Deutschlands Außen- und Sicherheitspolitik. Eine Einführung von Sven Bernhard Gareis.

Deutschlands Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik – Eine Einführung Rezension von Peter E. Uhde

Im Vorwort zur 3. Auflage nennt Sven Bernard Gareis sein Werk „Lehrbuch“. In der 1. Auflage 2005 sprach er noch von „Studienbuch“ für Studierende der Politik- und Sozialwissenschaften. Die geo- und sicherheitspolitischen Veränderungen rund um den Globus in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik führen zu einer „völlig überarbeitenden Version“, heißt es jetzt im Vorwort. Gegliedert ist das Buch in drei Teile. A enthält in fünf Kapiteln die Grundlagen der Thematik.  B hat sechs Kapitel mit Handlungsfeldern und im Kapitel C Perspektiven, fasst er in einigen Thesen zusammen, was der Politik für die Zukunft geraten wird. Die Kapitel enden jeweils mit Hinweisen auf empfohlene Literatur und Links.

Der Autor beginnt mit der Klärung und systematischen Einordnung der drei Begriffe Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Die Trias dieser Politikfelder wird unterschiedlich definiert. Mit Außenpolitik wird das umfassende Handlungsfeld eines Staates umschrieben.  Ihr Charakter ist ein „Interaktionsprozess, in dem ein politisches System (Staat) seine grundlegenden Ziele und Werte in Konkurrenz zu denen anderer Systeme zu realisieren versucht“. Um außenpolitische Ziele durchzusetzen benötigen Staaten Mittel, heute oft als hard power umschrieben. In Demokratien ist Außenpolitik der politischen Kontrolle der Verfassungsorgane und der gesellschaftlichen Legitimation unterworfen. Der Begriff der „Strategischen Kultur“ wird gern dafür verwendet. Der Bedeutungsverlust der hergebrachten klassischen Diplomatie wird durch neue Politikformen, z.B. ausufernde Gipfeldiplomatie, ersetzt.

Eine klare Definition von Sicherheitspolitik ist in der Wissenschaft kaum zu finden. Der einzelne Bürger bezieht Sicherheit mehr auf sein persönliches Umfeld, seine Freiheit und seine Rechte. „Sicherheitspolitik ist daher ein dynamisches Handlungsfeld, das permanenter öffentlicher Aufmerksamkeit, Debatte und Legitimation bedarf“, meint der Autor. In diesem Teil geht er auf die Zeit des Kalten Krieges und die Blockkonfrontation Ost-West ein. Er erklärt neue Begriffe wie „erweiterter Sicherheitsbegriff“ oder „Vernetzte Sicherheit“, auch „Resilienzbildung“. Hiermit ist die Fähigkeit eines Staates und seiner Gesellschaft gemeint, bei Scheitern präventiver Maßnahmen „die Folgen eines gravierenden Ereignisses zu absorbieren, die Schäden zu begrenzen und so rasch wie möglich zur größtmöglichen Normalität und staatlichen Handlungsfähigkeit zurückzukehren“.

Deutschlands Sicherheits- und Verteidigungspolitik erfuhr nach der Wiedervereinigung 1990 einen grundlegenden Wandel. Die Bundeswehr wurde zur „Armee im Einsatz“. Sie war in den „Internationalen Beziehungen“ mit zum Akteur geworden. In diesen Verflechtungen spielen Staaten und internationale Organisationen, wie die Vereinten Nationen oder Koalitionen eine Rolle. Um die Beschaffenheit dieser Systembeziehungen zu verdeutlichen beschreibt Gareis vier politische Theorieansätze: Realismus, Idealismus, Institutionalismus und Konstruktivismus. Diese werden nach ihren Strukturmerkmalen erklärt. Dem Autor ist aber, trotz aller Theorieansätze klar, dass letztlich keine Theorie vollständig staatliches Verhalten erfassen kann.

