Deutsche Generale 1945 – 1990. Profession - Karriere – Herkunft. (Kopie 1)

Vergleich der Militärelite in West und Ost - Tiefe Einblicke in deutsch-deutsche Militärgeschichte Rezension von Peter E. Uhde

Den Buchtitel zieren zwei Fotos. Auf dem oberen Bild wird Theodor Blank, Bundesminister für Verteidigung von den Generalleutnanten Adolf Heusinger und Hans Speidel flankiert. Es ist der 12. November 1955, der offizielle Gründungstag der bundesdeutschen Streitkräfte. Beide haben gerade in der Ermekeilkaserne in Bonn ihre Ernennungsurkunde erhalten. Sie tragen keine Kopfbedeckung. Der Grund ist einfach. Die gelieferte Mütze für Heusinger war zu groß, sie rutsche ihm über die Ohren. Nach dem Grundsatz, wenn schon falsch, dann einheitlich, trugen deshalb beide keine. Auf anderen Bildern dieses Tages haben sie die Mütze in der Hand. Das untere Bild zeigt in vorschriftsmäßiger Uniform Generale der Nationalen Volksarmee (NVA) beim Empfang am 1. März 1957 durch Staatspräsident Wilhelm Pieck. Beide Fotos trennt der Buchtitel „Deutsche Generale 1945 – 1990. Profession – Karriere – Herkunft.“

Nach Band 1 der Reihe Deutsch-Deutsche Militärgeschichte mit dem Titel: Dokumente zur deutschen Militärgeschichte 1945 – 1990 von Christoph Nübel, inzwischen in 2. Auflage erschienen, hat das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr als Herausgeber nun Band 2 vorgelegt. Um es gleich zu sagen: es geht hier nicht um Biografien der Militärelite in Ost und West. Literatur über Spitzenmilitär aus Reichswehr, Wehrmacht und Bundeswehr gibt es genügend. Der Militärhistoriker Torsten Loch analysiert diese Gruppe hingegen unter militärhistorischen und soziologischen Gesichtspunkten. Er beleuchtet ihre soziale Herkunft, ihr Berufsverständnis und ihre Karrierewege. Dadurch öffnet er den Blick zu seiner Zielgruppe, den es bisher in der soziologischen und historischen Betrachtung noch nicht gegeben hat.

Die Möglichkeit, das wissenschaftlich zu untersuchen, hat sich nur ergeben, weil der zweite deutsche Staat aufgehört hat zu bestehen. Der gewählte Betrachtungszeitraum nach Ende des Zweiten Weltkrieges bot sich an, denn in den neu aufzubauenden Armeen beider Staaten hatte das dafür benötigte Spitzenpersonal schon in der Reichswehr oder Wehrmacht gedient. Damit der Leser eine Vorstellung hat, auf was er sich einlässt, wenn er das Buch in die Hand nimmt, einige Fakten. Die letzte Seitenzahl beträgt 652, die Anmerkungen vom Prolog bis zur Vita des Autors addiert ergeben 2231. In den Anmerkungen sind viele Sachdetails zu finden, daher sind sie eine gute Ergänzung zum Text. Dazu kommen rd. 70 Tabellen und Grafiken, teilweise im Textteil oder im Anhang und ein fast neunzigseitiges Quellen-, Literatur- und Personenverzeichnis. Das alles verlangt dem Leser viel ab. Es verhilft ihm aber zu neuen Erkenntnissen und besseren Einordnung mancher Ereignisse in der Bundeswehr ins politische Umfeld. Namen von Gründungsmitgliedern der Gesellschaft für Wehrkunde, heute Gesellschaft für Sicherheitspolitik, findet man auch.     

Nach diesem Rezensionsprolog, der Autor blickt in seinem, den er „Kampf und Niederlage“ überschreibt, auf den Zusammenbruch Preußens in der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt am 14. Oktober 1806. Preußen war militärisch besiegt und damit auch politisch handlungsunfähig. In diesem Untergang sieht der Autor allerdings schon den „Keim der Erneuerung.“ Der historische Rückblick zieht sich durch die ganze Thematik. Er wird als Aufbauhilfe bei Planung und Aufstellung, seit Mitte der fünfziger Jahre, für beide deutscher Armeen verwendet.

