„Unerbittlich“ daneben. Wider das Relativieren unserer soldatischen Werte.

„Unerbittlich“ daneben. Wider das Relativieren unserer soldatischen Werte.

Seit einigen Wochen kursiert ein Papier einer Bundestagsfraktion zur „Streitkraft Bundeswehr“. Banales und Unstrittiges (z.B. zur Bedeutung der NATO, zu Defiziten bei Material und Ausrüstung oder zur Evaluierung von Auslandseinsätzen) mischt sich mit unhaltbaren Behauptungen (Verfassungsbruch der Bundesregierung), mit steilen Thesen (Wehrdienst ja, aber ohne Pflicht für Frauen), mit berechtigt kontroversen Streitpunkten (etwa zum Einsatz der Bw im Inneren oder zu der Idee einer EU-Armee) bis hin zu dem Versuch, sich bei der Truppe plump anzubiedern (gesellschaftliche „Privilegierung“ der Soldaten der Bundeswehr). Immerhin: Jede Diskussionsgrundlage kann eine sicherheitspolitische Debatte befruchten, die wir in unserem Land durchaus vermissen. Jeder darf und sollte sich da beteiligen, und jedes Argument verdient die ihm gebührende Würdigung.

Was aber hier unakzeptabel ist: Auch dieses Papier vermag sich nicht zu freizumachen von der offenkundigen Absicht, bisher stabile Grenzen mithilfe von provokativen Begrifflichkeiten quasi im Vorbeigehen zu verschieben. Das kennt man ja auch bei anderen Gelegenheiten zur Genüge, und leider verfehlt die Wirkung oftmals nicht das angestrebte Ziel. Da ist fast jedes Mittel recht, von historischen Verharmlosungen (Vogelschiss), über Verschwörungsvorwürfe (Volksverräter, Umvolkung) bis zu beleidigenden Unterstellungen (Kopftuchmädchen und sonstige Taugenichtse). Gut, die weit mehr als überwiegende Mehrheit der Bürger durchschaut das wohl und will damit nichts zu tun haben. Aber wenn diese Methode nun auch in den Bereich des staatlichen Gewaltmonopols reicht, dann wird es besonders brisant.

Hier an dieser Stelle soll nur eine einzige Begriffssequenz aus dem erwähnten Papier auf den Prüfstand gestellt werden: Die „zwingende“ Forderung nach einer „geistig-moralischen Reform der Truppe“  und in diesem Zusammenhang nach „der Befähigung und der Motivation jedes einzelnen Soldaten zum unerbittlichen Kampf im Gefecht“. Um es gleich vorwegzunehmen: Können und Willen zum (auch) robusten Kampf ist die unbestreitbare Grundlage soldatischer Existenz – dies in allen Armeen der Welt. Kein Land braucht Soldaten, die das zu leisten nicht imstande und willens sind. In dieser Kernfrage besteht nicht der geringste Dissens. Aber: Was bitte bedeutet der Begriff „unerbittlich“? Er scheint – da das bloße Argument des Kampfes in der soldatischen Ausbildung und Erziehung ja im Grundsatz nirgends streitig und damit auch nicht reformbedürftig ist – das eigentliche Schlüsselwort der Autoren zu sein. Und das veranlasst durchaus, hier einmal nachzuhaken und Versuche zu entschleiern, die eine radikale Abkehr von unserem soldatischen Selbstverständnis nahelegen.

Schauen wir mal genauer hin. Für das Wort „unerbittlich“ lässt sich ja eine Reihe von Synonymen finden: unbarmherzig, gnadenlos, ohne Rücksicht auf Verluste, mit schonungsloser Härte. Wenn man das aber auf die Aufgabe und Rolle unserer deutschen Soldaten überträgt, so drängen sich drei grundlegende Fragen nachhaltig auf.

