Russland europäische Macht oder globale Bedrohung?

Elbe-Weser

Russland europäische Macht oder globale Bedrohung?

Mittwoch, 13.02.2019 - 19:00

Rainer Schwalb, BG a.D., ehemaliger Militärattaché in Moskau stellte in seinem Vortrag die geopolitischen Ambitionen Russlands dar und die Gründe für russisches Handeln.

Ein Artikel in der Bremervörder Zeitung.

Foto: Werner Hinrichs

Foto: Werner Hinrichs

Bremervörde. Vor dem Hintergrund des aktuellen Konfliktes zwischen den USA und Russland um den INF-Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme konnten die Bremervörder Sektion der Gesellschaft für Sicherheitspolitik (GSP) und die VHS Zeven als Kooperationspartner einen kompetenten Kenner russischer Positionen für einen Vortrag in der Ostestadt gewinnen. Der ehemalige, langjährige Verteidigungsattaché in Moskau, Brigadegeneral a. D. Rainer Schwalb, berichtete kürzlich in einem bis auf den letzten Platz besetzten EWE-Kundenzentrum anschaulich über seine Erfahrungen in Russland. Sieben Jahre lang hatte er Zugang zu hochrangigen Militärs, Politikern und Bürgern des Landes, das er, trotz gelegentlicher unangenehmer Situationen, relativ frei bereisen konnte. Dies schreibt er dem Umstand zu, dass „die Russen alles reziprok machen“. Russische Diplomaten können sich frei in Deutschland bewegen, also gilt das umgekehrt genau so, erklärte Schwalb. Die Amerikaner dagegen genießen diese Rechte nicht. „Russland ist ein Rätsel innerhalb eines Geheimnisses, umgeben von einem Mysterium“, dessen Schlüssel in dem Verständnis des nationalen Interesses liege, zitierte der Militärdiplomat den ehemaligen englischen Premierminister Winston Churchill. Was sind die nationalen Interessen Russlands?

Da ist zunächst einmal die äußere Sicherheit und innere Stabilität in einem Vielvölkerstaat, der sehr viel anfälliger für separatistische Bestrebungen sei als beispielsweise China. Dem solle eine vom Militär getragene „Patriotische Erziehung“ vorbeugen: „Wir schauen sonntags Tatort, in Russland sendet man zur Prime Time Panzer-Biathlon.“ Für die russische Mentalität sei außerdem internationaler Respekt von großer Bedeutung. Werde die angebotene Gastfreundschaft von politischen Vertretern aus dem Ausland aus welchen Gründen auch immer nicht angenommen, wie anlässlich der Fußball- Weltmeisterschaft geschehen, sei das in den Augen Russlands ein Affront. Als dritter Aspekt sei die wirtschaftliche Entwicklung anzuführen. Diese basiere noch immer größtenteils auf Russlands Energieressourcen und diene den beiden vorangegangenen Zielen. Russland sende nicht immer eindeutige Signale. „Für Putin ist nicht wichtig, was wahr ist, sondern, was wahr erscheint“, sagt Schwalb. So seien die Militärattachés eingeladen worden, sich persönlich ein Bild an der Grenze zur Ukraine zu machen. Die Botschaft: „Die Ukraine schießt auf uns!“ Anschließend reiste der General mehrmals alleine in die Region und machte dabei Beobachtungen, die er im Bild festhielt und die die russische Seite in Erklärungsnot gebracht hätten. Auf der anderen Seite müsse sich auch der Westen die Frage stellen, ob seine Entscheidungen immer die richtigen Botschaften transportiere. Wenn eine eingebürgerte Amerikanerin Finanzministerin in der Ukraine wird, werde damit die Glaubwürdigkeit hinsichtlich eines Nichteinmischungsversprechens in innerstaatliche Angelegenheiten auf eine harte Probe gestellt. Der Donbas solle bei der Ukraine bleiben, ist Schwalb überzeugt, aber Russland wolle eine Einflussnahme des Westens auf die Ex-Sowjetrepublik unbedingt verhindern und setze dabei unkonventionelle Mittel ein, auch um das Minsker Abkommen nicht zu gefährden. Geschuldet sei diese Strategie der russischen Interpretation der Vergangenheit. Der Sturz Gaddafis beispielsweise habe die Russen in der Auffassung bestätigt, dass Verträge nichts wert seien, und überhaupt messe der Westen mit zweierlei Maß. Was einst Berlin für die Westmächte war, ist nun Kaliningrad für die Russen: „von Feindesland umgeben“. Russland ist weltweit der zweitgrößte Waffenexporteur. Dennoch mangele es Russland an Flugzeugträgern. Der einzige Flugzeugträger sei ein qualmender Schlachtkreuzer mit Landebahn, der bei einer Übung gleich mehrere Kampfjets verlor, als sie ins Wasser stürzten. „Wer keine Flugzeugträger hat, hat keine globalen Ambitionen“, stellt Schwalb nüchtern fest. Natürlich habe Russland geopolitische Interessen, diese liegen in Asien, im arabisch-muslimischen Raum, aber allen voran in Europa. Russland wolle dazugehören – „In Moskau gibt es mehr italienische oder französische Restaurant als russische Küche“, veranschaulicht Schwalb – gleichzeitig aber auf Distanz bleiben. Wie soll der Westen und vor allem Deutschland mit Russland umgehen?

Schwalb rät zu mehr Gelassenheit. Deutschland genieße in Russland ein hohes Ansehen. Für ihn liegt der Schlüssel zu einer besseren Beziehung in der Lösung der Ukraine-Frage. Zuvor müsse aber geklärt werden, wie diese Beziehungen überhaupt aussehen sollen. Sicherheit durch Abschreckung und eine Eskalationsspirale oder Sicherheit durch Kooperation seien die Optionen. Schwalb, plädierte für Letztere. Im Hinblick auf den INF-Vertrag und die Mittelstreckenraketen erinnert der General daran, dass diese Vereinbarung nur die landgestützten Systeme beträfe. Russland könne uns schon immer aus der Luft und von See erreichen, stellt Schwalb die Relationen klar und legt dem westlichen Bündnis nahe, in Ruhe die Entwicklung abzuwarten. „Wir werden keine Mittelstreckenraketen stationieren“, ist Schwalb sicher und verweist auf Konrad Adenauer, der vor über 60 Jahren zusammen gefasst habe, worauf es ankomme: Russland klarmachen, dass der Westen weder eine Gefahr sei, noch sich selbst zerfleische.