KIM. Nordkoreas Diktator aus der Nähe

Skizze eines Machthabers Rezension von Peter E. Uhde

Der Name KIM prangt in weißen Großbuchstaben auf dem roten Schutzumschlag. Die hingegen in schwarz gezeichnete Kopfsilhouette macht deutlich, um wen es in dem Buch geht. Es ist Kim Jong-un, Nordkoreas Diktator, der „aus der Nähe“ betrachtet wird. Autorin des Buches ist Anna Fifield, eine vielfach ausgezeichnete amerikanische Journalistin. Augenblicklich leitet sie das Büro der „Washington Post“ in Peking. 2004 war sie für die „Financial Times“ als Korrespondentin nach Seoul geschickt worden, um über beide Koreas zu berichten. „Es war der Beginn einer großen Leidenschaft“ schreibt sie, man merkt es dem Buch an.   

Es gibt wohl kaum ein Land, das sich in allen Lebensbereichen von der Außenwelt so abschottet wie Nordkorea. Das gilt besonders für seine kommunistische Führungselite, an deren Spitze Kim Jong-un steht. Seit dem Tod seines Vaters Kim Il-sun am 17. Dezember 2011 ist er in dritter Generation uneingeschränkter Führer der Demokratischen Volksrepublik Korea (DVRK). Um sich dem Machthaber zu nähern, Herrscher über rund 25 Millionen Untertanen und Atombomben, deren Anzahl man nicht kennt, hat die Autorin ihr Buch dreigeteilt. Im ersten Teil beschreibt sie seine Lehrjahre, im zweiten befasst sie sich mit der Phase der Konsolidierung seiner Herrschaft und im dritten betrachtet sie das vorhandene Selbstbewusstsein der absoluten Machtausübung. Aus hunderten Stunden Interviews mit unterschiedlichsten Personen aus acht Ländern setzt sich „das Puzzle zusammen, das Kim Jong-un heißt“. Das sind z.B. Gespräche mit Mitschülern und Lehrern aus der Schweiz, Tante und Onkel bei denen er damals wohnte, ehemalige Angestellte seines Vaters, Menschen mit denen er sonst in Berührung kam, Kaderangehörige, „Gerettete“ oder „Geflüchtete“ aus dem Norden, die danach in Südkorea oder andern Ländern ein freies Leben führen und andere persönliche Quellen, denen Anonymität zugesagt wurde.

Die Anfänge der Kim-Herrschaft gehen auf seinen Großvater Kim-Il-sung (1912-1994) zurück. Seine Eltern waren in den zwanziger Jahren mit ihm vor den japanischen Kolonialherrn in die Mandschurei geflohen. Er wurde von der Roten Armee ausgebildet und kam 1945 mit sowjetischen Truppen nach Korea. Von Süden befreiten US-Truppen Korea von den japanischen Okkupanten. Die neuen Besatzungsmächte legten auf der Halbinsel als Trennlinie zwischen ihnen den 38. Breitengrad fest. Am 9. Septem 1948 wurde als Reaktion auf die Gründung Südkoreas die Demokratische Volksrepublik Korea ausgerufen und Kim Il-sung als ihr Führer eingesetzt. „Kaum war er ernannt worden, schuf Kim einen Personenkult, der Stalins Anstrengungen auf diesem Gebiet als amateurhaft erscheinen ließ“, schreibt Anna Fifield. Das setzt sich unter dessen Sohn Kim Jong-il und nun unter Kim Jong-un bis heute fort.