Im nächsten Lehrbuchkapitel werden der Entscheidungs- und Handlungsapparat in den erwähnten Politikfeldern beschrieben. Nachgegangen wird den Fragen, wer sind die Akteure, welche Kompetenzen haben sie oder wie verlaufen die Verfahren. Zuständig- und Verantwortlichkeiten der Bundeskanzlerin, des Kabinetts, der Ministerien, die Befugnisse des Parlaments, der Länder, des Bundespräsidenten und des Bundesverfassungsgerichts werden angesprochen. Trotz aller Verbesserungen bei Strukturen und Verfahrensabläufen vermisst der Autor „eine umfassende und konsistente Konzeption für die Außen- und Sicherheitspolitik“. Er weist in diesem Zusammenhang auch auf Vorschläge zur Installierung eines „Nationalen Sicherheitsrates“ hin. Auch Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte das im November 2019 getan. Als Vorbild werden immer die USA angeführt, die eine solche Institution haben. Insgesamt erscheint dem Oberst der Reserve der „Entscheidungs- und Handlungsapparat der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik auch weiterhin eher durch die Orientierung an überbrachten Zuständigkeiten orientiert und weniger an den Erfordernissen einer komplexen Welt ohne festgefügte Ordnung“.

In den nächsten beiden Kapiteln werden die Außen- und Sicherheitspolitik bis 1990 und anschließend nach der Wiedervereinigung betrachtet. Letztlich nimmt der Verfasser eine Kursbestimmung „in einer turbulenten Welt“ vor. Hier geht es hauptsächlich darum, welche Interessen ein Staat hat, wie werden sie definiert, begründet und womöglich durchgesetzt. Deutschland hat sich bei der Definition seiner Staatsinteressen eigentlich immer schwergetan. „Eine systematische Herleitung deutscher Interessen sowie eine gesellschaftliche Verständigung über dieselben ist jedoch weitgehend ausgeblieben“, meint auch der Autor. Die Sicherheitsinteressen Deutschlands sind im Weißbuch 2016 aufgeführt. Auch auf die „Leitlinien der Bundesregierung“ von 2017 zu Krisenprävention, Konfliktbewältigung und Friedensförderungen geht er ein. Auch für Deutschlands Partner in der Europäischen Union oder der Atlantischen Allianz ist es wichtig zu wissen, wo die deutschen nationalen außen- und sicherheitspolitischen Interessen liegen. Aber auch das EU- oder NATO-Mitglied Deutschland möchte wissen, wo die nationalen Interessen seiner Partner in den multinationalen Organisationen liegen.

Im zweiten Buchteil betrachtet Gareis Deutschlands Verhalten in der EU, in der NATO und in den Vereinten Nationen. Von den ersten Schritten der jungen Bundesrepublik nach ihrer Gründung 1949 unter Bundeskanzler Konrad Adenauer bis zur Amtszeit von Angela Merkel spannt er den Bogen. Intensiv geht er auf das Verhältnis von Deutschland zu Frankreich ein. Die Entwicklung hin zur EU über die verschiedenen Verträge von Maastricht, kurz nach der Wiedervereinigung, bis zum Vertrag von Lissabon 2009 werden abgehandelt. Die NATO, gegründet als Verteidigungsallianz, ist und bleibt das Bezugssystem deutscher Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Seit der Annexion der Krim durch Russland 2014 steht nun für die Allianz wieder die Landes- und Bündnisverteidigung im Vordergrund. Die NATO-Osterweiterung, NATO-Missionen aber auch Konflikte der Partner werden angesprochen. Sie bleibt aber, zusammen mit der EU, der Stabilitätsanker deutscher Sicherheitspolitik. Inwieweit der europäische Pfeiler gestärkt werden muss und kann, ist letztlich eine Frage, die nicht von Deutschland alleine abhängt. Erinnert sei hier an die Aussage von Bundeskanzler Gerhard Schröder 2002: „Wir haben nicht zuviel USA, sondern zu wenig Europa“.

