Was aber hier unakzeptabel ist: Auch dieses Papier vermag sich nicht zu freizumachen von der offenkundigen Absicht, bisher stabile Grenzen mithilfe von provokativen Begrifflichkeiten quasi im Vorbeigehen zu verschieben. Das kennt man ja auch bei anderen Gelegenheiten zur Genüge, und leider verfehlt die Wirkung oftmals nicht das angestrebte Ziel. Da ist fast jedes Mittel recht, von historischen Verharmlosungen (Vogelschiss), über Verschwörungsvorwürfe (Volksverräter, Umvolkung) bis zu beleidigenden Unterstellungen (Kopftuchmädchen und sonstige Taugenichtse). Gut, die weit mehr als überwiegende Mehrheit der Bürger durchschaut das wohl und will damit nichts zu tun haben. Aber wenn diese Methode nun auch in den Bereich des staatlichen Gewaltmonopols reicht, dann wird es besonders brisant.
Hier an dieser Stelle soll nur eine einzige Begriffssequenz aus dem erwähnten Papier auf den Prüfstand gestellt werden: Die „zwingende“ Forderung nach einer „geistig-moralischen Reform der Truppe“ und in diesem Zusammenhang nach „der Befähigung und der Motivation jedes einzelnen Soldaten zum unerbittlichen Kampf im Gefecht“. Um es gleich vorwegzunehmen: Können und Willen zum (auch) robusten Kampf ist die unbestreitbare Grundlage soldatischer Existenz – dies in allen Armeen der Welt. Kein Land braucht Soldaten, die das zu leisten nicht imstande und willens sind. In dieser Kernfrage besteht nicht der geringste Dissens. Aber: Was bitte bedeutet der Begriff „unerbittlich“? Er scheint – da das bloße Argument des Kampfes in der soldatischen Ausbildung und Erziehung ja im Grundsatz nirgends streitig und damit auch nicht reformbedürftig ist – das eigentliche Schlüsselwort der Autoren zu sein. Und das veranlasst durchaus, hier einmal nachzuhaken und Versuche zu entschleiern, die eine radikale Abkehr von unserem soldatischen Selbstverständnis nahelegen.
Schauen wir mal genauer hin. Für das Wort „unerbittlich“ lässt sich ja eine Reihe von Synonymen finden: unbarmherzig, gnadenlos, ohne Rücksicht auf Verluste, mit schonungsloser Härte. Wenn man das aber auf die Aufgabe und Rolle unserer deutschen Soldaten überträgt, so drängen sich drei grundlegende Fragen nachhaltig auf.
Erste Frage: Inwiefern stimmt „unerbittlich“ eigentlich mit unserem gelebten deutschen Traditionsverständnis überein, insbesondere mit den soldatischen Tugenden, die Scharnhorst oder Clausewitz so trefflich beschrieben bzw. eingeklagt haben? Steht Gnadenlosigkeit nicht in unauflöslichem Gegensatz zu Aspekten wie Tapferkeit, Ritterlichkeit, moralischen Größen im Krieg? Hat denn der militärische Führer keinen Entscheidungsspielraum, dies auch im Umgang mit dem Gegner? Und vielleicht mehr noch: Soll hier en passant so manches von dem nachträglich gerechtfertigt werden, was wir gemeinhin einem extrem dunklen Kapitel deutscher Geschichte zuordnen? (Einige der schlimmsten Bilder und Dokumente aus dieser Zeit lassen sich problemlos als „unerbittlich“ etikettieren.)
Zweite Frage: Inwiefern verstößt die Forderung nach „unerbittlichem“ Kampf gegen die Grundsätze des humanitären Völkerrechts, die sich doch im Kern ganz anders anhören? Schließlich ist dort aus sehr guten Gründen von dem Anspruch auf Achtung des Lebens und der menschlichen Würde, von dem Gebot der Verhältnismäßigkeit und anderen verbindlichen Verpflichtungen zum Schutz des Prinzips der Menschlichkeit die Rede, und dies ausdrücklich mit Blick auf kriegerische Auseinandersetzungen. Möchte das Papier nahelegen, uns davon zu distanzieren, und sei es auch „nur“ im Kampf? Oder anders gefragt: Was soll eigentlich eine Ausbildung bezwecken, die in der harten Realität unweigerlich die Gefahr von Verstößen gegen das Völkerrecht, ggf. bis hin zu Kriegsverbrechen erhöht?
Dritte Frage: Inwiefern kollidiert der Begriff „unerbittlich“ mit den Prinzipien der Inneren Führung, die für die Bundeswehr seit Jahrzehnten den geistig-moralischen Rahmen bilden, der alle Aspekte der Ausbildung, der Erziehung und des Einsatzes lückenlos umspannt? Als Stichworte dienen auch hier: Menschenwürde, Gerechtigkeit, Gewissen, Werte und soldatische Ethik – die allesamt der These einer angeblich notwendigen Unerbittlichkeit widersprechen. Ist also eine Abkehr von diesen Prinzipien gewollt, dies im Sinne einer technokratischen Verrohung des Soldaten im Sinne eines unbedingten Gehorsams ohne eigenes Ermessen? Dazu passt ein Fakt am Rande: In der so umfassenden wie übergreifenden Präambel des Fraktionspapiers taucht die für die Bundeswehr doch so zentrale „Innere Führung“ an keiner Stelle auf. Erst im allerletzten Teilkapitel findet sie Erwähnung – dort vielleicht auch nur, um eine peinliche Demaskierung zu vermeiden und damit der bekannten Strategie zu folgen, zunächst begrifflich zu provozieren und anschließend im Kleingedruckten beschwichtigend zu verharmlosen.
Noch einmal: Eine strategische Debatte um die Eckpfeiler deutscher Sicherheitspolitik tut Not. Da darf es keine Denkverbote geben. Aber jeder Ansatz muss sich offen der kritischen Analyse stellen – vor allem, wenn fragwürdige Begriffe salopp eingestreut werden. In unserem Fall bedeutet das: Wer Vernunft, Entschlossenheit und robuste Stärke mit „Unerbittlichkeit“ übersetzt und das dann als „geistig-moralische Reform“ bezeichnet, der liegt definitiv falsch. Und er beweist, wie wenig er von dem Kern soldatischer Ausbildung und Erziehung in heutiger Zeit verstanden hat.
Weitere Informationen zum Thema finden Sie auch bei https://www.tagesschau.de/inland/offiziere-afd-101.html , und hier finden Sie die zugehörige Audio-Datei vom NDR (gesendet am 28.08.2019, 6:35 Uhr)