Kim Jong-un, Eine CIA-Analystin über sein Leben, seine Ziele, seine Politik.

Nordkorea: Sprengsatz auf der geteilten Halbinsel. Der Versuch einer Entschlüsselung des Diktators Rezension von Peter E. Uhde

In kurzer Abfolge ist ein weiteres Buch über den nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un in deutscher Übersetzung erschienen. Beide Verfasser sind amerikanische Autorinnen. Das von der Journalistin der „Washington Post“ Anna Fifield trägt den Titel KIM. Eine Rezension ist auf der Homepage veröffentlicht.

Die neue Ausgabe besteht aus dem Familien- und Vornamen des rätselhaften Führers Kim Jong-un. Hier versucht die CIA-Analystin Jung H. Pak (45) den nunmehr 36jährigen Führer des kommunistischen Landes zu entschlüsseln, schreibt über sein Leben, seine Ziele und seine Politik. Letztlich geht es aber nicht nur um den Mann an der Spitze des kommunistischen Regimes, sondern um das gesamte Herrschaftssystem, dem es gelungen ist, sich seit Jahrzehnten unangefochten an der Macht zu halten. Seit Dezember 2011 steht Kim in dritter Generation an der Spitze Nordkoreas. Kurz bevor Kim III. in die Fußstapfen seines Vaters, Kim Jong-il trat, begann Jung H. Pak, US-amerikanische Historikerin mit koreanischen Wurzeln, bei der Central Intelligence Agency (CIA) ihre Tätigkeit und behielt den „Vater der Nation und Leitstern der Wiedervereinigung des Vaterlands“  fast acht Jahre im Visier ihrer Beobachtung. „Meine Lehrjahre fielen unmittelbar mit dem Aufstieg Kim Jong-uns zusammen“. Sie führt den Leser über den Großvater Kim Il-sung (1912-1994), den Vater Kim Jong-il (1942-2011) bis hin zum Enkel Kim Jong-un (*1984).

Um die Entwicklung auf der koreanischen Halbinsel zu verstehen, sollte man wenigstens kurz in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückblicken. China, Russland, Japan und westliche Mächte kämpften hier um eine Vorherrschaft. Bauernaufstände, Soldatenrevolten, Unruhe unter Intellektuellen und gescheiterte Reformen führten 1910 zur Übernahme der Macht durch Japan. Dieser Koloniezustand dauerte bis 1945. Im Partisanenkampf gegen die japanischen Besatzer gewann Kim I. Erfahrungen, die er ab 1940 in der Sowjetunion erweitern konnte. Hier muss er sich so bewährt haben, dass er von Moskau als Führer der Nordhälfte der koreanischen Halbinsel eingesetzt wurde. Die Grenzziehung entlang des 38. Breitengrades war rein willkürlich, die Vereinigten Staaten übernahmen die Kontrolle über die Südhälfte. Am 9. September 1948 verkündete der ehemalige Partisan und Major der Roten Armee die Demokratische Volksrepublik Korea (DVR). Der Koreakrieg 1950-1953 zementierte die Teilung. Nach Kriegsende begann der Staatsgründer einen Personenkult ohnegleichen. Wer sich widersetzte wurde ausgeschaltet. Die Führerschaft war ganz auf ihn ausgerichtet. Aber auch an die Nachfolge wurde schon gedacht. Hierfür kam nur ein Familienmitglied infrage, nämlich Sohn Kim Jong-il. Als er nach dem Tod seines Vaters 1994 in Pjöngjang die Macht übernahm, sah die Welt anders aus. Der Ostblock war zerfallen und in Südkorea hatte sich die Demokratie etabliert und die Wirtschaft seiner Bevölkerung einen gewissen Wohlstand gebracht. Nordkorea hingegen befand sich in einer Isolationssituation. Wie sich das Verhältnis zu China und Russland entwickeln würde, war nicht abzusehen. Diese Länder hatten erst einmal selbst mit der Transformation zu tun. Nordkorea hatte aber ein Atomwaffenprogramm, ballistische Flugkörper und somit auf der internationalen  politischen Bühne eine „strategische Relevanz“. Damit konnte das Volk aber nicht ernährt werden, denn im Land herrschte eine gravierende Hungersnot. Der Höhepunkt lag zwischen 1995 und 1998. Genaue Zahlen über die Toten sind nicht zu verifizieren, es sollen zwischen 600.000 und einer Million Menschen gewesen sein, die das Leben verloren. Das Regime bezeichnete diese Zeit als „Beschwerlichen Weg“, um ihm einen revolutionären Anstrich zu geben. Die Regierung gab ihrem eigenen Überleben den Vorrang und nutze die Ideologie von Selbständigkeit (juche) und „das Militär zuerst“ (songun) und überließ die Menschen auf dem Land ihrem Schicksal. Laut Interviews mit überlebenden Nordkoreanern wurde die Versorgung der Bevölkerung als politische Waffe und Belohnung benutzt. Die Nomenklatura bei der Verteilung von Lebensmitteln bevorzugt. Hinzukam, das über das Kastensystem (songbun) die Loyalität gegenüber KIM III. garantiert wurde. Die Schuldigen für die Misere waren schnell ausgemacht, Amerika, die internationale Staatengemeinschaft und Südkorea. Überläufer berichteten von öffentlichen Hinrichtungen. Dieben von Lebensmitteln wurden die Köpfe weggeschossen. Die Begründung dafür war nach Aussage von Zeugen: „Weil die Denkweise der Kriminellen falsch war: Ein Krimineller dachte wie ein Kapitalist.“ Die Zitate sind in den Anmerkungen belegt.

