Bündnisverteidigung nachrangig? Welch ein Irrtum!

Bündnisverteidigung nachrangig? Welch ein Irrtum!

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Wir erinnern uns gut: Zu Zeiten des Kalten Krieges bildeten Landes- und Bündnisverteidigung eine untrennbare Einheit. Niemand profitierte von diesem Grundsatz mehr als die damalige Bundesrepublik Deutschland. Und wir waren in unserer sicherheitspolitischen Frontlage existenziell darauf angewiesen, dass unsere Partner das ähnlich sahen. Solidarität und konsequent gemeinsames Denken und Handeln zahlten sich vor allem für uns voll aus. Mehr noch: Beides war Garant dafür, dass Europa von einer erneuten Katastrophe verschont blieb.

Merkwürdig, wie schnell diese und andere Lehren vergessen zu sein scheinen. Neo-nationalistische Strömungen (leider auch bei uns) sehen das heute nämlich diametral anders. Ihre offenkundige Ratio: „Im eigenen Interesse“ käme es darauf an, sich in einer unruhigen Welt zu allererst auf sich selbst zu konzentrieren und allen multilateralen Ansätzen skeptisch oder gar ablehnend gegenüber zu stehen. Alles Nationale zuerst. Trump lässt herzlich grüßen. Man kann auch sagen: Falsch verstandener Patriotismus.

Das sog. Strategiepapier „Streitkraft Bundeswehr“ der AfD-Fraktion bläst in dieses Horn, was bei rechtspopulistischen Parteien eigentlich keine Überraschung ist. Umso mehr lohnt es aber, da nachzuhaken. Die unhaltbare These der Befähigung zum „unerbittlichen Kampf“ und deren Verknüpfung mit einer „geistig-moralischen Reform der Truppe“ haben wir ja schon im letzten Blog-Beitrag aufgegriffen. Jetzt soll mal ein kurzer Blick auf die von der AfD unterstellte Aufgabenpriorität der Bundeswehr geworfen werden.

Man erkennt hier bei genauerem Hinsehen neben profanen Wahrheiten und subtilen Halbwahrheiten vor allem zwei Linien: Zum ersten eine strikte Ablehnung aller militärischer Beteiligung an internationalen Kriseneinsätzen. Die gehen uns Deutsche angeblich nichts an, weil unsere eigene Sicherheit ja (vermeintlich) nicht unmittelbar betroffen ist – was uns allenfalls eine Rolle als interessierter, aber passiver Zuschauer zuweist. Und zum zweiten die generelle Absage an alle multilateralen Denkschulen und Konstrukte, dies vor allem im europäischen Rahmen. Politische Überlegungen zu einer „EU-Armee“ dienen der AfD dabei als offenbar besonders skandalöses Schreckgespenst. Allenfalls die Nato wird nolens volens respektiert.

Konkret zieht das Papier (an dem nach diversen Gerüchten sogar ehemalige Generale mitgewirkt haben sollen – was man kaum glauben mag) ein paar steile Folgerungen, so unter anderem: Bündnisverteidigung sei nicht gleich Landesverteidigung, sondern es handle sich um jeweils eigenständige Aufträge. Auf die Landesverteidigung beziehe sich der Hauptauftrag der Bundeswehr, und alles andere (daher auch die Bündnisverteidigung, K.L.) sei „nachrangig“. Folglich sollten sich Organisation, Personal und Material am „Primat der Landesverteidigung“ ausrichten. Und auch in der Frage, was das denn im Klartext heißen mag, deutet das Papier eine Antwort an: So zum Beispiel den Aufbau eines Reservekorps (50.000 Mann), das dann auch „zum Grenzschutz im Frieden“ zu befähigen sei und die Polizei unterstütze. Oder die „Autorisierung“ (was immer das bedeuten mag) zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren. Oder die Aufstellung von „Alarmkräften für den Bevölkerungsschutz“. Wohlgemerkt: Alles vorrangig vor allem anderen.