Erste Frage: Inwiefern stimmt „unerbittlich“ eigentlich mit unserem gelebten deutschen Traditionsverständnis überein, insbesondere mit den soldatischen Tugenden, die Scharnhorst oder Clausewitz so trefflich beschrieben bzw. eingeklagt haben? Steht Gnadenlosigkeit nicht in unauflöslichem Gegensatz zu Aspekten wie Tapferkeit, Ritterlichkeit, moralischen Größen im Krieg? Hat denn der militärische Führer keinen Entscheidungsspielraum, dies auch im Umgang mit dem Gegner? Und vielleicht mehr noch: Soll hier en passant so manches von dem nachträglich gerechtfertigt werden, was wir gemeinhin einem extrem dunklen Kapitel deutscher Geschichte zuordnen? (Einige der schlimmsten Bilder und Dokumente aus dieser Zeit lassen sich problemlos als „unerbittlich“ etikettieren.)

Zweite Frage: Inwiefern verstößt die Forderung nach „unerbittlichem“ Kampf gegen die Grundsätze des humanitären Völkerrechts, die sich doch im Kern ganz anders anhören? Schließlich ist dort aus sehr guten Gründen von dem Anspruch auf Achtung des Lebens und der menschlichen Würde, von dem Gebot der Verhältnismäßigkeit und anderen verbindlichen Verpflichtungen zum Schutz des Prinzips der Menschlichkeit die Rede, und dies ausdrücklich mit Blick auf kriegerische Auseinandersetzungen. Möchte das Papier nahelegen, uns davon zu distanzieren, und sei es auch „nur“ im Kampf? Oder anders gefragt: Was soll eigentlich eine Ausbildung bezwecken, die in der harten Realität unweigerlich die Gefahr von Verstößen gegen das Völkerrecht, ggf. bis hin zu Kriegsverbrechen erhöht?

Dritte Frage: Inwiefern kollidiert der Begriff „unerbittlich“ mit den Prinzipien der Inneren Führung, die für die Bundeswehr seit Jahrzehnten den geistig-moralischen Rahmen bilden, der alle Aspekte der Ausbildung, der Erziehung und des Einsatzes lückenlos umspannt? Als Stichworte dienen auch hier: Menschenwürde, Gerechtigkeit, Gewissen, Werte und soldatische Ethik – die allesamt der These einer angeblich notwendigen Unerbittlichkeit widersprechen. Ist also eine Abkehr von diesen Prinzipien gewollt, dies im Sinne einer technokratischen Verrohung des Soldaten im Sinne eines unbedingten Gehorsams ohne eigenes Ermessen? Dazu passt ein Fakt am Rande: In der so umfassenden wie übergreifenden Präambel des Fraktionspapiers taucht die für die Bundeswehr doch so zentrale „Innere Führung“ an keiner Stelle auf. Erst im allerletzten Teilkapitel findet sie Erwähnung – dort vielleicht auch nur, um eine peinliche Demaskierung zu vermeiden und damit der bekannten Strategie zu folgen, zunächst begrifflich zu provozieren und anschließend im Kleingedruckten beschwichtigend zu verharmlosen.

Noch einmal: Eine strategische Debatte um die Eckpfeiler deutscher Sicherheitspolitik tut Not. Da darf es keine Denkverbote geben. Aber jeder Ansatz muss sich offen der kritischen Analyse stellen – vor allem, wenn fragwürdige Begriffe salopp eingestreut werden. In unserem Fall bedeutet das: Wer Vernunft, Entschlossenheit und robuste Stärke mit „Unerbittlichkeit“ übersetzt und das dann als „geistig-moralische Reform“ bezeichnet, der liegt definitiv falsch. Und er beweist, wie wenig er von dem Kern soldatischer Ausbildung und Erziehung in heutiger Zeit verstanden hat.

Weitere Informationen zum Thema finden Sie auch bei https://www.tagesschau.de/inland/offiziere-afd-101.htmlund hier finden Sie die zugehörige Audio-Datei vom NDR (gesendet am 28.08.2019, 6:35 Uhr)

Nutzungsrichtlinien für den GSP-Blog

Neutralität oder Nato? Nordische Gedankenspiele

| von Kersten Lahl

Welch ein Wandel hat sich in Europa seit den 1990er Jahren eingestellt: Der Warschauer Pakt aufgelöst, die Sowjetunion zerfallen, Russland nahezu ohne wirklich enge Partner. Und umgekehrt: Die Nato deutlich erweitert, und das meist ausgerechnet aus dem bislang dem „Osten“ zugerechneten Lager. In mehreren Runden wurden unter anderem Tschechien, Polen und Ungarn (1999), die baltischen Staaten, die Slowakei, Bulgarien und Rumänien (2004), Kroatien und Albanien (2008), Montenegro ((2017) und zuletzt…

