Neues Nachschlagewerk zur Sicherheitspolitik Rezension von Peter E. Uhde
Von A wie Abrüstung und Rüstungskontrolle (S. 9) bis Z wie Zweitschlagfähigkeit (S. 661) sind hunderte Stichworte in der Neuauflage zu finden. Vor neun Jahre war die letzte Ausgabe dieses einzigen sicherheitspolitischen Handbuchs auf dem deutschen Buchmarkt erschienen. Das letzte Jahrzehnt brachte in der nationalen und internationalen Sicherheitspolitik sowie angrenzenden Politikfeldern einigen Wandel mit sich, dadurch haben sich neue Begriffe gebildet. Das kann man am Stichwort Afghanistan (S. 20) ablesen. Der Grundsatzartikel Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (S. 51) wurde überarbeitet und ergänzt. Er schließt mit dem Hinweis auf Unzulänglichkeiten der staatlichen Vorsorge in der Flutkatastrophe 2021.
Die 40 als Grundsatzartikel gekennzeichneten Stichworte sind grau unterlegt. Der Lesbarkeit, vor allem bei Beleuchtung, dient diese drucktechnische Maßnahme nicht. Hyperschallflugkörper (S. 47) wurde neu aufgenommen, ist aber nicht hervorgehoben. Für den im Inhaltsverzeichnis aufgeführten Grundsatzartikel Parlamentsheer und Parlamentsarmee existiert kein Beitrag. Es gibt nur die Stichworte Parlamentsarmee (S. 408) und Parlamentsheer (S. 409).
Beim Buchstaben C findet man Corona-Pandemie als Grundsatzartikel, wobei sicher ist, dass bei einer weiteren Neuauflage des Wörterbuchs eine Bearbeitung notwendig sein wird, in der die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ vorkommt. Umfangreicher aufgenommen sind Stichworte zu Cyber (S. 112) u.a. mit einem ausführlicheren Beitrag zu Cyber-Sicherheit (S. 115). Länger als im letzten Werk mit nur vier Zeilen, sind die neuen Erklärungen zum Stichwort Drohne (S. 139), mit jetzt 27 Zeilen. Beim Buchstaben E werden die Einsätze der Bundeswehr (S. 142) und die Europäische Union (S. 169) in Grundsatzartikeln behandelt. Die Gesellschaft für Sicherheitspolitik (S.227) ist auch zu finden. Wer sich über die Iranische Nuklearfrage (S. 266), den Kaschmirkonflikt (S. 283), Klima und Sicherheit (S. 288), den Nahen und Mittleren Osten (S. 305), Multinationalität (S. 334), den ungelösten Nahost-Konflikt (S. 363), die NATO (S. 375) und deren zukünftigen Anpassungsprozess (S. 384) informieren will, findet bis zu NATO-Zweck (S. 462) genügend Erklärungen. Ein sicherheits- und wirtschaftspolitischer Sachverhalt ist unter dem Stichwort Nord Stream 2 (S. 470) aufgeführt. Ihren gebührenden Platz haben die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (S. 475) gefunden. Nur drei Stichworte gibt es unter Q: Qualifizierte Mehrheit, Quad und Quorum (S. 509). Resilienz (S. 524), ein inflationär verwendeter Ausdruck, darf natürlich nicht fehlen. Nach dem Begriff Sicherheit (S. 541) folgen viele in unterschiedlichen Zusammensetzungen. Die Überschrift über dem Grundsatzartikel dazu lautet Sicherheitspolitik Deutschlands (S. 542). Schauen wir, wie die drei Herausgeber Ernst-Christoph Meier, Karl-Heinz Kamp und Reiner Meyer zum Felde das Stichwort Strategie (S. 561) definieren. Im Grundsatzartikel Vereinte Nationen (S. 601) wäre der über VN-Friedenstruppen (S.615) gut aufgehoben gewesen. Sucht jemand nach einer Beschreibung Wagner-Gruppe (S. 632) wird er auch fündig. Für das Stichwort Weißbuch muss man die Seite 642 aufschlagen. Damit ist man fast schon am Ende des Sachbuches angekommen. Im Anhang sind u.a. noch ergänzende Texte zu Vereinten Nationen, NATO oder EU zu finden. Das Abkürzungsverzeichnis S. 714 und eine kurze Vita der drei Autoren schließt das 736 Seiten umfassende Wörterbuch zur Sicherheitspolitik.
