Die (Ohn) - Macht der Vereinten Nationen. Friedenssicherung durch Stärkung von Resilienz, Krisen- und Konfliktmanagement Rezension von Peter E. Uhde
Ersetzt der Leser das lateinische Wort kollektiv mit umfassend im Titel des Buches: „Kollektive Sicherheit 2030“, dann ahnt er, auf was er sich einlässt. Die österreichische Autorin Ursula Werther Pietsch zwingt ihn zu einem Lesemarathon durch Krisen, Konflikte und Kriege der vergangenen 75 Jahre. Dass das Buch im Jubiläumsjahr der Gründung der Vereinten Nationen erschienen ist, ist eine Referenz an die „Weltfriedensorganisation“. Seit der Gründung 1945 bemühen sich die Vereinten Nationen rund um den Globus um Frieden und Sicherheit. Erfolge aber auch Misserfolge von Friedenseinsätzen kennzeichnen das Auf und Ab der Vergangenheit. Seit Gründung am 25. April 1945 in San Francisco und der Annahme der „Charta der Vereinten Nationen“ am 26. Juni 1945 haben sich die geopolitischen Machtverhältnisse grundlegend verändert, diesen geht die Autorin nach.
Sie beginnt mit dem weltpolitischen Lagebild und kommt davon ausgehend zum internationalen Krisen- und Konfliktmanagement (IKKM) der VN. Eingehend erläutert wird das System der kollektiven Sicherheit, die Entwicklung, Reformen und der Blick in die Zukunft bis 2030 gerichtet, wie es im Buchtitel angegeben ist. Sie begibt sich ins visionäre, um mit neuen Impulsen Schlussfolgerungen aus dem Dargelegten zu ziehen. Die Autorin nennt ihr Werk „Handbuch zum Diskutieren“. Dem ist nicht widersprechen. Der Kreis derjenigen die mit ihr den Inhalt diskutieren können ist mit Sicherheit überschaubar. Infrage kommen Spezialisten aus Diplomatie, Angehörige von Think Thanks, die sich mit der „Welt in Unordnung“, wie Wolfgang Ischinger sich ausdrückte, Angehörige von Hilfsorganisationen, Entwicklungshelfer und Militärs. Kollektive Sicherheit darf nicht zum Trugbild werden. Politik, Wissenschaft und Militär müssen die VN weiterentwickeln. Die COVID-19 Pandemie hat „vielerlei ausgelöst, nicht zuletzt Spekulationen über die Zukunft der Friedenssicherung“ mein Werther-Pietsch.
Frieden und Sicherheit, Entwicklung und Menschenrechte sind die Pfeiler der VN. Zieht man eine Bilanz seit Gründung bei friedenserhaltenden Missionen, kann man diese nur als gemischt bezeichnen. Nach Ende des „Kalten Krieges“ folgte 1992 ein erster Reformschritt, die Agenda for Peace, (Konzept des Peacebuilding/Friedenskonsolidierung). Der letzte der „Meilensteine“ war die Erneuerung der Women, Peace and Security-Agenda. Diese Meilensteine werden in einem Kapitel nach den Kriterien: Einbettung in den geografischen Raum, Auslöser/Ursache, Zielsetzung, Charakteristika, neue Elemente, Trends in der Interventionslogik, Operationalisierung des Mandats, Bilanz und Weiterentwicklung, Weltpolitische Stimmungslage und amtierender Generalsekretär untersucht. Dass der Generalsekretär mit einbezogen wird, weist schon auf die politische Funktion hin, die der Amtsinhaber in der Organisation spielt. Gegen den Willen der fünf Veto-Mächte (USA, Vereinigtes Königreich, Russland, Volksrepublik China und Frankreich) im Sicherheitsrat ist er machtlos. Realpolitik bestimmt das Verhalten der Mitglieder. Beispiele dafür sind die Anschläge auf das World Trade Center (2001), die globalen Wirtschaftskrisen (2008), die Seidenstraßeninitiative Chinas, die Krim-Okkupation durch Russland. 2016 ist die Wahl Donald Trumps zum amerikanischen Präsidenten hinzugekommen. Alles hat zu einem sicherheitspolitischen „Epochenbruch“ beigetragen. Aber nicht nur diese Abkehr von der Weltordnung nach 1989 sondern auch der Wechsel in der Kriegsführungsmethodik stellt die VN vor neue Herausforderungen, Krisen und Konflikte mit völkerrechtlichen Mitteln beizulegen. Kriegführung und Kriegführende haben sich verändert und erfordern somit einen neuen sicherheitspolitischen Diskurs. Bei inzwischen 193 Mitgliedern in der Weltorganisation treffen hierbei divergierende Meinungen aufeinander. Jeweils zum Ende der einzelnen Kapitel zieht die Verfasserin ein Resümee ihrer vorhergehenden Abhandlung.
Umfangreich ist der nächste Teilaspekt, in dem die Grundlagen des IKKM untersucht werden. Von der „Intervention zur Friedensicherung“ als Völkerrechtsdoktrin über Begriffsbestimmungen, Konzepte, Aktionsbereiche und Akteure reicht dieser Aspekt. Seit 2016 richten die VN ihr Handeln mehr auf die Stabilisierung von Frieden, statt der Beilegung von Konflikten. Der Begriff „Sustaining Peace“ steht dafür. Staaten, die über Autorität, Legitimität und funktionierende Verteilungssysteme und funktionierende Verwaltungsstrukturen verfügen, sind resilienter und verfallen nicht in Fragilität.