Die Liste dieser und weiterer Forderungen lässt sich natürlich nicht zum Nulltarif umsetzen und geht zwangsläufig zulasten von Fähigkeiten etwa zur Bündnisverteidigung. Und auch so manch andere Ungereimtheit des Papiers fällt auf: Etwa, wie mit einem dann doch recht bescheidenen Aufwuchs der Streitkräfte auf 230.000 Mann unter gleichzeitiger Wiedereinführung der Wehrpflicht (samt der dafür nötigen personellen und materiellen Ausbildungsleistung plus Infrastruktur) die Schlagkraft der Truppe plötzlich auf höheres Niveau gebracht werden soll (etwa um den angeblichen „Verfassungsbruch“ zu heilen). Geschenkt. Immerhin: Solche Parolen kommen ungeachtet ihrer Substanz bei manchen Soldaten gut an. Und darum geht es den Autoren wohl in erster Linie.

Was gibt es zu all dem zu sagen? Über den verfassungsmäßig verankerten Grundsatz, Streitkräfte seien zur Verteidigung aufgestellt, lässt sich wohl kaum streiten. Da besteht keinerlei Dissens. Aber sehr wohl stellt sich die Frage, was denn den Kern einer „Verteidigung“ in Wirklichkeit ausmacht und wie der Schutz von territorialer Integrität und Souveränität in der gegebenen strategischen Lage und unter den eigenen realistischen Möglichkeiten am sinnvollsten zu gestalten ist. Fünf kurze und im Sinne einer offenen Diskussion bewusst schlanke Thesen zu den wichtigsten Aufgaben der Bundeswehr möchte ich hier zur Diskussion stellen:

  • These 1: Eine existenzielle Bedrohung Deutschlands durch einen großangelegten militärischen Angriff irgendeines Aggressors auf unser Territorium ist heute und auch in absehbarer Zukunft unrealistisch. Es bedeutet eine unausgewogene und ineffektive Investition, die Bundeswehr prioritär und damit zulasten anderer Aufgaben auf eine reine und national verengte Landesverteidigung i.e.S. auszurichten.

  • These 2: Militärische Beiträge Deutschlands zur internationalen Krisenbewältigung sind nicht per se auszuschließen. Sie leiten sich aus der Erkenntnis ab, dass in Zeiten der Globalisierung sich kein Land erfolgreich abschotten kann und Prävention die beste Sicherheitsvorsorge ist. Allerdings entsprechen die Ergebnisse von militärischen Kriseneinsätzen bisher nur selten den politischen Erwartungen, was zu strategischer Zurückhaltung mahnt.

  • These 3: Der wichtigste Schutz Deutschlands und seiner Bürger liegt nach wie vor in einer Strategie, die auf multilaterale Kooperation und dabei insbesondere auf die militärische Fähigkeit zur Bündnisverteidigung auf allen Stufen setzt. Dieser Schutz ist existenzieller Natur, gerade auch mit Blick auf das Risiko einer nuklearen Eskalation in Europa. Das zwingt uns, hierauf die knappen Ressourcen der Bundeswehr mit klarem Vorrang auszurichten. Damit gilt: Erfolgreiche Landes- und Bündnisverteidigung bleiben untrennbar.

  • These 4: Ein angemessener militärischer Beitrag Deutschlands zu einer effektiven Bündnisverteidigung und entsprechenden Lastenteilung entspricht nicht nur einer strategischen Ratio, sondern auch unserer politischen, historischen und moralischen Verantwortung als zentrale Macht im Herzen Europas.

  • These 5: Dieser Notwendigkeit und Verantwortung kommt Deutschland mit seinen militärischen Anstrengungen noch nicht hinreichend nach. Hier besteht dringender Handlungsbedarf, der sich in seiner Konkretisierung allerdings an dem Grundsatz einer ausgewogenen Balance mit Blick auf andere Instrumente vernetzter Sicherheit orientieren muss.

Die meisten dieser Thesen stehen durchaus in einem eklatanten Widerspruch zu Geist und Aussagen des AfD-Ansatzes. Ich bin daher auf Kommentare gespannt und lade dazu ein.

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Kommentare (1)

  • Matthias Schulze vom 23.11.2019 um 00:48
    Zum Bündnis hat die Verteidigungsministerin gestern auf dem CDU Parteitag eine vertretbare Haltung geäußert, die für mich kein Grund wäre, eine Koalition auszuschließen. Sobald aber burden sharing - insbesondere im Einsatz - bedeutet, ich muss mich mit der Zahl Getöteten auseinandersetzen ... da hört es für mich auf. Das kann nicht ernsthaft von Bündnispartnern gemeint sein.

    ...kurz fassen... keine Werbung ... aber dennoch in eigener Sache. Sorry.

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