Das Wörterbuch will „seinem Anspruch gerecht werden dem sicherheitspolitisch Interessierten wie dem sicherheitspolitisch Involvierten eine verlässliche und aktuelle Quelle der Information und der Meinungsbildung zu sein“. Diese Absicht ist ihnen gelungen.
Wörterbuch zur Sicherheitspolitik. Deutschland in einem veränderten internationalen Umfeld. 9. Auflage/2021, Mittler Verlag, ISBN 978-3-7822-1384-4, 29,95 Euro.
Stratos eine neue militärwissenschaftliche Zeitschrift Rezension von Peter E. Uhde
Die Schweizer Armee gibt mit dem Namen stratos eine neue militärwissenschaftlichen Zeitschrift heraus. Zweimal im Jahr soll sie als Printmedium erscheinen. In Deutschland wird man auf der Suche nach einer militärwissenschaftlichen Zeitschrift nicht fündig. Man muss schon nach Österreich schauen, um dort die Österreichische Militärische Zeitschrift (ÖMZ) zu finden. Aber zurück zu „Heer“ oder „Armee“ wie das griechische Wort stratos übersetzt werden kann. Im Editorial des Chefs der Armee an seine „Geschätzte Leserin, geschätzter Leser“ begründet Korpskommandant Thomas Süssli die Neuerscheinung. In ihr werden Beiträge aus den Bereichen Militärwissenschaften, Sicherheit, Sicherheitspolitik, Expertisen und Praxisberichte erscheinen. Stratos soll eine Diskussionsplattform über die Schweizer Armee und auch über die Landesgrenze hinaus werden. „Stallorder“ und Denkverbote wird es nicht geben, die redaktionelle Unabhängigkeit wird gewahrt werden. stratos will der Politik nicht vorgreifen aber neue Ansätze im Vorfeld von Entscheidungen beleuchten. Die globalen Veränderungen treiben aus Sicht des Chefs der Armee vier Kräfte entscheidend an. Das sind die Urbanisierung, die Demografie, der Klimawandel und die vierte industrielle Revolution. Hier greift er zum Akronym VUCA, welches das US War College für die Beschreibung dieser Welt benutzt, nämlich Volatility (Volatilität), Uncertainty (Unsicherheit), Complexity (Komplexität) und Ambiguity (Ambiguität oder Mehrdeutigkeit). Diese Herausforderungen betreffen uns alle und wir müssen versuchen zu verstehen, wie sich diese VUCA Herausforderungen auf uns auswirken. Stratos soll dazu mit seinen Beiträgen in der Printausgabe aber auch auf der Online-Plattform, www.armee.ch/stratos dazu beitragen.
Zum Inhalt und zu den Erklärungen der Redaktion wie sie beabsichtigt thematisch die Ziele umzusetzen. Dafür hat sie vier Rubriken festgelegt. Dies sind: Forschung, Expertise, Praxis und Forum. In der ersten Ausgabe befasst sich Roland Popp, Militärakademie der ETH Zürich, mit „Beherrschbare Ungewissheit? Grenzen und Möglichkeiten sicherheitspolitischer Bedrohungs- und Risikoanalysen in einer sich neu ordnenden Welt“. Er geht auf die EU-Bedrohungsanalyse vom November 2020 ein, die aufgrund der Covod-19-Pandemie kaum Beachtung fand. Sie wurde als nachrichtendienstliches Produkt und nicht als politisches Dokument konzipiert. Über das als geheim eingestufte Endprodukt ist wenig bekannt. Vom „360-Grad-Blick“ im Bedrohungsumfeld geht er über zur Risikodefinition und meint, Risiko ist die „Wahrscheinlichkeit eines durch gegenwärtiges Handeln beeinflussbaren zukünftigen Schaden“. Der Wegfall konkreter Bedrohung durch die Militärmacht der Sowjetunion erbrachte eine andere Wahrnehmung sicherheitspolitischer Fragen. Ein kaum noch zu „überschauendes Potpourri von Risiken und Herausforderungen“ schloss sich an. Das daraus entstehende Gefahrenpotential, wie die Wahrscheinlichkeit des Eintritts, einzuschätzen ist gering. Das bedingt verstärkt Anstrengungen nach Resilienz. Gegen Ende eines Beitrages fragt der Autor, wie die Bedrohungsanalyse der Zukunft aussehen sollte und wie ließe sich eine solche „sinnvoll und anwendungsorientiert konzipieren“? Kurz gesagt, Bedrohungsanalysen müssen Ausgangspunkt staatlicher Strategie sein. Das Diktum von Dwight Eisenhower: „Pläne sind wertlos, aber Planung ist unverzichtbar“, trifft hier auch zu. Sicherheitspolitik beruht auf einer umfassenden und verlässlichen Strategie.