Die VN wurden als „System kollektiver Sicherheit“ gegründet. In der Charta Art. 1 (1) heißt es „den Weltfrieden und internationale Sicherheit zu wahren und zu diesem Zweck Kollektivmaßnahmen zu treffen, um Bedrohungen des Friedens zu verhüten und zu beseitigen, Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrücken und internationale Streitigkeiten oder Situationen, die zu einem Friedensbruch führen könnten, durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu bereinigen und beizulegen.“ Hier geht die Autorin auf die Institutionen der VN ein, erläutert ihre Möglichkeiten und zeigt ihre Grenzen auf. Verschiedene friedens-erhaltende Operationen von „Blauhelmen“ werden aufgeführt, die Liste von 1948 bis 2019 ist lang. Nationale Interessen, Geopolitische Überlegungen und begrenzte Risikobereitschaft werden in einem „Welt-Sicherheitsprofil“ der wichtigsten „Player“ kurz beschrieben. Das sind der „Chinesischer Drache“, der „Amerikanische Bison“, der „Russische Bär“, „Die Europäer“ und schließlich „Die Aufsteiger“
Im anschließenden Teil wird die Entwicklung der Sicherheitsinstrumente seit Gründung VN 1945 betrachtet und der Blick auf 2030 geworfen. Den Rahmen für die visionäre Betrachtungsweise bilden nach Meinung der Autorin die Rivalität der Großmächte, neue geopolitische Konstellationen und Aufrüstung. Auslöser dafür ist die Trias der Präsidenten Trump, Putin und Xi-Jinping, des Weiteren eine Wende im IT-Zeitalter und neue Kriegsführungsmethoden. In diesem Teil behält nur noch der Fachmann die Übersicht über die Ausführungen. Auch erschweren Hinweise auf Arbeiten anderer Autoren den Überblick und setzen Kenntnisse voraus, die nur bei VN-Experten vorhanden sind. Wenn menschliche Sicherheit treibende Kraft der VN-Handlungsweise ist, dann ist im Syrienkrieg die „Road Map to Peace“ für Syrien als Strategie der nutzlos gewesen. Genau wie die „Pufferzone“ im Norden Syriens nicht umgesetzt wurde. Als „Spektakuläre Fehlschläge“ in der Geschichte der VN nennt die Autorin den Einsatz in Somalia (1992-1995) in Ruanda (1994) und Srebrenica (1995). Hier haben die Peacekeeping-Missionen Völkermorde nicht verhindert. Die „Blauhelm-Einsätze“ in Mosambik (1992-1994) oder El Salvador (1991-1995) können hingegen als Erfolg bezeichnet werden. Die Autorin weist in ihrer Literaturübersicht auf allgemeine Quellen zum Thema Völkerrecht im Wandel, UN-Friedenssicherungsarchitektur, Geopolitik, Strategiebildung, Intervention, Human Security und einen speziellen Teil mit den Bereichen IKKM, Fragilität-Resilienz, Humanitäre Hilfe, Konfliktprävention, Konflikttransformation, Peacebuildung, Peacekeeping und Statebuilding. Eine Literaturquelle zu den Vereinten Nationen sei herausgegriffen. Der erstgenannte Autor ist öfters Referent bei Sektionen der GPS und der zweite ist Präsident der GSP. Es sind: Sven Bernard Gareis und Johannes Varwick, der Buchtitel lautet: Die Vereinten Nationen. Aufgaben, Instrumente und Reformen, 5. Auflage, Verlag B. Budrich UTB.
Für das zukünftige IKKM ist eine Neuorientierung dringend erforderlich. Dazu würde das Interventionsverbot in innere Angelegenheiten durch den Verzicht des Vetos bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord oder ethnischer Säuberungen gehören. Hochfliegende Reforminitiativen, über die in endlosen Debatten diskutiert wird, tragen nicht dazu bei Frieden und Sicherheit zu erhalten oder zu gestalten. Dazu können eher die Unterstützung einer legitimen Politik, eine zeitgemäße Interpretation des Nicht-Einmischungsgebots, die simultane Einsatzbereitschatz aller Akteure des IKKM und das Primat lokaler Lösungen beitragen. Letztlich werden die Vereinten Nationen nur stark sein, wenn es ihren Mitgliedern gelingt, sich bei Krisen und Konflikten rund um den Globus schnell und einvernehmlich zur „Weltfeuerwehr“ zu vereinigen und Brände schon beim Entflammen zu bekämpfen. Die Autorin hat mit ihrem Ergebnis der praxisgeleiteten Forschung ein Handbuch dafür entwickelt, das in Fachkreisen seine Anerkennung finden wird.
Werther-Pietsch, Ursula: Kollektive Sicherheit 2030. Globale Friedenssicherung im Wandel. Erschienen in der Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie der Republik Österreich, Mai 2020, ISBN 978-3-903121-82-9.