Die unverheilten Wunden Amerikas. Trumps Erbe und Europa.

| von Kersten Lahl

Vor genau einem Jahr blickte die ganze Welt wie gebannt auf den vorläufigen Schlusspunkt einer Tragödie für die älteste Demokratie der Welt. Von der Mär vom „gestohlenen Wahlsieg“ bis hin zur Erstürmung des Kapitols durch einen blindfanatischen Mob schien es nur ein kurzer Weg bis zum totalen Zusammenbruch parlamentarischer Grundprinzipien. Und wohlgemerkt: Es ging damals keineswegs nur um Amerika, sondern um die globale Reputation einer werte- und demokratiebasierten Ordnung.

Russlands eiskalte Wunschliste - welche Ziele verfolgt Putin in Europa?

| von Kersten Lahl

Die gegenwärtigen Dissonanzen zwischen Moskau und dem westlichen Bündnis wecken Sorgen wie seit Langem nicht mehr. Der Aufmarsch russischer Truppen im Zuge der Grenze zur Ukraine, dem weder reine Übungsnotwendigkeiten noch wirkliche Bedrohungen zugrunde liegen, führt mehr und mehr zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung über die Sicherheitsordnung in und für Europa. Das allein wäre nicht weiter problematisch – im Gegenteil, es ist eigentlich überfällig. Aber die Lage droht sich nunmehr so zu…

Corona-Impfpflicht ist sicherheitsrelevant

| von Kersten Lahl

Und schon wieder befindet sich Deutschland mitten in einer Pandemiewelle mit noch unbekanntem Scheitelpunkt. Schon heute ist sie höher als alle vorherigen. Die Kliniken mit ihrer begrenzten Zahl an Intensivbetten stehen seit Wochen am Rande der Totalauslastung, teils auch schon weit darüber. Das Wort von der „Triage“, das man eigentlich nur aus schlimmsten Kriegserfahrungen kennt und eine menschliche wie ethische Grenzerfahrung umschreibt, macht wieder die Runde.

Alle fragen sich: Wie konnte es…

Nationaler Sicherheitsrat für Deutschland?

| von Kersten Lahl

Spätestens seit Ende der 1990er Jahre wird so beständig wie erfolglos die Frage aufgeworfen, ob wir in Deutschland einen übergreifenden Nationalen Sicherheitsrat brauchen. Ein zunehmend komplexes sicherheitspolitisches Umfeld, neue strategische Herausforderungen und das Erfordernis einer engeren Verflechtung aller Akteure lassen es seither geboten erscheinen, nach überzeugenden Antworten zu suchen. Im Zuge des nun beendeten Wahlkampfes, aber auch der schmerzvollen Erfahrungen in Afghanistan kam…

Mali, Wagner und wir

| von Kersten Lahl

Der Einsatz in Afghanistan ist Vergangenheit. Nun sind die Augen des europäischen militärischen Krisenmanagements noch mehr als bisher auf Mali gerichtet. Schon seit einiger Zeit gilt der Einsatz in diesem Land als der gefährlichste aller aktuellen Missionen.

Beim Blick auf dieses krisengeschüttelte Land in der Sahel-Zone eröffnen sich beunruhigende Parallelen zum Hindukusch. Auch hier versuchen Europa und die Vereinten Nationen mittels militärischer Ausbildungsunterstützung und weiteren…

Afghanistan der Taliban - Wie sollte Europa damit umgehen?

| von Kersten Lahl

Die entscheidenden Würfel in Afghanistan sind gefallen. Die Taliban dürfen sich als Sieger ausrufen, und sie bleiben wohl auf absehbare Zeit die dominierende Kraft. Der Westen mit seinen Interessen und Wertvorstellungen ist weitgehend raus. Auch die Vereinten Nationen zählen mit ihren Zielen internationalen Friedens und humanitären Fortschritts zu den Verlierern. Und andere internationale Akteure blicken teils mit Ängsten, teils mit Schadenfreude und teils auch mit freudigen eigenen Erwartungen…

Ursachen des Versagens am Hindukusch gesucht. Finden wir wenigstens dazu die Kraft?

| von Kersten Lahl

Das unfassbare Desaster in Afghanistan hat sich eigentlich seit Monaten angedeutet. Aber mit dieser rasanten Geschwindigkeit hat bis zuletzt niemand gerechnet. Bereits eine Woche nach dem Fall von Kunduz stehen die Taliban nun auch in Kabul und haben damit endgültig die Macht am Hindukusch wieder an sich gerissen. So wie das vor 9/11 der Fall war. Vielleicht sogar mit noch schlimmeren Folgen, wer weiß?