Die beiden Artikel in der Rubrik Expertise behandeln einmal die Schweizer Armee und zum anderen richtet sich der Blick auf Österreich. In der Rubrik Praxis kommen im Interview die Chefin Sicherheitspolitik des VBS Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) der Schweizer Bundesregierung, Botschafterin Pälvi Pulli und ihr Stellvertreter Patrick Gansner zu Wort. Bleibt noch Raum für die Rubrik Forum. Mit drei Beiträgen „Spitzentechnologie zu niedrigen Kosten“, „Den Bedrohungen von heute mit einer umfassenden Sicherheitspolitik begegnen“ und „Je erodierter die Geopolitik, desto wichtiger die Neutralität“. Einige Anmerkungen zu diesem Beitrag. Mit der Aussage, dass die aktuelle Geopolitik kompliziert ist, sagen die Verfasser, Thierry Burkart und Henrique Schneider, dem Leser eigentlich nichts Neues. Sie betrachten das aber aus Sicht ihrer neutralen Heimat Schweiz und da spielen andere Parameter eine Rolle als z.B. das für Deutschland als Mitglied der Atlantischen Allianz und der Europäischen Union gelten würde. Als Hegemonialakteure sehen die Verfasser die Vereinigten Staaten von Amerika, die Europäische Union, Russland und China. Als Spezialfall des strategischen Umfelds wird die Türkei genannt. Als Megatrends in der Zeitspanne bis 2030 werden vier genannt. Das sind die zunehmende Politisierung des Alltags, die zunehmende Identitätssuchen und -verstärkungen, zunehmende Internationalisierung und Supranationalisierung und zunehmende Strukturrebellen. Das alles hat Konsequenzen für die Sicherheitspolitik, sie sollte darauf agiler reagieren. Als Elemente der Agilität werden angeführt: Aufbau von Infrastrukturen und Kapazitäten, Einbezug der Sicherheitspolitik in die Außen- und Wirtschaftspolitik, Sicherheitspolitische Prioritäten und Ziele definieren, Multioperable Technologie und Neutralität. Zum Schluss der knapp 100 Seiten umfassenden Zeitschrift „Zum Bedrohungsbild für die Schweizer Armee“ fasst Christoph Ebnöther, die Inhalte der Beiträge zusammen. Schwerpunktmäßig bezieht er sich dabei auf Aussagen und Feststellungen zur Lage der schweizerischen Sicherheitspolitik. Allgemeingültigkeit hat seine Aussage „eine besondere Problematik zeigt sich auch bei der Vermittlung des erarbeitenden Bedrohungs-, Gefahren- und Risikobildes für ein breites Publikum“. Und noch eine Feststellung kann unterstrichen werden. „Die Diskussionen um die Einschätzung der Bedrohungen, Gefahren und Risiken bzw. um die ´richtigen` Konsequenzen stoßen dort an Grenzen, wo sich weltanschauliche oder gar ideologisch geprägte Positionen unverrückbar gegenüberstehen und die eigene Haltung nicht kritisch hinterfragt wird“. Man kann auf die nächste Ausgabe gespannt sein.
Der Rezensent hat ein zweites Exemplar. Er stellt es gerne einem Interessenten zur Verfügung. Schreiben Sie eine E-Mail an: geschäftsstelle©gsp-sipo.de, die es versendet.