Bei dem Trauerzeremonie für Kim Jong-Il am 28. Dezember 2011 wird der Weltöffentlich erstmals richtig bewusst, dass Nordkorea nun von einem dritten Kim geführt wird. Beim Leichenzug in Phöngjang geht er neben dem Wagen mit dem Sarg seines Vaters. Hinter ihm sein Onkel Jang Song-thaek, den er 2013 hinrichten lässt. Der Enkel des Partisanenkämpfers ist 26 Jahre alt, viel ist nicht über ihn bekannt, so dass schnell Spekulationen über sein Scheitern kolportiert werden. Südkorea versetzt sein Militär in Alarmbereitschaft, die Grenze nach Norden wird verstärkt bewacht, um einen eventuellen Ansturm von Flüchtlingen Herr zu werden. Nichts davon passiert. Am 15. April 2012, dem hundertsten Geburtstag seines Großvaters, hält er seine erste öffentliche Rede. Gut ein Jahr später verkündet er, dass Nordkorea Nuklearwaffen und Wohlstand haben kann. Diese Doppelstrategie „dient der Schaffung und Pflege der Marke Kim Jong-un“ meint die Autorin. Ziel ist der Machterhalt unter allen Umständen. Dazu gehört Terror in allen Formen, u.a. in Lagern schlimmster Art. Eine Kommission der Vereinten Nationen hat in einem fast 400-seitigen Bericht Grausamkeiten und Menschenrechtsverletzungen festgehalten. Im Kapitel: „Mord in Malaysia“ schildert Jung H. Pak den Mord an Kim Jong-nam. Sein Halbbruder hatte sich aus Nordkorea abgesetzt und lebte mit Frau und Tochter im Exil. Die Vergiftung am 13. Februar 2013 mit einem Nervenkampfstoff im Flughafen von Kuala Lumpur schockte die Öffentlichkeit.

Als Donald Trump ins Weiße Haus einzog, soll ihm Barack Obama ihm erklärt haben, dass Nordkorea sein größtes Problem werden wird. Schon am 4. Juli 2017, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag, teste Nordkorea eine ballistische Rakete vom Typ Hwasong-14. Die Techniker ließen sie etwa 960 Kilometer vom Abschussort ins Japanische Meer stürzen. Die Androhung den USA weiter „Geschenkpakete“ zu schicken, ließ nicht auf eine Denuklearisierung des Nordens deuten. In den nächsten Monaten folgte ein verbaler Schlagabtausch zwischen dem amerikanischen Präsidenten Trump und Kim, dann kam Südkorea ins Spiel. Bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Winterspiele am 9. Februar 2018 in Pyeongchang vertrat Kims jüngere Schwester Yo-Jong Nordkorea. Die nächste Annäherung zwischen Nord- und Süd erfolgte durch Südkoreas Präsident Moon jae-in. Als Symbolträchtiger Ort war in der demilitarisierten Zone der Grenzort Panmunjon gewählt worden. Was noch fehlte, waren Krönungsfotos mit dem US-Präsidenten, aber auch das gelang dem gewieften Taktierer. Drei Treffen, im Juni 2018 in Singapur, im Februar in Hanoi und im Juni 2019 in Panmunjon wurden für die Öffentlichkeit zur Show. Die ernüchternde Bilanz dieser „Gipfeltreffen“ beschreibt die Autorin im letzten Teil ihres Buches. Das Kräftespiel in Ostasien wurde durch Kim verändert. „Risse“ in den amerikanisch-südkoreanischen Beziehungen sind sichtbar. Ein Ansatz zur atomaren Abrüstung auf der Nordhalbinsel ist nicht festzustellen. „Dennoch befindet sich Kim in einem Entwicklungsprozess - er lernt, passt sich an und justiert“, meint sie. Wer sich für die geo- und sicherheitspolitische Entwicklung auf der koreanischen Halbinsel und Kim Jong-un interessiert sowie prüfen will, ob die CIA Analystin den „rätselhaften Diktator“ entschlüsselt hat, sollte zum Buch greifen. Wenn er auch noch die 701 Anmerkungen nachverfolgt, wird er es wissen. 

Jung H. Pak: Kim Jong-un, Eine CIA-Analystin über sein Leben, seine Ziele, seine Politik. Dumont Verlag, Köln, 2020, ISBN 978-3-8321-8389-9, 24,00 Euro.

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