Im Augenblick ist wenig Zeit für die Suche nach Ursachen, Versäumnissen und Schuld. Aktuell…

Sollten wir Afghanistan den Taliban überlassen?

| von Kersten Lahl

Kunduz ist seit wenigen Tagen in der Hand der Taliban. Sie haben diese Provinzhauptstadt, die über mehr als ein halbes Jahrzehnt wie wohl kein anderer Ort in Afghanistan mit dem deutschen Beitrag am Hindukusch verbunden war, offenbar erobert. Zumindest sagen das die irritierenden Schlagzeilen, die uns weitab in Europa erreichen. Wer in der ersten Phase unseres Engagements die Stadt oder das erste deutsche Feldlager mittendrin dort erlebt hat, also den Anfang der Sicherheitslage damals mit dem…

Jahrhunderthochwasser?

| von Kersten Lahl

Die schrecklichen Bilder von Mitte Juli aus den Tälern der Ahr, der Erft, der Swist und weiterer eher kleiner Flüsse wühlen auf. Fast 200 Menschen haben durch das plötzliche Hochwasser ihr Leben verloren, unzählige weitere sehen sich ihrer beruflichen und persönlichen Existenz beraubt. Die Sachschäden betragen mehrere Milliarden Euro, so viel steht wohl jetzt schon fest. Man fragt sich: Wie konnte das geschehen? Und: Handelt es sich um eines der „Jahrhundertereignisse“ – die ja dem Begriff nach…

Waffen für die Ukraine?

| von Kersten Lahl

 Das Dilemma ist altbekannt: Wie unterstützt man am wirkungsvollsten Partner, die widerrechtlich von außen bedrängt werden? Mit Geld und Diplomatie – oder besser mit Ausbildung, Waffen oder gar Truppen? Im Falle der Nato-Verbündeten stellt sich diese Frage nicht. Da zählt kaum etwas mehr als „unbedingte Solidarität“. Das ist schließlich die DNA der transatlantischen Allianz. Bei anderen Ländern allerdings bietet es sich an, genauer hinzuschauen. Dort gelten andere Regeln. In Deutschland steht…

Flucht vor der Pandemie

| von Kersten Lahl

Seit mehr als 15 Monaten beherrscht ein Virus die täglichen Schlagzeilen – und verdrängt damit die Aufmerksamkeit auf so manch anderes. Im Fokus stehen zurecht die Corona-Opfer und die verzweifelten Versuche zur Eindämmung weiterer Krankheitsfälle, aber auch die Einschränkungen im öffentlichen Leben ganz unmittelbar. Der Blick der Politik und auch der meisten Menschen ist wie selten zuvor nach innen gerichtet.

Globale Aspekte der Pandemie werden hingegen in vielen Bereichen erst nach und nach…

GESELLSCHAFT FÜR SICHERHEITSPOLITIK E.V.

Vereinsregister-Nr. 5684
beim Amtsgericht Bonn

KONTAKT

Hauptstadtbüro:   
Ulrich-von-Hassell-Haus, Lennéstraße 11, 10785 Berlin
Tel.: +49 (0) 30 20648549
praesident©gsp-sipo.de

Geschäftsstelle Bonn:  
Wenzelgasse 42, 53111 Bonn
Tel.: +49 (0) 228 - 652556
Fax: +49 (0) 228 - 658093
geschaeftsstelle©gsp-sipo.de

GEMEINNÜTZIGKEIT

Die GSP e.V. ist  als gemeinnützig und spendenfähig anerkannt worden.
Finanzamt Bonn-Innenstadt
Steuer-Nr.:205/5764/0498, 17.10.2024

 

©  Gesellschaft für Sicherheitpolitik e.V.