Im ersten Kapitel wirft Thorsten Loch einen allgemeinen Blick auf deutsche Spitzenmilitärs nach 1806, dann Kaiserreich ab 1871, in der Reichswehr und der Wehrmacht. Die Fragestellung des Buches lässt sich kurz zusammenfassen: Wo kommen die Spitzenmilitärs beider deutscher Staaten her und wie haben sie Karriere gemacht? Unter dem Begriff Spitzenmilitär werden bei der Bundeswehr die Offiziere mit zwei goldenen Sternen, also der Generalmajor, betrachtet. Vier goldene Sterne zieren den General. Am bekanntesten in dieser Funktion ist der Generalinspekteur der Bundeswehr. In der NVA war der erste Generalsrang der des Generalmajors, es folgte Generalleutnant, Generaloberst und Armeegeneral. Eine Übersicht der Dienstgradstrukturen in Reichswehr, Wehrmacht, Bundeswehr und NVA ist auf Seite 536 zu finden.

Gibt es Strukturen des Aufstiegs, können einzelne Variable diesen beeinflussen und welche Rolle spielt politische Präferenz? Können Aussagen über Amerikanisierung oder Sowjetisierung der Spitzenmilitärs getroffen werden? Solche Fragen ziehen sich durch die ganze Arbeit. Die Feststellung des Autors: „Grundsätzlich stellt eine Sozialgeschichte des deutschen Offizierkorps im Allgemeinen und seiner Elite im Besonderen ein Desiderat historischer Forschung dar.“  Dann kann man eigentlich nur sagen, dass seine Institution in der Lage sein müsste, diese zu liefern.  Bei der Definition des Begriffs Eliten, natürlich dann auch bei Militäreliten, gehen die Meinungen schon auseinander. Gehören zur Elite Personen, die durch gesellschaftliche Macht Einfluss ausüben? Jede der beiden Gesellschaften hatte hier andere Vorstellungen, auf die im Buch eingegangen wird. Um den Rahmen nicht zu sprengen, geht es um das Heer der Bundeswehr und die Landstreitkräfte der NVA.

Woher kommt der Begriff General, was macht er, ist er mehr Generalist oder eher ein Spezialist, wie kamen die Bundesrepublik und die DDR zu ihren ersten Generalen. Diese und andere Fragen werden im zweiten Kapitel behandelt. 1956 hatten die Planer im Amt Blank den Bedarf von 147 Generalen für das Heer berechnet. Die Personalstärke bei den Berufsoffiziere der Bundeswehr lag im Durchschnitt bei vier Prozent. In den Landstreitkräften der NVA war die Anzahl der Offiziere bedeutend höher, etwa 30 Prozent. Bei den Feierlichkeiten am Gründungstag der NVA, dem 1. März oder am Tag der Republik, dem 7. Oktober, gehörten Beförderungen zum Zeremoniell. An der Spitze der NVA stand der Minister für Nationale Verteidigung mit dem militärischen Dienstgrad Armeegeneral.  Truppenführung endete auf der Ebene der Militärbezirke. Es existierten zwei, in Leipzig und Neubrandenburg. Wäre das Kommando Landstreitkräfte im Kriegsfall aufgelöst worden, weil ihre Divisionen der sowjetischen Westgruppe der Truppen unterstellt worden wären, hätte es keine nationale Führungsebene gegeben. Hier erinnert der Autor daran, dass in Napoleons Russlandfeldzug das preußische Hilfskorps auch nicht geschlossen, sondern aufgeteilt war. Er sieht darin die Unselbständigkeit der DDR im Falle eines Krieges bestätigt.

Die beiden umfangreichsten und quellengesättigten Teile sind die Kapitel III und IV. Im dritten nimmt sich der Autor die Militärelite mit empirischen und quantitativen Daten und zwar unter sozialstatistischen Merkmalen der Herkunft und der Karrierestrukturen vor. Nach Erläuterung der Datenaufbereitung folgen die Analysen für West und Ost. Hier werden u.a. berücksichtigt: Soziale und räumliche Herkunft, Soziale Schichtung und Beruf des Vaters, Schulbildung, Ausbildung, Studium. Der Übergang von der Wehrmacht in die Bundeswehr und der dann folgenden Karriere führen zu einem komprimierten Zwischenergebnis. Bei West wird noch auf die Herkunft Adel und die Konfession der Betroffenen eingegangen. Bei der Ost-Elite werden die gleichen Parameter angewendet. Hier wird schon auf den Übergang in die Kasernierte Volkspolizei, dem Vorläufer der NVA eingegangen. Da bei den Spitzenmilitärs die Ausbildung nach der Qualifizierung zum Stabsoffizier die entscheidende Rolle spielt, wird in beiden Unterkapiteln ein Blick auf die Führungsakademie der Bundeswehr und die Moskauer Generalstabsakademie geworfen. Zusammenfassend kann festgehalten werden: die West-Militärelite rekrutierte sich aus der bildungs- und staatsnahen Oberschicht, war überwiegend städtisch geprägt und mehrheitlich protestantisch. Die Ost-Militärelite rekrutierte sich anfangs aus der bildungs- und staatsfernen Unterschicht, das änderte sich später. Sie war ländlich- und großstädtisch geprägt. Der erwünsche Hintergrund zum Milieu proletarisch-agrarisch oder großstädtisch ging mit der Nähe zur Partei einher.

