Sicherheitspolitik verstehen. Handlungsfelder, Kontroversen und Lösungsansätze

Plädoyer für eine kompetente und resiliente deutsche Sicherheitspolitik Rezension von Peter E. Uhde

Lahl, Kersten; Varwick, Johannes: (2022, 3. Aufl.): Sicherheitspolitik verstehen. Handlungsfelder, Kontroversen und Lösungsansätze. Wochenschau Verlag, Frankfurt/Main, ISBN 978-3-7344-1490-9, 18,90 Euro.

Die Beschäftigung mit Themen der Sicherheitspolitik gehörte nicht zu den Lieblingstätigkeiten politischer Eliten in Deutschland. Auch von der Allgemeinheit der Bundesbürger ist das nicht bekannt. Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar und dem andauernden Kampfgeschehen auf ukrainischem Boden ist das anders. Beigetragen hat dazu die „Zeitenwende“- Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz am Sonntag, dem 27. Februar. In diese Gemengelage hinein ist die 3. Auflage des Sachbuches „Sicherheitspolitik verstehen. Handlungsfelder, Kontroversen und Lösungsansätze“ erschienen.  Die beiden Autoren sind anerkannte Fachleute auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik. Kersten Lahl, ehemaliger Generalleutnant der Bundeswehr, war nach seiner Dienst 2008 bis 2011 Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) in Berlin. Das ist in Deutschland die höchste ressortübergreifende Bildungsinstitution zur Sicherheitspolitik. Als einer der Vizepräsidenten der Gesellschaft für Sicherheitspolitik e.V. (GSP) ist er ehrenamtlich engagiert. Johannes Varwick ist Politikwissenschaftler, Lehrstuhlinhaber Internationale Beziehungen und europäische Politik an der Universität Halle-Wittenberg. Im Zusammenhang mit dem Krieg ist er ein gesuchter Gesprächspartner in den Medien.

Kernforderungen an die Sicherheitspolitik

Kurz zusammengefasst sind das für die Autoren folgende Punkte: ein vernetzter zivil und militärischer Ansatz; des weiteren Prävention und Resilienz gleichermaßen gerecht zu werden; dem `Sicherheitsdilemma` zu begegnen, d.h. die Perspektiven des Gegenübers wahrzunehmen; der deutschen Verantwortung in Europa zu entsprechen; die Verankerung in den VN, der NATO und der EU zu festigen und letztlich die „sicherheitspolitische Dialogkultur, Kompetenz und Strategiefähigkeit voranzutreiben“.  Um die   Bürger mit der Komplexität der Sicherheitspolitik vertraut zu machen bedarf es eines breiten und aufgeklärten Diskurses. Hier müssen alle sicherheitspolitischen Fragen mit ihren geopolitischen Hintergründen, den nicht immer leicht durchschaubaren Zusammenhängen, sich daraus ergebende Perspektiven und abzeichnende Risiken offen und ideologiefrei diskutiert werden. Die Autoren versuchen dem Leser dieses in sechs Kapiteln darzulegen. Sie beginnen mit Erklärungen was konzeptionelle Grundideen moderner Sicherheitsvorsorge sind. Sicherheitspolitik umfasst in ihrem Sinn die Gesamtheit der politischen Ziele, Strategien und Instrumente. Die Fragen, was ist eigentlich Sicherheit, was ist Unsicherheit und wie kann Sicherheitsvorsorge umgesetzt werden, ziehen sich durch das erste Kapitel. Mit einem didaktischen Kniff wollen die Autoren den Leser zur weiteren Beschäftigung mit ihren Feststellungen anregen. Daher endet jedes Unterkapitel mit einigen Diskussionsfragen. Wo liegen in der heutigen Praxis zentrale Zielkonflikte zwischen Freiheit und Sicherheit? In welche Richtung wird sich der internationale Sicherheitsbegriff verändern? Lässt sich Sicherheit messen, in Abwägung mit anderen öffentlichen Gütern?

