Deutsch-deutsche Militärgeschichte während des Kalten Krieges

217 politische und militärische, ehemals geheime oder auch schon einmal veröffentlichte Dokumente aus beiden deutschen Staaten. Rezension von Peter E. Uhde

Das Inhaltsverzeichnis des Buches umfasst eine Seite, davon sollte man sich auf den ersten Blick nicht täuschen lassen. Danach folgen nämlich fast tausend Seiten zur deutsch-deutschen Militärgeschichte der Jahre 1945 bis 1990.

Das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) hat sich der Aufarbeitung eines Themas angenommen, das bisher wenig erforscht ist. Literatur über die Bundeswehr und die Nationale Volksarmee gibt es in zahlreichen Fassetten. Der hier gewählte Ansatz von Herausgeber Christoph Nübel ist ein anderer. Er hat sich in Archive begeben und 217 gefundene Dokumente veröffentlicht. Es sind politische und militärische, ehemals geheime oder auch schon einmal veröffentlichte aus beiden deutschen Staaten.

 Es beginnt mit Dokument 1: „Deutschland und sein Militär nach der Niederlage.“ Es ist der Auszug eines Vortrages von Wilhelm Pieck vom 11. Dezember 1944 und behandelt „Grundfragen der Propaganda unter den Truppen des Gegners in der nächsten Zeit.“ und endet mit dem Dokument 217: „Resümee der Tätigkeit des Bundeswehrkommando Ost“. Datiert vom 25. Juni 1991 beschreibt es die Lage im Bereich des Bundeswehrkommando Ost. Dieses nur kurz zur Vorstellung.

Der Öffentlichkeit präsentiert wurde das Werk bei der 60. Internationalen Tagung Militärgeschichte des ZMSBw in Potsdam. „Deutsche Militärgeschichte in Europa 1945 - 1990. Repräsentation, Organisation und Tradition von Streitkräften in Demokratie und Diktatur“, lautete das Tagungsthema. Die deutsch-deutsche Militärgeschichte wird, beginnend mit einer neuen Reihe, deren erste Publikation dieser Dokumentenband ist, vom ZMSBw bearbeitet werden. Die in dieser Publikation veröffentlichten Dokumente sind eine Grundlage und können helfen, die Zeit des sogenannten Kalten Krieges in seinen historischen Dimensionen zu verstehen.

In der Einführung fasst der Autor den Zeitraum der fünfundvierzig Jahre in seinen politischen und militärischen Ereignissen zusammen, analysiert und erklärt welche Dokumente und Eingang ins Werk gefunden haben. An einem Beispiel aus den Anfängen westdeutscher Sicherheitspolitik sei dies erklärt. Es ist die „Himmeroder Denkschrift“ (Dokument 8, 10. 12, 15). Die Inhaltsangabe des Dok. 8 lautet: „Bedrohung Europas und Fragen eines deutschen Wehrbeitrages.“ Hierbei handelt es sich um eine Denkschrift von Hans Speidel vom 15. Dezember 1948. Im Dok. 10 geht es um die Voraussetzungen eines westdeutschen Streitkräfteaufbaus und es enthält die „Gedanken zur Remilitarisierung.“ Es wurde in der Organisation Gehlen, dem Vorläufer des heutigen Bundesnachrichtendienstes, verfasst. Das Dok. 12 ist überschrieben: Politische, soziale und organisatorische Fragen der Verteidigung in der Bundesrepublik. Die Denkschrift der Verfasser Hermann Foertsch, Adolf Heusinger und Hans Spieidel datiert vom 5. Januar 1950. Das Dok. 15 ist dann der Teilabdruck der „Himmeroder Denkschrift.“ Angegeben sind bei allen veröffentlichten Dokumenten Fundstellen oder Archivnummern, so dass eine weitere Nutzung im Bundesarchiv oder an den anderen Lagerorten ohne zeitaufwendiges recherchieren möglich ist.

Im Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 war eigentlich die völlige Abrüstung und Entmilitarisierung Deutschlands von den Alliierten Siegermächten beschlossen worden. Die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) hielt sich aber nicht daran. Die Begründung ist bei Lenin zu finden. Nach seinen Lehren kann eine sozialistische Gesellschaft nur entstehen, wenn die Arbeiterklasse wehrhaft ist.

