territorialen Bereich. Also kurz und plakativ: Amtshilfe und Einsätze der Bundeswehr im Inneren.

Ohne einer Debatte vorzugreifen, hier nur im groben Überblick die zentralen Vorgaben des Grundgesetzes, die einen möglichen Einsatz der Bundeswehr ohne Vorliegen des Spannungs- oder Verteidigungsfalles regeln und begrenzen. Man muss hier ganz allgemein zwischen 3 Fällen unterscheiden: Erstens (unterhalb der Einsatzschwelle) die Amtshilfe der Bundeswehr gem. Art. 35 Abs. 1 GG – was völlig unstrittig ist. Zweitens (bereits oberhalb der Einsatzschwelle) gem. Art. 35 Abs. 2 und 3 GG die Unterstützung für Polizei bei einer Naturkatastrophe oder einem besonders schweren Unglücksfall. Und drittens eine militärische Bekämpfung nichtstaatlicher Gegner der freiheitlichen Ordnung gem. Art. 87a Abs. 4 GG. Das ist der verfassungsrechtliche Rahmen, der ja auch seit vielen Jahren und vor allem seit 9/11 immer in der Diskussion ist und dabei auch oft kritisch hinterfragt wurde.

Damit zurück zur Corona-Krise und den bisherigen bzw. auch erwartbaren Lehren aus ihr. Denn es lohnt eine Debatte unter anderem über die vier folgenden Fragen:

  1. Was kann die Bundeswehr überhaupt leisten in der aktuellen Lage? Welche Potenziale besitzt sie für einen nennenswerten Beitrag? Wie steht es um ihre personelle, materielle und infrastrukturelle Leistungsfähigkeit beim Beherrschen der Folgen einer Pandemie?
     
  2. Was darf die Bundeswehr leisten in der aktuellen Corona-Krise oder in einer etwaigen Verschärfung derselben? Kurz: Stehen ggf. verfassungsrechtliche Schranken einer potenziell leistbaren und sachlich gebotenen Unterstützung entgegen?
     
  3. Was sollte – weit über die aktuelle Krise hinaus – überdacht werden, um künftig noch besser vorbereitet zu sein? Das betrifft sowohl verfassungsrechtliche als auch konzeptionelle, personelle und materielle Aspekte unserer Streitkräfte.
     
  4. Und schließlich: Was bedeutet es für die äußere Sicherheit Deutschlands und Europas, wenn die Streitkräfte in weiten Teilen in inneren Angelegenheiten gebunden sein sollten – und dabei (um es auf die Spitze zu treiben) selbst einem Infektionsrisiko ausgesetzt sind?

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