Der von 1950 bis zum Waffenstillstand am 27. Juli 1953 dauernde Koreakrieg teilte die Halbinsel in einen kommunistischen und einen demokratischen Teil. Nach seinem Tod am 8. Juli 1994 geht die Herrschaft auf seinen Sohn Kim Jong-il, den Vater Kim Jong-uns über. Dieser wird am 8. Januar 1984 in Pjöngjang geboren und wächst abgeschirmt hinter hohen Mauern in den Residenzen der Familie, im Sommer in Wonsan, auf. 1996 kommt er in die Schweiz und besucht in Bern eine Schule unter dem Decknamen Pak-un. Sein zwei Jahre älterer Bruder Kim Jong-nam ist hier auch Schüler. Ab August 1998 bis zum Ostern 2001 besucht er eine andere Schule. Als bekannt wird, dass Kim Jong-un Nachfolger seines Vaters werden soll, versuchen Journalisten mehr über seine Zeit in der Schweiz zu erfahren. Viel kommt dabei nicht heraus.  „Der Schüler galt als gut integriert, fleißig und ehrgeizig, sein Hobby war Basketball“. Er trug ein Trikot der Chicago Bulls mit der Nummer 23 von Michael Jordan und sein Spielball war ein Spalding mit dem offiziellen Logo der NBA (National Basketball Association). Noch vor Schuljahresende kam er eines Tages nicht mehr zum Unterricht.

Zurück in Nordkorea tritt er 2002 in die Militärakademie ein und verlässt diese Ende 2006 mit einer Urkunde, „die ihn zum besten Studenten der Eliteakademie erklärte“. Am 25. Geburtstag, dem 8. Januar 2009, ernennt sein Vater, den Genossen General, zum offiziellen Nachfolger. Angeblich sind die südkoreanischen Geheimdienste und auch die CIA über diesen Schritt überrascht und haben so gut wie keine Informationen über Kim III. Das verwundert den Leser. Eine maßlose Propaganda mit Lobeshymnen überzieht das Land, um auch im letzten Winkel das Genie des kommenden Führers zu preisen. Am 17. Dezember 2011 stirbt Kim Jong-il und nun ist „Ein dritter Kim am Ruder“. Mit dieser Kapitelüberschrift beginnt der Hauptteil der Biografie über den neuen Machthaber, in dem es um die Konsolidierung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Landes geht. Kim verschafft sich in seiner Umgebung die notwendigen Strukturen für den kommenden Machterhalt. Hierzu gehörte die Beseitigung potenzieller Rivalen wie die seines angeheirateten Onkels Jang-Song-thaek und seines Halbbruder Kim Jong-nam, der am 17. Februar 2017 auf dem Flughafen von Kuala Lumpur mit Nervengift VX getötet wird. Wenn schon Familienangehörigen beseitigt werden, dann ist das mehr als eine deutliche Warnung an das Umfeld. Wer sich dem Regime entgegenstellt findet sich schnell in einem Straflager wieder. Foltermethoden gehören zur Züchtigung. „Viele Gefangene überleben die Haft dort nicht“.

Fifields geht in ihrem Buch auch auf die Bemühungen ein, die wirtschaftliche Situation für die Bevölkerung zu verbessern. Schon Kims Vater hatte eine Doppelstrategie gefahren, nämlich die Entwicklung von Atomwaffen und die Wirtschaft voranzutreiben. Im Kapitel „Die Eliten von Pjönghattan“, beschreibt die Autorin die „Herren des Geldes“. Sie haben Parteiämter, sind Offiziere oder Tätige bei Regierungsgeschäften im In- und Ausland. Diese Clique stellt die finanzielle Grundlage für ihren obersten Führer und  sich selbst sicher. Der südkoreanische Geheimdienst schätzt, dass Kim Jong-un 33 Residenzen in Nordkorea gehören, wovon mindesten 28 einen Privatbahnhof haben. Ein Leben in Saus und Braus wird ihm nachgesagt. Verheiratet ist er mit Ri Sol-ju, einer bekannten Sängerin des Landes. Im Orchester Unhasu, das im westlichen Stil auftritt, zählen Lieder wie „unsere Waffen garantieren den Frieden“ zum Repertoire. Ihr modernes Auftreten ist auffällig und hebt sich deutlich von der alten sozialistischen Einheitskleidung der Frauen der Parteikader ab. Das Paar soll zwei oder drei Kinder haben.