Ein Blick auf das Verhältnis Deutschlands zu den Vereinten Nationen darf nicht fehlen. Nach der Wiedervereinigung war Deutschland in der Diskussion, bei einer institutionellen Erneuerung der VN, für einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat. Die Erneuerung der VN lässt aber weiter auf sich warten. Die Beteiligung an Friedensmissionen der VN ist fast schon eine Selbstverständlichkeit. Zum 75. Jahrestag der Unterzeichnung der Charta der VN am 26. Juni 2020 zog Außenminister Heiko Maas eine kritische Bilanz der Weltorganisation.

Dem besonderen Verhältnis zu China, der Autor spricht von strategischer Partnerschaft mit Widersprüchen, widmet er ein eigenes Kapitel. Es ist eine lange und ereignisreiche Geschichte die beide Staaten miteinander verbindet. Im Laufe der letzten Jahre sind die Handelsbeziehungen immer stärker geworden. Politisch treffen allerdings zwei divergierende Staatssysteme aufeinander. Konsensbasierte Lösungen sieht er nur im Zusammenwirken mit der EU.

Der Zusammenhang zwischen Konfliktprävention und Entwicklungspolitik wird im nächsten Kapitel beschrieben. Zahlreiche Gewaltkonflikte in und zwischen Staaten gab es in den letzten Jahren immer wieder. Die Gründe und Ursachen können rein politische, ökonomische, ethnische oder auch religiöse Gründe gewesen sein. Ganze Staaten sind daran zerfallen und unregierbar geworden. Im Mittelpunkt von Krisen- und Konfliktprävention ging es den handelnden zivilgesellschaftlichen Akteuren, Staaten oder internationalen Organisationen darum, durch friedliche Maßnahmen Gewaltexzesse oder Kriege zu verhindern. Die deutschen Kapazitäten sind dafür in den letzten Jahren immer wieder verstärkt worden. Entwicklungshilfe und -zusammenarbeit mit internationalen Partnern reicht alleine aber nicht aus, es fehlen klare internationale und nationale Präventionsstrategien.     

Bevor das Buch mit dem Kapitel Perspektiven endet, geht Gareis ausführlich auf die Streitkräfte als Instrument der Außenpolitik ein. Hier kommt es zu Wiederholungen von schon vorher behandelten Aspekten. Die Bundeswehr hat gerade ihren längsten Einsatz in Afghanistan beendet. „Zu einem normalen Instrument staatlicher Macht sind die Auslandseinsätze der Bundeswehr trotz ihrer großen Zahl bislang jedoch nicht geworden. In Deutschlands strategischer Kultur sind zivilmachtliche Vorstellungen tief verwurzelt, die mit großer Skepsis gegenüber militärischen Problemlösungsansätzen jenseits der Landes- und Bündnisverteidigung einhergehen“, stellt der Autor fest. Was die Bundeswehr in den letzten Jahren alles über sich ergehen lassen musste, ist hier gut zusammengefasst. Die unterschiedlichsten Begriffe wurden dafür verwendet. Reform, Transformation, Neuausrichtung oder andere Formulierungen brachten der Truppe keine Ruhe.

Kommen wir zum Schlusskapitel „Perspektiven deutscher Außen- und Sicherheitspolitik in einer unruhigen Welt.“ Folgende Forderungen sind hier zusammengefasst: Stärkung der Europäischen Union, Reparatur der transatlantischen Beziehungen und innenpolitische Entscheidungen und Weichenstellungen. Für die neue politische Führung ab Herbst gibt es genug zu tun. Die Prognosen des Autors fallen bescheiden aus. Die Nutzer sollen sich ja ein eigenes Bild machen. In der Gesamtbeurteilung hat Sven Bernhard Gareis ein Lehrbuch vorgelegt, dass inhaltlich und verständlich Deutschlands Außen- und Sicherheitspolitik erläutert.

Deutschlands Außen- und Sicherheitspolitik. Eine Einführung von Sven Bernhard Gareis, Verlag Barbara Budrich, 3. Auflage, 2021, ISBN 978-3-8252-4982-3; 29,90 Euro.

 

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