Fehlende sicherheitspolitische Generaldebatte im Bundestag

Folgend wird nach der strategisch richtigen Balance gesucht. Dabei wird auf die finanziellen Mittel verwiesen, die z. B. seit Beginn des Afghanistankrieges 2001 aufgewendet wurden.  Zwischen zivilen und militärischen Engagements im Land am Hindukusch, in dem die Militärausgaben gegenüber den Ausgaben für zivile Entwicklung überwogen, hat nicht zum Frieden in Afghanistan beigetragen. Das zweite Kapitel befasst sich mit dem heutigen sicherheitspolitischen Kontext. Der Unschärfe zwischen innerer und äußerer Sicherheit ist ein eigenes Unterkapitel gewidmet.  Mit einer Betrachtung über das Verhältnis von öffentlicher Meinung und Sicherheitspolitik endet der zweite Teil. Beanstandet wird hier das Fehlen einer regelmäßigen Sicherheitsdebatte im Deutschen Bundestag. Diese immer wieder geforderte Aussprache über Ziele und nationale deutsche Interessen könnte auch Klarheit bringen, inwieweit die jetzige sicherheitspolitische Rolle Deutschlands von der Gesellschaft akzeptiert oder negiert wird. Im dritten Kapitel befassen sich die Autoren mit den „Treiber der Unsicherheit“. Hier gibt es zur vorhergehenden Auflage Ergänzungen. Wurden darin Bevölkerungswachstum, Armut und Klimawandel noch gemeinsam abgehandelt, wurde die Problematik Hunger aufgenommen. Auch Klimawandel bekommt ein eigenes Unterkapitel, ebenso Künstliche Intelligenz und autonome Waffensysteme, die Treiber der Unsicherheit sind. Von fragiler Staatlichkeit über Auseinandersetzungen um Ressourcen, den grenzüberschreitenden Terrorismus, Flucht- und Migrationsbewegungen, Pandemien und Biosicherheit, Cyberraum und Cybersicherheit, Auf- und Abrüstung und die Gefahren der Nukleartechnologie wird in komprimierter Form eingegangen. Nationale und internationale Problemfelder, Krisen, Konflikte bis hin zu militärischen Auseinandersetzungen und Kriegen werden mit Ursachen und Konsequenzen behandelt.

Prävention und Resilienz sind immer gefordert

Wie diesen „Treibern der Unsicherheit“ zu begegnen ist, wird im Kapitel Strategische Handlungsfelder beschrieben. Die klassische Rolle der Diplomatie steht an vorderster Front. Wenn sie nicht mehr weiterkommt, wird zu Sanktionen gegriffen, bevor das Militärs das Ende bereiten soll. Dass dieses nicht immer funktioniert, ist bekannt. Das Versagen des internationalen Krisenmanagements der Vereinten Nationen               wird erläutert. Im Unterkapitel „Rüstungsexportpolitik und Ertüchtigung“ lautet die letzte Diskussionsfrage: „Ist das Instrument der ´Ertüchtigungsinitiative` mehr als nur der Versuch, sich möglichst weitgehend aus einer direkten Beteiligung zu Konflikten rauszuhalten? Im Zusammenhang mit der Lieferung von Waffen in die Ukraine, ein aktuelles Diskussionsthema. In Prävention und Resilienz sehen die Autoren die Verhinderung oder Abschwächung eines gewaltsamen Konfliktes. Resilienz, erst in letzter Zeit im sicherheitspolitischen Diskurs häufig gebraucht, bezieht sich auf staatliche und gesellschaftliche Widerstands- und Regenerationsfähigkeit gegen Katastrophen, Krisen und Konflikte.

Die internationalen Organisationen bewirken nicht viel

Wer sind die Akteure in der Sicherheitspolitik? An erster Stelle sollten es die Vereinten Nationen sein (VN), danach ist die Europäische Union (EU) zu nennen. Sind die VN nun Akteur oder marginalisiert und die EU-Zwerg oder Mitspieler von Gewicht? Die Rolle der sicherheitspolitischen Akteure wie der NATO, den USA, Russland und Chinas runden dieses Kapitel ab.  Worin besteht der sicherheitspolitische Handlungsbedarf für Deutschland? Mit dieser Frage und den Ausführungen dazu endet das Buch. Sie plädieren für Engagement, vorrangig ziviles, in gut begründeten Fällen aber auch für ein militärisches. Primäre Aufgabe deutscher Sicherheitspolitik ist aber Schutz der territorialen Integrität und nationale Selbstbestimmung. Sicherheitspolitik heute und morgen, bedeutet immer Handeln ins Ungewisse. Daher fordern sie eine intensive politische und gesellschaftliche Diskussion über Bedingungen, Reichweiten und Grenzen deutscher Sicherheitspolitik. Insgesamt ein gut lesbares und verständliches Sachbuch. Ein Literaturverzeichnis mit Grundlagendokumente und Berichte, Sekundärliteratur, Zeitschriften, Verzeichnis der zitierten Literatur, Abkürzungsverzeichnis und Sachregister schließen das Buch.

Lahl, Kersten Varwick, Johannes: (2022): Sicherheitspolitik verstehen. Handlungsfelder, Kontroversen und Lösungsansätze. Wochenschau Verlag, Frankfurt/Main, ISBN 978-3-7344-1490-9, 18,90 Euro.

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