Im Teil II: Historischer Überblick und Einordnung der Dokumente, gibt es vier Unterteilungen. Abschnitt a) beinhaltet die Zeit zwischen Besatzung und Aufrüstung. Im Abschnitt b) geht der Autor auf die Bedingungen der Bündnis- und Sicherheitspolitik ein. Im Abschnitt c) folgt der Blick auf Militär und Gesellschaft. Abschnitt d) bildet den Schlusspunkt. Hier sind Veröffentlichungen zur bewaffneten Macht im deutschen Einigungsprozess zu finden. Zahleiche Fußnoten mit Verweisen auf Quellen ergänzen fast alle abgedruckten Quellen.

In der Einführung erläutert Christoph Nübel Inhalt und Sprache militärischer Akten. Die Rolle von Akten hat sich im Laufe der angesprochen Zeitepoche gewandelt. Die Kommunikation per Telefon verdrängte den Schriftverkehr. Akten dienten „weniger als Steuerungsinstrument in Prozessen und mehr als Dokumentation von Ergebnissen.“ Auch die Sprache entwickelte sich in beiden deutschen Staaten unterschiedlich, darin finden sich Merkmale für politische und gesellschaftliche Entwicklungen. Zwei Bespiele, DDR und NVA hatten sich dem Kampf für den Frieden verschrieben, die Bundesrepublik und Bundeswehr dagegen sprachen von Freiheit. Im alltäglichen Dienstsprachgebrauch spielten auch die Einbindung der Bundeswehr in den Nordatlantikpakt (NATO) und der NVA in die Warschauer Vertragsorganisation (WVO) eine Rolle. Die ostdeutsche Militärsprache war erheblicher stärker ideologisiert als die der Bundeswehr. Eine weitere Erkenntnis auf die der Autor eingeht, ist die mangelnde „Zurechenbarkeit“ hinsichtlich des Ursprungs und der Verantwortlichkeit von ostdeutschen Dokumenten. „Namentliche Mitzeichnungen oder Lesevermerke sind die Ausnahme“, schreibt er.

Er weist auch darauf hin, dass die Absicht eine Symmetrie der Dokumente bei der Veröffentlichung nicht zu verwirklichen war. Die Begründung dafür erläutert er in dem Unterschied zwischen demokratischem Pluralismus und sozialistischem Unilateralismus. So umfasst die Anzahl der westlichen Dokumente 57 Prozent, die der östlichen 42 Prozent, 1 Prozent sind übergreifend. Eingehend erläutert werden Auswahl und Gestaltung des Dokumententeils. Hier findet der Nutzer die Titelzeile (fett) und komprimiert Angaben zum Inhalt, z.B. Datum, Verfasser, für wen oder weshalb der Vorgang verfasst wurde. Danach folgen von Seite 94 bis 900 die erwähnten 217 Dokumente.  

Im anschließenden Anhang sind ein ausführliches Abkürzungsverzeichnis, umfangreiche Quellenangaben und Literaturhinweise, das Personen- und Sachregister zu erwähnen. Insgesamt ein fundiertes und informatives Werk, sowohl für Historiker als auch für interessierte Leser deutscher Militärgeschichte. Ein Wermutstropfen ist das Din A 5 Format (14,8x21 cm) des mit festem Einband. Das macht lesen und arbeiten nicht einfach. Zudem ist der Preis hoch. Wer Zugang zu einer Bundeswehrbibliothek hat, kann es dort sicher ausleihen.

Nübel, Christoph (Hg.), Dokumente zur deutschen Militärgeschichte 1945-1990. Bundesrepublik und DDR im Ost-West-Konflikt. 1000 S., Hardcover, Format DIN A 5, Ch. Links Verlag, Berlin, ISBN 978-3-96289-070-4, 80,00 Euro.

Büchertisch bei der 60. Tagung Militärgeschichte des ZMSBw in Potsdam. In der Mitte das im gleichen Verlag erschienene: Die Affäre Kießling. Der größte Skandal der Bundeswehr. Eine Rezension erscheint demnächst.

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