Sicherheitspolitik verstehen

Plädoyer für eine resiliente deutsche Sicherheitspolitik Rezension von Peter E. Uhde

Die intensive Beschäftigung mit Sicherheitspolitik gehört nicht gerade zu den Lieblingsbeschäftigungen der politischen Eliten Deutschlands, geschweige denn der Allgemeinheit der Bundesbürger. Momentan ist der Rückblick auf das militärische Ende des Ersten Weltkrieges und dessen politischen Folgen für das zwanzigste Jahrhundert häufig in den Medien zu finden, aber das wird sich schnell legen. Unabhängig vom Blick in die Historie wird die Gegenwart durch den Ruf nach einer „Europaarmee“ oder „Europa muss mehr für seine eigene Sicherheit tun“ konfrontiert. In diese Gemengelage hinein ist auf die Neuerscheinung des Sachbuches mit dem Titel „Sicherheitspolitik verstehen. Handlungsfelder, Kontroversen und Lösungsansätze“ aufmerksam zu machen. Die beiden Autoren sind anerkannte Fachleute auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik. Varwick ist Politikwissenschaftler, Lehrstuhlinhaber Internationale Beziehungen und europäische Politik an der Universität Halle-Wittenberg und Lahl ehemaliger Generalleutnant der Bundeswehr, war nach Dienstzeitende von März 2008 bis September 2011 noch Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, der höchsten ressortübergreifenden Bildungsinstitution Deutschlands. Beide engagieren sich als Vizepräsidenten in der Gesellschaft für Sicherheitspolitik e.V. (GSP).

Spagat zwischen Wissenschaft und Praxis
Im Vorwort fragen die Autoren, wen und was dieses Buch erreichen will. Um die Bürger mit der Komplexität der Sicherheitspolitik vertraut zu machen bedarf es eines breiten und aufgeklärten Diskurses. Hier müssen alle sicherheitspolitischen Fragen mit ihren Hintergründen, den nicht immer leicht durchschaubaren Zusammenhängen, sich ergebende Perspektiven und abzeichnende Risiken offen und ideologiefrei diskutiert werden.

Die Autoren versuchen dem Leser dieses in sechs Kapiteln dazulegen. Sie beginnen mit Erklärungen was konzeptionelle Grundideen moderner Sicherheitsvorsorge sind. Sicherheitspolitik umfasst in ihrem Sinn die Gesamtheit der politischen Ziele, Strategien und Instrumente. Die Frage, was ist eigentlich Sicherheit, was ist Unsicherheit und wie kann Sicherheitsvorsorge umgesetzt werden, ziehen sich durch das erste Kapitel. Mit einem didaktischen Kniff wollen die Autoren den Leser zum weiteren befassen mit ihren Feststellungen animieren. Jedes Unterkapitel endet mit Diskussionsfragen. Als Beispiel zum Kapitel 1 .2 Sicherheitspolitik heute – umfassend und vernetzt, sei die dritte Diskussionsfrage aufgeführt. Sie lautet: Lässt sich Sicherheit messen – für sich und in Abwägung mit anderen öffentlichen Gütern?

Mangelware ist eine sicherheitspolitische Generaldebatte
Nachfolgendwird auf die Suche nach der strategisch richtigen Balance eingegangen. Hier wird auf die finanziellen Mittel verwiesen, die z. B. seit Beginn des Afghanistankrieges 2001 aufgewendet wurden. Die Balance zwischen zivilen und militärischen Engagements im Land am Hindukusch, in dem die Militärausgaben gegenüber den Ausgaben für zivile Entwicklung überwiegen, hat nicht zum Frieden in Afghanistan beigetragen. Das zweite Kapitel befasst sich mit dem heutigen sicherheitspolitischen Kontext. Der Unschärfe zwischen innerer und äußerer Sicherheit ist ein eigenes Unterkapitel gewidmet. Mit einer Betrachtung über das Verhältnis von öffentlicher Meinung und Sicherheitspolitik endet der zweite Teil. Beanstandet wird hier das Fehlen einer regelmäßigen Sicherheitsdebatte im Deutschen Bundestag. Diese immer wieder geforderte Aussprache über Ziele und nationale deutsche Interessen könnte auch Klarheit bringen, inwieweit die jetzige sicherheitspolitische Rolle Deutschlands von der Gesellschaft akzeptiert oder negiert wird.