Nach diesen Erkundungen und Vorgefechten widmet sich der Autor im Kapitel IV den beruflichen Anforderungen, Werdegängen und der Auswahl für Spitzenpositionen in den jeweiligen Teilstreitkräften. Er zitiert Ludwig York von Wartenburg: „Wer den Krieg verstehen will, muss die verstehen lernen, welche ihn führen; in den Hauptquartieren liegt der Schlüssel zur Kriegsgeschichte.“ In seinem Hauptquartier, heute in Litauen gelegen, schloss der preußische Generalleutnant mit dem russischen Generalmajor Hans von Diebitsch die sogenannte Konvention von Tauroggen. Mehrere Fragen werden im Folgenden betrachtet. Zum einen, ob das Kriegsbild das Anforderungsprofil beeinflusst oder wie ist der Typus und Werdegang eines Generals und wie verläuft die Struktur? Von Interesse ist auch die Untersuchung, ob das Militär eine Autonomie auf die Rekrutierung seines Offiziersnachwuchs hatte. Und schließlich die Frage nach den politischen Kontroll-mechanismen des Staates gegenüber seiner Militärelite. Dieser Kontrollmechanismus der Partei und des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) steht besonders bei der Betrachtung der Landstreitkräfte im Vordergrund.

Eine zentrale Stelle in der Ausbildung der Militärelite spielte die Militärakademie „Friedrich Engels.“ Die wissenschaftliche Hochschule hatte das Diplomierungs- und Promotionsrecht. Wer also Diplom-Militärwissenschaftler oder Dr. mil. war, von dem wusste man wo er das Prädikat erworben hatte. Die Führungsakademie in Hamburg mit ihrem Leitspruch „mens agitat molem“ (Der Geist bewegt die Materie) hat diese Möglichkeiten nicht, erst die späteren Universitäten der Bundeswehr bekamen das Promotionsrecht. Auf Unterschiede des operativen Denkens, Stabs- und Führungsorganisation, Unterschiede im Mehrlinien- und Einliniensystem, Personalstruktur und Werdegänge bei NVA und Bundeswehr wird des Weiteren eingegangen. Die NVA wurde in ihren Strukturen für einen künftigen Krieg auf Moskauer Weisungen aufgebaut. Dieses Kapitel beendet mit der Verortung des Generals als ein Produkt zwischen Organisation und Profession.  Zusammengefasst kann man festhalte, im Westen ist er als „generalis“ im Osten als „specialis“ geprägt.

Im Textkapital V fasst Thorsten Loch seine bisherigen Ergebnisse und Erkenntnisse zusammen. Wer es bis hier geschafft hat, Redundanz in den Untergliederungen wäre an manchen Stellen sinnvoll gewesen, der nimmt dann auch das letzte Hindernis. Die Herbstnebel über den Schlachtfeldern von Jena und Auerstedt haben sich im Laufe der Zeit verzogen. Nach dem preußische Zusammenbruch 1806 begann das Zeitalter der Reformen in Staat, Gesellschaft, Verwaltung. Die Literatur darüber ist unendlich. Aber auch über Reformentwicklungen des Militärs im 19. und 20. Jahrhundert kann sich der Leser in zahlreichen Werken informieren. Was der Autor mit sozialempirischen Instrumentarien in Angriff genommen hat, sind Entwicklungslinien von Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Wiedervereinigung 1990. Die Bundeswehr wurde von Beginn an als Bündnisarmee mit nationalem Interesse in der westlichen Staatengemeinschaft aufgestellt. Im Gegensatz dazu blieb die NVA bis zur Auflösung ein „militärisches Subsystem des SED-Staates.“ Die Anhängigkeit von der Sowjetarmee war groß, genauso wie der Staat dessen sozialistische Armee sie war.

Was Thorsten Loch mit seinem Werk geleistet hat, verdient Respekt und Anerkennung. Diese hat er auch dadurch erhalten, in dem die Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr „Deutsche General 1945 – 1990“ als Habilitationsschrift angenommen hat. Zudem wurde die Arbeit mit dem „1. Förderpreis für Militärgeschichte und Militärtechnikgeschichte“ ausgezeichnet.

Thorsten Loch: Deutsche Generale 1945 – 1990. Profession - Karriere – Herkunft. Ch. Links Verlag, 2021, Berlin, ISBN 978-3-96289-090-2, 55,- Euro.

 

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