Im letzten Teil ihres Buches geht die Autorin auf das im Laufe der Jahre gewachsene Selbstbewusstsein des Diktators ein und schildert es an Beispielen. Nachdem er im Inland seine Macht gefestigt hat, pokert er nun höher gegenüber dem Ausland, der Joker sind Atomwaffen. Seit den 80er Jahren hat man daran gearbeitet sie herzustellen. Nach dem Start von Interkontinentalraketen im Juli 2017 drohte US-Präsident Donald Trump mit „Feuer und Vernichtung …“, verhöhnte Kim als „Little Rocket Man“, der sich verbal revanchierte und drohte, den „unzurechnungsfähigen Tattergreis mit Feuer zu zähmen“. Nach diesem Schlagabtausch 2017 blickte die Welt auf die Olympischen Winterspiele in Seoul. Um die Beziehungen zum Ausland zu verbessern, setzt Kim die „Geheimwaffe“, seine jüngere Schwester Kim Yo-jong“ ein. Erstmals seit Ende des Koreakrieges war ein Mitglied der Herrscherfamilie in Südkorea und zwar bei der Eröffnungsfeier am 9. Februar 2018 in Seoul. Das Sportlerteam war aus nord- und südkoreanischen Sportlern zusammengestellt. Durch ihre Reise in den Süden wurden Kontakte zwischen Regierungsvertretern angebahnt. Kims strategisches Ziel war ein Gipfeltreffen mit dem amerikanischen Präsidenten. Das würde ihn endgültig zum Mitspieler auf der politischen Weltbühne machen. Diese Bestrebungen wurden in China kritisch betrachtet, besonders auch die „Jagd nach Atomwaffen und Raketen“. In ihrer bisherigen Regierungszeit hatten Xi Jinping und Kim Jong-un  sich nicht getroffen und so machte sich Kim im Sonderzug auf nach China. Die Propagandabilder der beiden Machthaber, wie sie mit ihren Frauen vor den chinesischen und nordkoreanischen Flaggen standen, sollten die Gleichrangigkeit demonstrieren. Den nächsten Propagandacoup landete Kim Jong-un mit dem erstmaligen Treffen des südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in am 27. April 2018 in der entmilitarisierten Zone in Panmunjom. Nach dem die Generalproben der Treffen gelungen waren, fehlte nur noch die Premiere.

Diese fand mit US-Präsident Donald Trump am 12. Juni 2018 im Capella Hotel auf der Insel Sentosa in Singapur statt. Nichts war mehr zu hören von „Little Rocket Man“ oder „kompletter Spinner“. Vor Arrangements nordkoreanischer und amerikanischer Flaggen lächelten und schüttelten sich beide minutenlang die Hände. Es schien der Neubeginn einer Partnerschaft zu sein., die nordkoreanische Staatspresse schrieb: „Die Begegnung des Jahrhunderts, die eine neue Phase in der Geschichte der Beziehungen zwischen den USA und Nordkorea einleitet.“ Es folgten 2019 noch zwei weitere Treffen in Hanoi und Panmunjom. Festzustellen bleibt, dass durch diese Begegnungen keine Denuklearisierung Nordkoreas erreicht und auch die Wirtschaftssanktionen nicht aufgehoben wurden. Während des Schreibens der Rezension haben sich die Beziehungen wieder verhärtet. Wer seinen Einblick in das geteilte Land vertiefen will, dem gibt Anna Fifield mit ihrem journalistisch  recherchierten und geschriebenen Buch einen umfassenden Einblick in das Staatssystem. Hier dreht sich alles um Kim Jong-un, der uneingeschränkt und unangefochten im Zentrum Macht steht.     

Anna Fifield: KIM. Nordkoreas Diktator aus der Nähe, Edition Körber, Hamburg, 2020, 416 S., ISBN: 978-3-89684-277-0, 24,00 Euro.

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