Im nächsten Kapitel befassen sich die Autoren mit den „Treiber“ der Unsicherheit. Von fragiler Staatlichkeit über Auseinandersetzungen um Ressourcen, den grenzüberschreitenden Terrorismus, Flucht- und Migrationsbewegungen, Bevölkerungswachstum, Armut, Klimawandel, Pandemien und Biosicherheit, Cyberraum und Cybersicherheit, Auf- und Abrüstung und die Gefahren der Nukleartechnologie wird in komprimierter Form eingegangen. Nationale und internationale Problemfelder, Krisen, Konflikte bis hin zu militärischen Auseinandersetzungen und Kriegen werden hier mit Ursachen und Konsequenzen behandelt.

Prävention und Resilienz sind immer gefordert
Wie diesen „Treibern“ der Unsicherheit zu begegnen ist, werden Strategische Handlungsfelder beschrieben. Die klassische Rolle der Diplomatie steht an vorderster Front, wenn sie nicht mehr weiterkommt, wird zu Sanktionen gegriffen, bevor die klassische Rolle des Militärs „Treibern“ das Ende bereiten soll. Dass das nicht immer funktioniert, ist bekannt. Das internationale Krisenmanagement der Vereinten Nationen, von dem man sich viel versprochen hat, aber oft versagt hat, wird erläutert. Die Diskussionsfragen zu: humanitären Interventionen, Libyen und Kosovo oder den Stabilisierungseinsätzen in Afghanistan, die dem Leser gestellt werden, zeigen schon das Dilemma. Um hier aber wieder ins positive Fahrwasser zu kommen, befassen sich die Autoren mit Prävention und Resilienz. In Prävention sehen sie Verhinderung oder Abschwächung eines gewaltsamen Konfliktes. Resilienz, erst in letzter Zeit im sicherheitspolitischen Diskurs häufig gebraucht, bezieht sich auf staatliche und gesellschaftliche Widerstands- und Regenerationsfähigkeit gegen Katastrophen, Krisen und Konflikte.

Die internationalen Organisationen bewirken nicht viel

Worin besteht nun der sicherheitspolitische Handlungsbedarf für Deutschland? Mit dieser Frage und den Ausführungen dazu von Lahl und Varwick endet das Buch. Sie plädieren für Engagement, vorrangig ziviles, in gut begründeten Fällen aber auch für ein militärisches. Primäre Aufgabe deutscher Sicherheitspolitik ist aber Schutz der territorialen Integrität und nationale Selbstbestimmung. Sie sagen aber auch „Sicherheitspolitik heute und morgen“, bedeutet immer Handeln ins Ungewisse. Daher fordern sie eine intensive politische und gesellschaftliche Diskussion über Bedingungen, Reichweiten und Grenzen deutscher Sicherheitspolitik. Insgesamt ein gut lesbares und verständliches Werk für den sicherheitspolitisch interessierten Bürger, der damit einen Gesamtüberblick über das komplexe Thema bekommt. Das Literaturverzeichnis umfasst Hinweise auf Grundlagendokumente und Berichte, Sekundärliteratur, Zeitschriften und das Verzeichnis der zitierten Literatur. Abkürzungsverzeichnis und Sachregister schließen das Buch.

Lahl, Kersten, Varwick, Johannes (2018): Sicherheitspolitik verstehen. Handlungsfelder, Kontroversen und Lösungsansätze.
Wochenschau Verlag, Frankfurt/Main, ISBN 978-7344-0735-2, 20,00 Euro.

Weitere Rezensionen:

Prof. Dr. Reinhard Meier-Walser, Hans-Seidel-Stiftung München, in: POLITISCHE STUDIEN 485/2019 S.80-82

Oberst a.D. Friedrich W. Benz, in: ZU GLEICH 2/2018 S. 77-79

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